Auf der Spreeterrasse spazieren

Generalintendant Hartmut Dorgerloh zur Eröffnung des Humboldt-Forums in Berlin

Fällt Ihnen ein Stein vom Herzen, dass nun endlich das Humboldt-Forum in Berlin eröffnet werden kann, oder besser: könnte? Denn von einer richtigen Eröffnung kann ob des Lockdowns wohl keine Rede sein.

Ich bin froh, dass wir die Betriebsgenehmigung erhalten haben, das Schloss keine Baustelle mehr ist, wir noch vor Weihnachten die Regie über das Haus übernehmen können. Es sind zwar noch nicht alle baulichen Maßnahmen im Innenbereich vollendet, und auch Pächter wie die Gastronomie, darunter das Spreerestaurant, müssen vorerst passen wegen Corona. Dennoch: Es ist ein ganz wichtiger Meilenstein, dass das Humboldt-Forum nun startbereit ist. Aber es ist natürlich bitter, dass wir das Publikum, für das zahlreiche Mitarbeiter verschiedener Wissenschafts- und Kultureinrichtungen in den letzten Jahren leidenschaftlich und hart gearbeitet haben, nicht ins Haus lassen, sondern ihm nur digital einen Eindruck vermitteln können. Das ist sehr, sehr schade. Diese Enttäuschung teilen wir jedoch mit vielen anderen kulturellen und wissenschaftlichen Einrichtungen und Projekten in dieser Zeit.

Chronik eines Ortes
  • 1443: Kurfürst Friedrich II., genannt »Eisenzahn«, lässt ein Schloss anstelle einer vormaligen Burg bauen.
  • 1699: Andreas Schlüter baut das Schloss der preußischen Kurfürsten (ab 1701 Könige) im Barockstil aus.
  • 1845 bis 1853: Unter Friedrich August Stüler und Albert Dietrich Schadow wird die Kuppel des Schlosses nach Entwürfen von Karl Friedrich Schinkel gestaltet.
  • 3. Februar 1945: Bei dem schwersten Bombenangriff auf das Berliner Stadtzentrum brennt das Schloss bis auf den Nordwestflügel aus.
  • 30. Dezember 1950: Auf Beschluss der DDR-Volkskammer wird die Schlossruine gesprengt.
  • 1973 bis 1976: Nach Plänen eines Architektenteams unter Heinz Graffunder wird auf dem Gelände des ehemaligen Berliner Stadtschlosses der Palast der Republik errichtet.
  • 1992: Zwei private Initiativen, die Gesellschaft Berliner Schloss e.V. und der Förderverein Berliner Schloss e.V. um den Hamburger Kaufmann Wilhelm von Boddien, gründen sich mit dem Ziel des Wiederaufbaus der Hohenzollern-Residenz; Beginn öffentlicher kontroverser Debatten.
  • 2002: Eine vom Berliner Senat eingesetzte Internationale Expertenkommission Historische Mitte Berlin empfiehlt, das Schloss anstelle des abzureißenden Palastes der Republik mit originalgetreu nachgestalteten Fassaden wieder aufzubauen und es als Museum und Kulturort zu nutzen; der Bundestag stimmt dem mit Zweidrittelmehrheit zu.
  • 2006 bis 2008: Der seit 1990 geschlossene Palast der Republik wird abgerissen.
  • 2007: Ein Architektenwettbewerb wird ausgeschrieben. Bundestag und das Berliner Abgeordnetenhaus beschließen, 2010 mit dem Wiederaufbau zu beginnen. 
  • 2009: Die Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum wird gegründet.
  • 2010: Die Bundesregierung verschiebt im Zuge von Sparmaßnahmen im Bundeshaushalt den Baubeginn auf 2014. Das Bundesbauministerium orientiert darauf, das Berliner Schloss bis 2019 fertigzustellen.
  • 2013: Grundsteinlegung für den Neubau des Schlosses.
  • 2015: Richtfest
  • 16. Dezember 2020: Digitale Eröffnung des Humboldt-Forums im Berliner Schloss, dessen Aufbau 677 Millionen Euro aus Bundesmitteln gekostet hat.

Es steht noch keine einzige Ausstellung?

Doch, unsere Ausstellungen zur Geschichte des Ortes mit Schlosskeller, Videopanorama, Skulpturensaal und »Spuren« sind fertig. Die Ausstellungen unserer Berliner Partner, also Humboldt-Universität und Kulturprojekte Berlin sowie Stadtmuseum, sind ebenfalls fertig. Wir müssen allerdings, wie alle anderen auch, auf die Entscheidung des Senats warten, wann die Museen ihre Pforten wieder öffnen können. Wir werden dann ganz gewiss mit unter den Ersten sein.

Anfang Januar werden wie geplant die ersten Exponate aus dem Ethnologischen Museum Berlin-Dahlem und des Museums für Asiatische Kunst einziehen. Die Westflügel des zweiten und dritten Obergeschosses werden bis zum Spätsommer komplett bestückt sein, zum Jahreswechsel 2021/22 auch die Räume im Ostflügel. Anfang Januar wollten wir auch schon gern unser Angebot für Kinder offerieren, eine Mitmachausstellung. Und wir hätten ebenso gern zu den ersten Veranstaltungen eingeladen, denn das Humboldt-Forum versteht sich nicht nur als Museum und Ausstellungsort, sondern will auch Kulturzentrum sein. Das geht aber derzeit, coronabedingt, nicht.

Immerhin: Es wird keinen Bauzaun mehr geben, weil das Terrain keine Baustelle mehr ist. Man kann also außen ums Haus rumlaufen und auf der Spreeterrasse spazieren gehen. Bei unserer digitalen Eröffnung am Mittwoch wollen wir einen Eindruck davon vermittelt, was alles vorbereitet ist und auf das Publikum wartet.

Die digitale Eröffnung ist für alle Interessierten auch noch in den nächsten Tagen nacherlebbar?

Ja. Und wir bieten auch schon mal vier virtuelle Spaziergänge an. Die Schriftstellerin und Aktivistin Priya Basil, die erst seit kurzem in Besitz der deutschen Staatsbürgerschaft ist, erkundet das Humboldt-Forum in einem Kurzfilmessay aus einer sehr persönlichen Perspektive, will wissen, was das umstrittene Gebäude und das heftig diskutierte Projekt für unser Verständnis von Vergangenheit und Gegenwart bedeutet.

Aus migrantischere Sicht.

Genau. Und unter dem Motto »Ick kiek schon mal rin ...« führt der Stand-up-Comedian Stefan Danziger digital durch das Haus, an ungewöhnliche und teils geheime Orte, in unterirdischen Gängen und Maschinenräumen, vom Keller bis unter die Kuppel. Er stellt bei seiner Tour auch die wirklich wichtigen Fragen: Was kostet ein Kaffee? Wer hält das riesige Gebäude sauber? Außerdem bieten wir ein 360-Grad-Rundumblick über die Nachbarschaft des Humboldt-Forums - ein ganz besonderes Raumerlebnis.

Sind Sie zufrieden respektive können Kritiker zufrieden sein mit dem, was im Humboldt-Forum - so es dann richtig geöffnet ist - zu Kolonialismus sowie Raub- und Beutekunst zu sehen und zu erfahren ist?

Die Staatlichen Museen sind seit vielen Jahren in intensiven Gesprächen sowohl mit Herkunftsgesellschaften der von ihnen bislang beherbergten und gepflegten Objekte wie auch mit Aktivisten, die deren Rückgabe und Restitution fordern. Die Mitarbeiter der Staatlichen Museen verfolgen nicht nur die Debatten um koloniales Unrecht und Raubkunst, sondern sind auch aktiver Diskussionspartner. Mit dem Nationalmuseum in Daressalam in Tansania gibt es seit Jahren ein gemeinsames Projekt, das sich der Provenienzforschung und Vorbereitung der Rückgabe von einst unrechtmäßig erbeuteter Kulturgüter widmet. Das wollen wir gern nächstes Jahr vorstellen. Danach soll die Ausstellung nach Tansania gehen, und es wird dann auch zu Rückerstattungen kommen. Bund und Länder haben da eine ganz klare Position. Insofern wird also das Humboldt-Forum auch ein wichtiger Ort der Wiedergutmachung sein. Hier wird nicht einfach über die Menschen geredet, die vom deutschen Kolonialismus unterjocht, unterdrückt, ausgeplündert und ausgeraubt oder auch gar ermordet worden sind - wir geben ihnen eine Stimme, lassen sie selbst berichten.

Und geben zurück, was zurückgehört?

Mir ist ganz wichtig, dass nicht wir allein über Rückgaben entscheiden, dies sollte gemeinsam mit den Herkunftsländern geschehen. Es kann nicht sein, dass wir in einer Art generöser Geste beschließen, was von einst nach Deutschland gebrachten Objekten wieder zurückkehrt. Das wäre eine arrogante Pose, die das Humboldt-Forum dezidiert und definitiv ablehnt. Wir konsultieren die Experten aus den Herkunftsgebieten. Und da stellt sich manches viel bunter, differenzierter, vielschichtiger und teils entspannter dar, als man es sich aus Berliner Perspektive vorstellt.

Was wird von den Gebrüdern Wilhelm und Alexander von Humboldt im Humboldt-Forum zu erfahren sein?

Den Brüdern kommt eine ganz besondere Rolle zu, sie sind absolut präsent. In der großen Schlosspassage, durch die man hoffentlich bald wandeln kann, gibt es eine Ausstellung, auch von außen sichtbar, die zentrale Botschaften von Wilhelm und Alexander von Humboldt vermittelt und begründet, warum die beiden, der Staatsmann und Reformer wie auch der Naturforscher und Kosmopolit, für uns heute noch wichtig sind. Man darf sie allerdings nicht zu Helden verklären. Wir drücken uns nicht vor einer kritischen Bewertung der Humboldts, sie waren natürlich Kinder ihrer Zeit. Alexander von Humboldt hat sich von Einheimischen durch den südamerikanischen Urwald führen lassen und ist auch nicht den Orinoko hinauf oder herunter selbst gerudert, er genoss die Privilegien eines weißen Mannes auf seinen Forschungsreisen. Ohne die Indigenen, ohne deren Kenntnisse und Fähigkeiten, hätte er seine Erkundungen und Entdeckungen nicht machen können.

Aber man kann Alexander von Humboldt nicht als einen Apologeten der Sklaverei diffamieren, wie hierzulande zu seinem 250. Geburtstag ahistorisch und im kritischen Überschwang geschehen.

Es gibt Aussagen von ihm über den Sklavenaufstand auf Haiti von 1791, der ersten erfolgreichen Revolution versklavter Menschen aus Afrika. Alexander von Humboldt war nicht auf Haiti, aber auf der Nachbarinsel Kuba. Er hat die Haitianische Revolution sehr aufmerksam verfolgt und sich solidarisch erklärt. Man muss - wie immer im Leben - genau hinschauen, ehe man ein Urteil fällt. Man darf nicht unkritisch sein, aber auch nicht leichtfertig abwerten. Alexander von Humboldt war sich seiner Privilegien bewusst, hatte aber ebenso ein sehr feines Gespür für die sozialen Missstände seiner Zeit.

Waren die Humboldts dereinst selbst Gäste im Berliner Schloss?

Sie waren oft eingeladen bei den preußischen Königen Friedrich Wilhelm III., Mäzen von Architektur und Kunst, und Friedrich Wilhelm IV., der sich um die Berliner Museumsinsel verdient gemacht hat...

Der berüchtigte Kartätschenprinz, der die 1848er Revolution niederschlagen ließ.

Vor allem Alexander von Humboldt musste regelmäßig rapportieren, von seinen Reisen berichten. Einmal stöhnte er: »Jetzt muss ich schon wieder zu so einer langweiligen Hofgesellschaft.«

Mal eine ganz andere, ostdeutsch begründete Frage: Wann zieht die Gläserne Blume der Magdeburger Künstler Reginald Richter und Richard O. Wilhelm aus dem Palast der Republik ins Humboldt-Forum ein?

Ihr Einzug ist in der ersten Phase der Eröffnung des Humboldt-Forums noch nicht vorgesehen, aber sie wird trotzdem präsent sein. Wir haben einen 28 Meter großen Bildschirm, auf dem die Geschichte des Ortes reflektiert wird. Und da wird auch sehr ausführlich über den Palast der Republik informiert, da taucht dann auch die Gläserne Blume auf, wenn auch erst mal nur bildlich. In der Dauerausstellung zur Geschichte des Ortes werden dann mehrere Exponate aus dem Palast zu sehen sein, nicht nur das Leitsystem, sondern auch Programmhefte von Konzerten sowie Parteitagseinladungen. Es wird an Künstler wie Helga Hahnemann oder auch das populäre Tanzduo erinnert …

Susan Baker aus Leipzig und Emöke Pöstenyi aus Budapest.

Gezeigt wird, was für ein breites öffentliches Leben dort stattfand, von politischen Veranstaltungen bis hin zu Rock und Pop sowie Sport.

Im Mittelpunkt stehen nicht die Überwachungskameras?

Sie werden gezeigt, aber auch die gläserne Urne, die symbolisch für die letzte und erste freie Volkskammerwahl steht, Gemälde aus der Palastgalerie unter dem von Fritz Cremer vorgegebenen Motto »Dürfen Kommunisten träumen?« und und und. Kurzum: Der Palast der Republik wird nicht vergessen im Humboldt-Forum.

Zum Schluss: Was ist Ihr persönlicher Wunsch für 2021?

Ich würde gern mal wieder meine Eltern umarmen. Hoffentlich sind wir Corona bald los.

Hartmut Dorgerloh ist gebürtiger Berliner, Jahrgang 1962, studierte Kunstgeschichte und Klassische Archäologie an der Humboldt-Universität zu Berlin und arbeitete 1987 bis 1990 als Konservator am Institut für Denkmalpflege der DDR. 1991 wechselte er in das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des kurz zuvor wieder begründeten Landes Brandenburg, wo er das Referat für Denkmalschutz leitete. Ab 2002 Generaldirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, wurde er 2018 zum Generalintendanten des Humboldt-Forums berufen.

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