- Kultur
- Veganes Essen
Ich komme mit Seitanrouladen zu deinem Abendessen
JEJA NERVT: Seitdem klar ist, dass der Planet in die Klimakatastrophe kippt, ist es Zeit für: veganes Essen
Eigentlich finde ich, dass es sich nicht ziemt, anderen Menschen die eigenen Ernährungsgewohnheiten unter die Nase zu reiben. Oder, noch schlimmer: auf diesem Feld missionarisch unterwegs zu sein. Beim Veganismus ist es so, dass ich stets dachte: So lange die Menschheit auf diesem Planeten in einem so erbärmlichen Zustand ist, steht das Wohl von Tieren hintan. Doch mit der Durchsetzung der Erkenntnis, dass wir kurz davor stehen, die klimatischen Lebensbedingungen auf dem Planeten Erde über einen kritischen Kipppunkt zu kicken, hat sich das ein wenig geändert.
Klar, die Haltung, meine Ernährung zu meiner Privatsache zu machen, hatte auch andere Gründe. Etwa den, dass man als Veganer*in überall mit den Ernährungsgewohnheiten von Fleischessenden belästigt wird, wenn auch nur durchsickert, dass man beim Fleisch verzichtet. Entgegen einer weit verbreiteten Auffassung werfen Omnivoren Veganer*innen genau diese Überthematisierung von Ernährung vor, die sie selber betreiben. Man muss herhalten für das schlechte Gewissen der anderen, egal, mit wie wenig missionarischem Eifer die selbst gemachten Seitanrouladen auf den Tisch kommen.
Ich bin seit etwa 14 Jahren Veganer*in und hatte in all dieser Zeit keine Probleme mit Vitamin B12. Kleiner Scherz, natürlich hatte ich welche. Als meine Werte im Blutbild unter eine gewisse Schwelle gerutscht sind, musste ich anfangen, das Vitamin zu substituieren - mit Tabletten aus der Drogerie. Das wusste ich aber auch schon 2007, als ich mit der Ernährungsumstellung anfing. Die Armee von Boomern um mich herum, die mir damals ankündigte, ich werde das nicht lange durchhalten, sei es aus kulinarischen oder aus gesundheitlichen Gründen, hat natürlich nicht Recht behalten.
Mir waren Tiere eigentlich immer einigermaßen egal, aber wesentlich mehr braucht es auch nicht, um zu finden, dass sie nicht getötet werden sollten - zumindest nicht in dem unverhältnismäßigen Maße, das es bedeutet, wenn man sich von ihnen ernähren will. Immerhin fordert zum Beispiel auch das Mähen von Feldern seinen Tribut im Tierreich. Ich habe das sogar selber schon getan - RIP süßes Kaninchenbaby. Man muss also nicht heilig sein, wenn man sich vegan ernährt - falls das jemand befürchtet hat.
By the way: das schlechte Gewissen der Omnivoren ist natürlich berechtigt. Abseits der moralischen Fragen in Bezug auf Tiere gibt es jedoch noch ganz andere handfeste, vernünftige, ja sogar egoistische Gründe, mit dem Konsum tierischer Produkte Schluss zu machen. 13,3 Kilo CO²-Äquivalenz bedeutet die Produktion von einem Kilo Rindfleisch, beim Schwein sind es noch etwa 3 ½. Das berühmte genmanipulierte Soja aus Raubbau am Amazonas-Regenwald ist übrigens hier mit eingerechnet, und nicht etwa in meinem Speiseplan: rund ¾ des globalen Soja-Anbaus landet in Futtertrögen. Das Soja aus der Supermarktmilch kommt aus Österreich.
Als die Kids von Fridays For Future 2019 den Finger auf den nackten König richteten und unsere zerstörerische Lebensweise anprangerten, war in den Medien viel von einer angeblichen »Flugscham« die Rede. Dabei schlägt die Ernährung mit Fleisch, Eiern und Milchprodukten im persönlichen Klima-Fußabdruck viel höher aus als das Fliegen. Dem Ökologen Joseph Poore zufolge sparen Veganer*innen gegenüber Fleischessenden ganze acht Flüge von Berlin nach London ein - pro Jahr.
Als Linke sind wir in der unkomfortablen Position, dass keine Regierung in den nächsten Jahren auf die Idee kommen wird, eine vernunftgeleitete Produktion anzuschieben. Das gilt für Corona und den ausbleibenden echten Lockdown nun mal genau so wie für Klima und Ernährung. Wenn es, für später mal, Hoffnung geben soll auf einen menschenwürdigen Zustand - egal, ob Sie das jetzt Sozialismus nennen, eine sozialistische Demokratie, Kommunismus, bei dem dieses Mal aber alles ganz, ganz anders wird - müssen wir vorher diesen Planeten auffangen. Wenn eine mitunter krude Ernährungsreform-Bewegung »von unten« einen Teil dazu beitragen könnte, ist sie es wert, sich mal auf den Gedanken einzulassen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.