Von wegen Primus inter pares

Einige Merkwürdigkeiten aus der 250-jährigen Geschichte der US-amerikanischen Präsidentschaft

Mir gefällt an der amerikanischen Regierungsform, dass ein privater Bürger vom Volk in eine Position gewählt werden kann, die so bedeutend ist wie die des mächtigsten Monarchen, dass er auf Zeit mehr Macht ausüben darf als Zar, Kaiser und Papst, und dass er dann nach Ablauf der Amtsperiode mit voller Selbstachtung als Privatmann in den Kreis seiner Mitbürger zurückkehrt, ohne etwas anderes zu beanspruchen als das, was ihm auf Grund seiner Verdienste zusteht.« Derart pries Theodore Roosevelt, der 1901 als bisher jüngster US-Präsident auf die Verfassung vereidigt worden ist, nachdem William McKinley, dem er als Vize gedient hatte, einem Attentat zum Opfer gefallen war. Bekanntlich nicht der erste und auch nicht der letzte Präsident, dem dieses Los zuteil wurde.

Die kürzesten Präsidentschaften in der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika waren indes nicht Gewalt verschuldet. General Zachary Taylor, der bei Ausbruch des legendären kalifornischen »Goldrauschs« vor allem ob seiner »Verdienste« in den Vertreibungs- und Ausrottungsfeldzügen gegen die indigenen Völker sowie gegen Mexiko gewählt worden ist, waren nur knapp anderthalb Jahre im Weiße Haus vergönnt. Der aus Louisiana stammende und zunächst als unpolitisch geltende Besitzer einer Baumwollplantage in Mississippi, auf der über hundert Sklaven schufteten, setzte sich in seiner Amtszeit überraschend für die Abschaffung der Sklaverei ein, was nach seinem unerwarteten, plötzlichen Tod am 9. Juli 1850 Gerüchte befeuerte, er sei von der Fronde der Sklavenhalter vergiftet worden. Es war profaner. »Old Rough«, wie das militärische Raubein genannt wurde, war während der Feiern zum Tag der Unabhängigkeit mehrere Stunden ungeschützt praller Sonne ausgesetzt gewesen und hatte anschließend zu viel eisige Getränke zu sich genommen. Weshalb sein Leben schon mit 66 endete, statt da erst anzufangen, wie ein österreichischer Schlagersänger in einem seiner größten Hits behauptete, der auch niemals in New York gewesen sein will.

Noch kürzer im Amt war William H. Harrison, Sohn eines Mitunterzeichners der Unabhängigkeitserklärung der nordamerikanischen Kolonien des British Empire. Geboren auf einer Plantage in Virginia noch als britischer Staatsbürger, hatte sich Harrison junior ebenfalls in brutalen Kriegen gegen die Ureinwohner unrühmliche Sporen verdient. »Old Tippecanoe«, so sein Beiname nach seinem Sieg am Tippecanoe Creek, fiel jedoch bei seinem Kriegsminister in Ungnade und musste sich hernach als zunächst Gesandter und dann Geschichtsschreiber die Brötchen verdienen. Politische Intrigen sowie eine handfeste Wirtschaftskrise verhalfen ihn auf präsidialem Stuhl. Der neunte Mann an der Spitze der USA, der eigentlich eine medizinische Laufbahn einschlagen sollte, konnte sich nur 30 Tage seines Amtes erfreuen. Der bis Ronald Reagan zur Amtseinführung älteste US-Präsident verstarb am 4. April 1841 auch als erster in der Riege der US-Präsidenten im Weißen Haus. Bei seiner anderthalbstündigen Inauguration und folgenden öffentlichen Antrittsveranstaltungen in eisig-kalten Märztagen mit Schneeregen hatte er, der im Gegensatz zu der von »Teddy« Roosevelt gerühmten, eingangs zitierten Machtfülle bescheiden ein »Primus inter pares« (Erster unter Gleichen) sein wollte, sich eine tödliche Lungenentzündung zugezogen. Sein Großvater mütterlicherseits war übrigens Robert »King« Carter, einer der reichsten Männer in den 13 britischen Kolonien Nordamerikas, seine Mutter wiederum war eine Verwandte von Martha Washington, der Gattin des ersten US-Präsidenten. Was ein weiteres Mal belegt, dass jene Männer, die Ambitionen auf das Weiße Haus hegten, nicht nur über selbst erworbenes Ansehen, sondern zugleich ein beträchtliches Vermögen und Seilschaften verfügen mussten.

George Washington, ebenfalls aus Virginia, Sohn eines früh verstorbenen Tabakplantagenbesitzers und Landvermessers, verdankte seinen stattlichen Reichtum, Aufstieg in die Südstaatenaristokratie und somit seine steile politische Karriere der Heirat einer Witwe und Mutter von zwei Kindern, die in die Ehe unter anderem 150 Sklaven einbrachte, deren Anzahl er selbst später mehr als verdoppelte. Der Lebemann - sein Landsitz Mount Vernon wurde Treffpunkt vergnügungssüchtiger Superreicher, die der Jagd, dem Pferderennen, Kartenspiel und üppigen Bällen frönten - hatte als Oberbefehlshaber der Kontinentalarmee im Unabhängigkeitskrieg gegen die Briten gekämpft und 1787 die verfassungsgebende Versammlung in Philadelphia geleitet. Seine mangelnde Schulbildung hat er mit umso größeren Aspirationen auf gesellschaftliche Anerkennung und politischen Einfluss wettzumachen versucht. Dem wohl berühmtesten Gründungsvater der Vereinigten Staaten von Amerika wurde 1976 anlässlich der 200-Jahrfeier der USA postum der höchste Dienstgrad eines »General of the Armies of the United States« verliehen.

Theodor »Teddy« Roosevelt war 1906 als erstem Amerikaner der Friedensnobelpreis zuerkannt worden. Für die Vermittlung im Russisch-Japanischen Krieg, nicht als Vorschusslorbeer, wie bei Barack Obama. Aber auch »Teddy« praktizierte nach außen kriegerische Interventionspolitik, genannt »Big Stick«. Männer aus »einfachem Volke« waren die Präsidenten allesamt nicht. Und eine »Prima inter pares« hatten die USA auch noch nicht. Vielleicht schafft es die von Joe Biden zur Vize erkorene Kamala Harris. Hoffentlich ohne ein Attentat, derer es 21 auf US-Präsidenten gab, vier mit Todesfolge. Und was nach dem Sturm auf das Kapitol just nicht nur US-Schauspieler Ron Williams befürchtet.

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