Getanzte Gespenster

Gefangen im Spätkapitalismus: Mit »It’s All Forgotten Now - A Performative Mixtape for Mark Fisher« huldigt der Choreograf Christoph Winkler dem verstorbenen britischen Kulturtheoretiker

  • Lara Wenzel
  • Lesedauer: 5 Min.

Mit dem Konzept der Hauntologie, einer Art Geisterlehre oder auch der Ontologie der Heimsuchung, hat der Kulturtheoretiker Mark Fisher beschrieben, wie in der gegenwärtigen Gesellschaft die Gespenster verlorener Zukünfte wiederkehren. Was hätte sein können, aber (noch) nicht eingetreten ist, erscheint in der Kunst von Musiker*innen wie den düsteren Klängen von Burial, argumentiert er mit dem von dem französischen Philosophen Jacques Derrida übernommenen Begriff. Der Choreograf Christoph Winkler greift das Wiedergängertum vergangener Visionen in seiner tänzerischen Hommage an den Autor auf. Fisher selbst, der sich 2017 umgebracht hat, wird in der Performance zur Heimsuchung. Gespenstisch legen sich seine Theorien, an einer Stelle auch Fishers körperlose Stimme, über die in Wiederholungen gefangenen Choreografien.

In der von den Sophiensälen in Berlin koproduzierten Arbeit »It’s All Forgotten Now - A Performative Mixtape for Mark Fisher« treten Text und Bewegung in einen verzerrten Austausch. Nichts steht in einfacher Übersetzung zueinander. Auf der fast leeren Bühne bewegen sich die fünf Tänzer*innen vereinzelt zu düsterer elektronischer Musik. Ergänzt werden sie durch im Hintergrund abgespielte Videoarbeiten, die sich auf dem glatten Fußboden spiegeln. Zerstückelt durch schwarze Balken erscheinen dort die Tänzer*innen, die nicht anreisen konnten, als Gespenster der Produktion. Die mal von Performer*innen eingesprochenen, mal eingespielten Texte bilden zu den Arbeiten nur den kontextuellen Rahmen. In den nach unten ziehenden Gesten, denen jede Leichtigkeit fehlt, tritt Fishers Blick auf die Postmoderne und den Kapitalismus pointierter zutage als in den Exzerpten seiner Texte.

Besonders eindrücklich wird dies in der entstellten Kopie einer Clubszene. Der erwarteten Ekstase beraubt, tritt Freude nur maskenhaft auf die Gesichter der Performer*innen. Hinter dem gezwungenen Lächeln des 21. Jahrhunderts lauert eine verborgene Traurigkeit, so schreibt Fisher in seinem Essay »Graue Welten: Darkstar, James Blake, Kanye West, Drake und ›Party Hauntology‹«. Die erhoffte euphorische Befriedigung stellt sich im eskapistischen Vergnügen nicht (mehr) ein, heißt es in dem Text aus dem Sammelband »Gespenster meines Lebens«. Fisher zufolge fasste niemand diese hedonistische Traurigkeit wie der Rapper Drake in seinem Song »Marvin’s Room«. Klagend stellt der fest: »We threw a party / yeah we threw a party«, wir haben eine Party geschmissen. Darin steckt eine verleugnete Leere, die sich in schnellem Vergnügen nicht auflösen lässt. Exzess wird vielmehr zu Pflicht, Feiern zur Arbeit.

Die sisyphushafte Erschöpfung setzt sich großartig in der angestrengten Schwere in den Bewegungen der Tänzer*innen fort. Vereinzelt mühen sie sich nebeneinander ab. Ein Austausch miteinander findet im performten Individualismus nicht statt. Dadurch entsteht in der Disharmonie zur Musik eine inkommensurable Traurigkeit ohne Katharsis. Brillant wird so eine deprimierende Grundstimmung in der Einsamkeit auf der Bühne transportiert, die sich ebenso durch das Werk von Fisher zieht.

Seine eigenen Depressionen und Depression als Effekt des Kapitalismus sind wiederkehrende Momente in seinen Büchern und dem von ihm betriebenen Blog »k-punk«. Der Umgang mit psychischen Krankheiten wird von der Ideologie der eigenen Verantwortung bestimmt. In »Kapitalistischer Realismus ohne Alternative?« betont er, dass Depressionen ihre Ursache im System haben und damit repolitisiert werden müssen. Psychische Erkrankungen seien Formen gefangener Unzufriedenheit, die nach außen kanalisiert und auf ihre eigentliche Ursache, das Kapital, gerichtet werden könne und müsse, so Fisher. Im Umschlag von individueller Erschöpfung in kollektive Unzufriedenheit könne auch die Alternativlosigkeit des Kapitalismus herausgefordert werden. Das krankmachende System stellt sich aber als unausweichlich dar, in dem antikapitalistische Kritik folgenlos in populären Medien konsumiert werden kann.

Utopistische Kollektivität wird in der Performance bewusst ausgelassen. Die Tänzer*innen erscheinen einerseits als vereinzelte Individuen auf der Bühne, werden aber auch zur Verkörperung uneingelöster Visionen. In den Gesten Lisa Rykenas, die wie eine untote Futuristin erscheint, zeigt sich das besonders präzise. Immer wieder richtet sie sich auf, versucht etwas zu greifen und sackt im Versuch in sich zusammen. Die verlorene Zukunft ist, wie der Sand, der den Performer*innen durch die Hände rinnt, nicht mehr zu fassen. Bedrohlich spitzt sich dies zum Ende zu, wenn Särge als manifestierte Gespenster auf die Bühne getragen werden. Dieses düstere Bild findet keine optimistische Auflösung. Es lässt sich aber wenigstens gegen den Titel des Abends sagen: Nicht alles ist vergessen. Wie schon Derrida über Marx’ Werk feststellte, werden wir weiterhin von vergangenen Ideen und Theorien heimgesucht.

Die Company Christoph Winkler nimmt sich gern schwieriger und sperriger Themen an. Der seit über 20 Jahren in Berlin wirkende Choreograf verarbeitete in einer seiner letzten Produktionen seine Krebskrankheit in dem tänzerischen Essay »On HeLa« über Tumorzellen. Winkler versucht in seinen Produktionen neue Themen aufzuschließen und westliche Perspektiven zu brechen. Das ist auch in »It’s All Forgotten Now« schwer zu ertragen und keinesfalls einfach genießbar.

Auch deshalb wirkt die Performance nach. Und obwohl sich Winkler in einem Interview selbst als Kulturpessimisten bezeichnete, sieht er auch positive Aspekte in seiner künstlerischen Arbeit. So kann er Gelder an Initiativen wie die »Kids of Nabulagala« umverteilen. Der Projektleiter Robert Ssempijja, einer der Tänzer der Kompagnie, entwickelte mit Kindern aus Kampala (Uganda) eine der Videoarbeiten, die als Gespenster im Hintergrund auftauchen. Wie in der Performance von Michael Gagawalu Kaddu, der von traditionellen, ugandischen Tänzen beeinflusst ist, werden auch mit dem Beitrag der »Kids of Nabulagala« ästhetische Strategien im Umgang mit Fishers Kapitalismuskritik aus einer nicht-westlichen Perspektive eröffnet. Der Stream der Produktion steht zwar kostenfrei bis Ende November auf der Seite der Sophiensäle zur Verfügung, über eine Spende an die ugandische Initiative freut sich die Company Christoph Winkler dennoch.

»It’s All Forgotten Now - A Performative Mixtape for Mark Fisher« der Company Christoph Winkler ist bis zum 29. November auf der Internetseite der Sophiensäle Berlin zu finden.

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