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Utopische Spätstarter
Die Vereinigte Linke in der DDR und ihr Scheitern im Herbst 1989.
Es ist kein großes Geheimnis, dass sich in der heutigen Linkspartei das Interesse an der SED-Geschichte in Grenzen hält. Dabei ist die Partei, mit Nietzsche gesprochen, »das Resultat früherer Geschlechter« und damit auch ihrer »Verirrungen, Leidenschaften und Irrtümer, ja Verbrechen«. Auch wenn die Genossen all die Verwerfungen heute verurteilen und sich ihrer Geschichte, in den Worten des Philosophen »für enthoben erachten«, so bleibt die Tatsache, dass sie aus eben dieser Vergangenheit herstammen. Wer sich seiner Geschichte nicht bewusst ist, ist dazu verdammt, seine Fehler zu wiederholen.
Wem die SED-Historie zu lang oder zu langweilig ist und wer doch aus linker Sicht erfahren möchte, was das für ein Staat war, in dem Politbüro und Parteiapparat die Führungsrolle beanspruchten, wer wissen will, warum die DDR am Ende keine Chance hatte, dem sei ein Heftchen ans Herz gelegt, das unlängst bei der Rosa Luxemburg Stiftung erschienen ist: »Sozialistische Alternative DDR 89. Die Initiative für eine Vereinigte Linke in Texten und Dokumenten«.
Unter den Bürgerbewegungen der Wendezeit hat es tatsächlich eine Gruppierung gegeben, deren Hauptforderung ein freiheitlicher und demokratischer Sozialismus war und das in einer selbstständigen DDR! Das wollten anfangs auch die anderen: das Neue Forum, Demokratie Jetzt, ja sogar der Demokratische Aufbruch, der dann bald in der CDU aufging. Die Vereinigte Linke aber, die mit ihrem programmatischen Namen leider nie über eine Initiative hinauskam, blieb bei dieser Forderung auch nach dem 9. November 1989.
Für die anderen Bürgerbewegungen war die VL, so Erhard Weinholz in seinem Essay, ein »Schmuddelkind« der DDR-Opposition. »Was denn, die gibt’s immer noch?«, soll Wolfgang Ullmann bei einem späteren Besuch im Berliner Haus der Demokratie gesagt haben. Seine Missbilligung hatte wohl damit zu tun, dass die einzige sozialistische Bürgerbewegung immer offen für SED-Mitglieder war. Doch das war gewiss kein Opportunismus.
Schon in ihren Gründungstagen kannte die VL mit Blick auf die Herrschenden keine Kompromisse. Auf das erste halbherzige Dialogangebot der SED, ausgesprochen am 12. Oktober 1989 vom 77-jährigen Chefideologen Kurt Hager, reagierte die Gruppe mit Rücktrittsforderungen an Politbüro und Ministerrat. Mit allen reformwilligen Kräften, erklärte die VL damals, sollte eine Übergangsregierung gebildet werden - mit dem Ziel einer radikalen Verfassungs- und Gesellschaftsreform, was unter anderem auf eine Arbeiterselbstverwaltung in den Betrieben hinausgelaufen wäre. Thomas Klein, Mitbegründer und einer der führenden Köpfe in der linken DDR-Opposition, schreibt im aktuellen »telegraph«, dass die VL schon zu einem Zeitpunkt die Machtfrage stellte, als die anderen Oppositionellen »weiter um ihre Anerkennung als Dialogpartner der (noch) Herrschenden« rangen. Doch je radikaler eine Gruppe auftritt, um so schwerer findet sie Bündnisse. Das war nie anders.
In der Broschüre gehen die einstigen VL-Aktiven Christoph Kelz, Hendrik Mayer und Erhard Weinholz ihrem Scheitern nach und damit der Frage, warum die Hauptziele - Sammlung der Linken und Rettung der DDR - verfehlt wurden. Dazu muss man sagen: Wenn es für die Bürgerbewegungen und damit für die VL eine Chance gab, an die Regierung zu gelangen - und zwar nicht als Frühstücksminister ohne Geschäftsbereich wie später in der Modrow-Regierung -, dann nur für kurze Zeit: Ende Oktober und Anfang November 1989. Hier liegt die Schwäche dieser wichtigen Broschüre: Was die VL in den entscheidenden Wochen getan hat, welche Aktionen sie organisierte oder, was wahrscheinlicher ist, welche Debatten sie führte, geht aus den Beiträgen kaum hervor, auch nicht zwischen den Zeilen.
Für die Forschung war die Quellenlage zur Initiative Vereinigte Linke bislang wenig erfreulich. Sollten bei den Treffen der Basisgruppen Protokolle geschrieben worden sein, sind sie nicht überliefert. Dank glücklicher Umstände aber haben nun in Rostock etliche VL-Dokumente die Zeit überdauert. Wie die RLS-Vorsitzende Dagmar Enkelmann einleitend schreibt, bilden sie die Basis für diese Publikation, die sich daher auch zuvörderst mit der VL in den damaligen Nordbezirken beschäftigt. Und auch die neuen Quellen deuten zur VL auf ein DDR-weites Faktum hin: Mit ihren 1500 bis 2000 Mitgliedern, die sich in etwa drei Dutzend Gruppen organisiert hatten, kamen die Aktivisten erst nach dem Mauerfall in die Startlöcher. Um im Bild zu bleiben: Das Rennen um den Fortgang der Geschichte - DDR vs. Beitritt - war bereits entschieden.
Dabei war die Initiative für eine Vereinigte Linke ein spannendes Projekt, vergleichbar heute mit der Interventionistischen Linken: eine Plattform für leninistische und nichtleninistische Marxisten, für Christen, Autonome und andere Sozialisten. Nicht nur um Freiheit ging es, nicht nur um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Erhard Weinholz schreibt über das Programm: »Wir strebten Geschlechtergleichheit an, ökologisches Wirtschaften, eine Neuordnung der internationalen Beziehungen und noch mancherlei anderes - im Grunde war eine neue Lebensweise unser Ziel.«
Nur: Helmut Kohl hatte eine Erzählung, und zwar eine mächtige. Die Einheit erschien als Antwort auf alle Fragen und beherrschte den Diskurs. Für undogmatische Linke gab es in der DDR nach dem 9. November nichts mehr zu gewinnen. Schon nach der Pleite bei den Volkskammerwahlen begannen sich die ersten Basisgruppen aufzulösen. Das Aktionsbündnis Vereinigte Linke errang am 18. März 1990 nur gut 20 000 Stimmen, was 0,18 Prozent entsprach und damit genau einem Parlamentsmandat.
In Rostock und anderen Städten hat die VL noch einige Zeit gegen den Beitritt mobilisiert. Warum sie aber in jenen Tagen keinen größeren Zulauf hatte, bleibt ein Rätsel. Weinholz schreibt, dass seine Organisation, hätte sich die SED seinerzeit aufgelöst, zur »Massenunterkunft für politisch Obdachlose« geworden wäre. Ach wirklich? Im selben Moment wäre eine neue Partei gegründet worden. Und auch ohne Auflösungsbeschluss sind in jenen Tagen Millionen Mitglieder aus der ehemaligen Staatspartei ausgetreten, viele davon durchaus im Zorn.
Warum hat nicht wenigstens ein halbes Prozent von ihnen den Weg in die Vereinigte Linke gefunden? Deren basisdemokratische Strukturen luden dazu ein, das Projekt zu ›unterwandern‹. Warum blieb das aus? Wo hätten sich frustrierte Ex-SED-Mitglieder besser bei den alten Bonzen revanchieren können als in der VL?
Die einzige sozialistische Bürgerbewegung war damals, ungeachtet ihrer geringen Mitgliederzahl, an allen Runden Tischen vertreten, ihre Vertreter kontrollierten die Modrow-Regierung wie auch die Räte der Bezirke und die Bürgermeister - und zwar mit dem gleichen Stimmrecht wie etwa die SPD! Ehemalige SED-Genossen hätten sich problemlos in den Arbeitsgruppen der VL einbringen können. Warum hat von dieser Möglichkeit kaum jemand Gebrauch gemacht? Womöglich waren die Massen, die nun ihr SED-Parteibuch zurückgaben, einfach nie links. Und inwieweit die real existierende Staatspartei überhaupt als linke Partei bezeichnet werden kann, darüber wäre ebenso zu streiten wie über die Frage, inwiefern und wann dies für ihren einstigen Staat galt.
Christoph Kelz, Hendrik Mayer, Erhard Weinholz: Sozialistische Alternative DDR 89. Die Initiative für eine Vereinigte Linke in Texten und Dokumenten. Broschüre, 95 S., kostenfrei bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Online unter: rosalux.de
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