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Zwischen Essattacke und Hungerkur

Riskante Normen: Wenn Influencer und Online-Netzwerke wichtiger werden als Freunde und Familien

  • Angela Stoll
  • Lesedauer: 5 Min.

Eine möglichst schmale Taille, durchtrainierte Bauchmuskeln und dazu lange, schlanke Beine: Viele Mädchen träumen von einem solchen »Superbody mit Wow-Effekt«. Models wie Heidi Klum, aber auch Fitness-Influencerinnen, die in sozialen Netzwerken aktiv sind, können für Teenager negative Vorbilder sein. »Die Beschäftigung mit dem Schön-Sein ist ein Riesenthema auf Instagram und anderen Plattformen«, sagt der Psychologe Andreas Schnebel. Er leitet die Organisation Anad in München, die Menschen mit Essstörungen Beratung und Therapie anbietet. »Da wird extrem viel Druck auf Jugendliche ausgeübt«, beobachtet er. Häufig posten junge Nutzer daher auch bearbeitete Selfies, auf denen sie besonders schlank und schön erscheinen. Dadurch bringen sie Altersgenossen umso mehr in Bedrängnis.

Experten sind sich weitgehend darin einig, dass soziale Netzwerke die Entstehung von Essstörungen fördern können. So zeigt etwa eine Studie des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen und von weiteren Institutionen, dass Model- und Fitness-Influencerinnen solche Probleme unter Umständen verstärken. Bei einer Befragung von 138 betroffenen Frauen gaben drei Viertel an, auf Instagram aktiv zu sein und Bilder von sich zu posten. Mehr als 70 Prozent verwendeten Filter-Apps für Korrekturen und gaben mehrheitlich an, dass diese Bildbearbeitung auch Auswirkungen auf ihr Leben hätte. Zum Beispiel seien sie dadurch angeregt worden, mehr Sport zu treiben oder Diät zu halten. Jede zweite Teilnehmerin erklärte, dass Heidi Klum zumindest ein wenig Einfluss auf die Entwicklung der Essstörung hatte. Auch andere Idole, etwa das Model Lena Gercke oder die Fitness-Influencerin Pamela Reif, wurden häufig als einflussreich genannt.

So macht sich eine Essstörung bemerkbar
  • Wann sollten sich Angehörige Gedanken machen? Wenn sich Jugendliche stark mit ihrem Gewicht beschäftigen oder sehr unzufrieden mit ihrem Körper sind, erhöht sich das Risiko für eine Essstörung. Aufmerksam sollten Eltern vor allem dann sein, wenn ihr Kind die Ernährung abrupt umstellt oder sich nach der Mahlzeit erbricht. Ein plötzlicher Gewichtsverlust, aber auch Niedergeschlagenheit und sozialer Rückzug können auf eine Essstörung hinweisen.
  • Was können andere tun? Sie sollten den Jugendlichen ansprechen, aber mit Fingerspitzengefühl. Schuldzuweisungen und Vorwürfe sind tabu. Häufig streiten Betroffene Probleme aber ab. Eltern sollten sich davon nicht beruhigen lassen, sondern auf einen Arztbesuch drängen, da eine Essstörung eine ernste Krankheit ist. Betroffene lassen sich nicht zwingen, Hilfe anzunehmen. Angehörige und Freunde sollten aber versuchen, sie dazu zu motivieren und ihnen Begleitung anbieten.
  • Wann muss man handeln? Wenn der Betroffene einen schwer kranken Eindruck macht oder der Verdacht besteht, er könnte sich etwas antun wollen, sollte man sich sofort an einen Arzt wenden. Im Krisenfall steht auch die Telefonseelsorge unter 0800 1110111 oder 0800 1110222 rund um die Uhr zur Verfügung.
  • Wo erfährt man mehr? Im Internet finden sich seriöse Informationen bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung unter https://www.bzga-essstoerungen.de , beim Verein ANAD unter https://www.anad.de oder beim Frankfurter Zentrum für Ess-Störungen unter https://www.essstoerungen-frankfurt.de ast

»Es gibt wohl kaum jemanden, der allein wegen der Nutzung sozialer Medien in eine Essstörung hineinrutscht«, sagt Schnebel. Dennoch können Online-Plattformen das Gefühl der Unzufriedenheit, wie es viele junge Menschen in Bezug auf ihren Körper haben, bestärken. Dabei spielen nicht nur bestimmte Schönheitsideale, sondern auch Communities eine Rolle. »Derzeit geht es nicht mal so sehr um das Super-Dünn-Sein, sondern darum, einen athletisch-definierten Körper zu haben«, berichtet der Psychologe Uwe Berger vom Universitätsklinikum Jena. So vermittelten manche Fitness-Gurus den Eindruck, dass sich mit einem straffen Trainings- und Ernährungsprogramm Wohlbefinden rundum erreichen lasse. Durch »Likes« und Kommentare von anderen fühlten sich die Nutzer angespornt. »Sie haben das Gefühl dazuzugehören und bekommen soziale Anerkennung«, erklärt Berger. Solche Netzwerke könnten nicht nur die Entstehung von Magersucht, sondern auch anderer Essstörungen fördern. »Es kann sein, dass man bei Krisen in Essanfälle verfällt«, sagt der Psychologe. Forscher gehen davon aus, dass »Binge Eating«, also exzessives Frustessen, inzwischen deutlich häufiger ist als Magersucht.

Dass Teenager ein auffälliges Essverhalten an den Tag legen, kommt relativ oft vor: Wie die Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS) ergab, zeigt jeder fünfte Jugendliche zwischen elf und 17 Jahren zeitweise Symptome einer Essstörung, etwa gelegentliche Essattacken oder Hungerkuren. Aber nur wenige davon werden wirklich krank. »Essstörungen sind insgesamt selten«, sagt Berger. Daran hat auch auch das Internet-Zeitalter nichts geändert. Der oft negative Einfluss von Online-Plattformen geht, anders als häufig vermutet, nämlich nicht mit einem steilen Anstieg der Erkrankungszahlen einher: »Man kann nicht pauschal sagen, dass Essstörungen in den vergangenen Jahren zugenommen hätten«, erklärt der Psychologe. Das bestätigt die Diplompädagogin Sigrid Borse, die das Frankfurter Zentrum für Ess-Störungen leitet: »Belege für einen Anstieg gibt es nicht.« Allerdings müsse man bei Bulimie (Ess-Brech-Sucht) und Binge Eating von einer hohen Dunkelziffer ausgehen. Oft lassen sich die Patienten auch nicht klar zuordnen: Manche leiden etwa zunächst an einer Magersucht, aus der später eine Binge-Eating-Störung entsteht.

Was sich aber geändert hat, ist das Alter, in dem die Probleme beginnen. So berichtet der Therapeut Andreas Schnebel: »Es ist erschreckend, dass die Betroffenen immer jünger sind. Manchmal sitzen bei Anad schon Zwölfjährige in der Beratung.« Das liege daran, dass sich die Jugendlichen früher mit sozialen Medien beschäftigen und die Pubertät immer früher beginnt. Ähnliches berichtet Sigrid Borse und fügt hinzu: »Je früher eine Essstörung anfängt, desto schlimmer sind ihre Auswirkungen.« So kann es bei magersüchtigen Kindern zum Beispiel zu Wachstumsverzögerungen kommen. Übrigens handelt es sich dabei keineswegs nur um Mädchen: »Zunehmend sind auch Jungen und junge Männer von Essstörungen betroffen«, berichtet die Pädagogin.

Um negativen Auswirkungen diverser Online-Plattformen vorzubeugen, plädiert Borse dafür, an Schulen die Medienkompetenz von Jugendlichen zu stärken. Schüler sollten gut über soziale Netzwerke informiert sein und sich auch kritisch mit dem Schönheitsideal, das dort häufig vermittelt wird, auseinandersetzen. »Wir brauchen entsprechende Projekte an den Schulen«, meint sie. Der Jenaer Psychologe Uwe Berger sieht dabei die Hauptaufgabe der Prävention darin, das Selbstwertgefühl von Kindern und Jugendlichen zu stärken. »Zum Beispiel ist es wichtig, das Wir-Gefühl in der Klasse zu stärken.« Wer sich in einem solchen sozialen Gefüge gut aufgehoben fühlt, sucht wahrscheinlich weniger nach Bestätigung in einer zweifelhaften Online-Community. Abgesehen davon können auch Vereine und natürlich die Familie das Bedürfnis befriedigen, in einer Gruppe anerkannt zu sein und sich ihr zugehörig zu fühlen.

Ansonsten gibt es auch Initiativen, soziale Medien gezielt zur Vorbeugung von Essstörungen zu nutzen. So ist im vergangenen Jahr zum Beispiel der Blog »InCogito« online gegangen, in dem Jugendliche über psychische Probleme und andere Themen, die sie beschäftigen, schreiben. Zudem wird eine Peer-Beratung, also ein Austausch mit Gleichaltrigen, angeboten - für Borse ein vielversprechender Ansatz.

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