Grenzregime

Kaltes Meer, warme Sonne: Der Spielfilm »Moffie« zeigt einen schwulen Rekruten im faschistischen Südafrika

  • Stefan Gärtner
  • Lesedauer: 4 Min.

So wie es Schulfernsehen gibt, gibt es Schulkino, und wer in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts in Westdeutschland zur Schule ging, der hat, sofern die Schule nur links genug war, Apartheid-Filme gesehen, deren Titel er vergessen haben mag, die aber den Kampf und Sieg des unbezweifelbar Guten unzweifelhaft ins Bild setzten. Im Radio lief derweil Peter Gabriels »Biko«.

Falls das spöttisch klingt, liegt das in der Natur der Sache, denn pädagogisch brauchbare Filme haben, nun ja, etwas Pädagogisches; was sich, geht es um Südafrika, dadurch relativieren mag, dass es ja nun einmal so war, wie es war, und das Ende des südafrikanischen Rassenstaats ein zivilisatorischer Großerfolg, was immer dann daraus geworden ist. Trotzdem regt sich Skepsis, wenn es in »Moffie« um einen schwulen Wehrdienstleistenden im Südafrika des Jahres 1981 geht: Als hätte der auf den Tod Aids-kranke Tom Hanks in »Philadelphia« noch einen Prozess gegen die Tabaklobby am Hals.

Doch der Film gibt dem Vorbehalt nicht lange Nahrung: Der Schwarze, der sich auf dem Bahnhof von den einrückenden Rekruten demütigen lassen muss, ist erst einmal der letzte, den »Moffie« zeigt, denn schwarze Soldaten gibt es in Südafrika natürlich nicht. Was es gibt, ist ein Ausbildungsregiment, wie Stanley Kubrick es in »Full Metal Jacket« verewigt hat, samt, es sei gespoilert, Rekruten, die sich lieber eine Kugel durchs Hirn schießen, als den Sadismus der Ausbilder zu ertragen. Die Anleihen sind womöglich etwas sehr präsent, aber schnell begreifen wir, wie das alles zusammenhängt: Das brüllende Herrenmenschengetue und der verzahnte Hass auf Schwarze und Schwule - der Familienname der Hauptfigur lautet sprechend Van der Swart - sind Theweleits »Körperpanzer« hysterisch-sexualneurotischer Männlichkeit als Angst vorm Verweichlicht-Weiblichen, Schmutzig-Gestaltlosen, aber auch imaginiert Potenten, konkret vor der kommunistischen »Flut«, die aus dem benachbarten (schwarzen) Angola erwartet wird. Das alte Südafrika, das verwischt der Begriff »Apartheid« ein wenig, war ein faschistischer Staat.

Der Film funktioniert über Bande und gerade deshalb, weil Schwarze fast keine Rolle spielen. Mit moralischen Erläuterungen muss er sich nicht aufhalten, denn was hier falsch ist, ist ja eindeutig, zumal für das Publikum von heute; denn der zweite Kniff des Regisseurs Oliver Hermanus ist, dass die politische Haltung des jungen Nicholas im Vagen bleibt. Kein schwarzer Hausangestellter, der ihn durch die Kindheit begleitet hat, keine heimliche Liebe zu einem schwarzen Gleichaltrigen, die den jungen Mann in den Widerstand triebe; er ist bloß schwul, ein »Moffie«, der einen Mitrekruten liebt und beides, bei Strafe der Verbringung in die Psychiatrie, unterm Panzer halten muss. Und ganz wie bei Theweleit vorgesehen macht die verborgene Homosexualität Nick sogar zu einem angepassten, also guten Soldaten, der dem schwarzen Rebellen ins brechende Auge blickt wie einer, der ein Tier erlegt hat. Dass der Subtext hier, wie beim »Dienst an der Grenze« sowieso, in Großbuchstaben dasteht, wird man Hermanus um so weniger vorwerfen wollen, als seine Regie sich alle Mühe gibt, den Zusammenhang zu unterspielen.

Überhaupt enthält sich der Film, dessen Blick gern die Brennweite ändert und Vorder- oder Hintergrund der Unschärfe überlässt, jedes Kommentars, von gelegentlicher Bedeutungsmusik abgesehen. Das Ende ist danach, nämlich ohne Ergebnis, und die flache Metapher vom offenen Meer, in dem Nick noch nie geschwommen ist, gewinnt unversehens an Tiefe, als er sich, nach Ende der Militärzeit mit dem geliebten, doch gebrochenen Dylan am Strand sitzend, in der Sonne wärmt: Das Meer ist kalt, doch die Sonne ist warm, und das Unglück des jungen Schwulen wird sich, Dylan ahnt es, gegen das Privileg des jungen Weißen behaupten müssen. Was die Kritik am Konzept der Intersektionalität vorbringt, dass es Diskriminierung nur als Einbahnstraße fasse, mithin nur Opfer als Opfer (und nicht gegebenenfalls auch als Täter) kenne, formuliert »Moffie« in aller Trockenheit, und ist der Film Schulkino, dann auf dem Niveau eines sehr avancierten Leistungskurses.

»Moffie«: Südafrika 2019. Regie: Oliver Hermanus, Drehbuch: Oliver Hermanus, Jack Sidey. Mit: Kai Luke Brummer, Ryan de Villiers. 103 Minuten. Als DVD & VoD bei salzgeber.de.

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