Vermessung und Vermessenheit

Ursula Schulz-Dornburg und Martin Zimmermann offerieren Zeugnisse der Kolonialgeschichte

  • Harald Loch
  • Lesedauer: 3 Min.

Was hat der weiße Elefant mit der Nasa zu tun? Und was um Himmels willen mit dem hinreißenden Renaissancegebäude, dessen Abbild den Deckel eines neugierig machenden Buches ziert? Ursula Schulz-Dornburg hat das Foto beigesteuert und weitere künstlerisch wertvolle Lichtbilder aus dem Archivo General de Indias in Sevilla, das seit 1785 drei Jahrzehnte spanischer Kolonialgeschichte in Amerika aufbewahrt, etwa 90 Millionen Dokumente und an die 8000 Karten. Die Fotos zeigen ein prächtiges zweigeschossiges Gebäude, dessen Proportionen traumhaft zur prachtvollen Plaza davor passen. Das Archiv in Sevilla ist ein Monument längst vergangener Macht.

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Ursula Schulz- Dornburg/Martin Zimmermann: Die Teilung der Welt. Zeugnisse der Kolonialgeschichte.
Wagenbach, 153 S., geb., 28 €. •

Vom Inneren des Archivgebäudes, das zuvor als protzige Börse der Kolonialhändler diente, zeigen die Fotos langgestreckte Räume mit reich verzierten Tonnengewölben, mit Regalen für Akten und Mappen sowie Truhen von handwerklicher Meisterschaft. In kleine Erker fällt von außen helles Leselicht. Dann wirft die begnadete Fotografin einen Blick in die Regale, auf die beschrifteten Rücken von Ordnern: »Audiencia Mexico«, »Contratación« oder »Buenos Aires«, »Cuba« oder »Santa Fe«. Hier ist alles gesammelt, was von der ebenso glanzvollen wie grausamen Kolonialgeschichte Spaniens zeugt. Die begann mit der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus, dessen Bordbuch hier selbstverständlich ebenfalls aufbewahrt ist. Auch der berühmte Vertrag von Tordesillas aus dem Jahre 1494 liegt hier. In diesem einigten sich die Könige Portugals und Spaniens unter Vermittlung des Papstes auf die »Teilung der Welt« mittels einer Linie quer durch den Atlantik.

Hier nun kommt Martin Zimmermann, der Mitautor des Buches, ins Spiel, der nicht nur die wechselvolle Geschichte dieses Vertrages nachzeichnet, sondern in kleineren Essays Wissenswertes über solche »Teilungen« in der Antike und der Neuzeit zusammenstellt. Sie handeln von der Vermessung der Welt - und der Vermessenheit der Herrschenden, sie unter sich aufzuteilen. Die Berliner Kongokonferenz von 1884/85 teilte Afrika unter den Kolonialmächten auf - die Betroffenen waren freilich nicht zu den Verhandlungen geladen. Auch das Sykes-Picot-Abkommen von 1916, das die Interessensphären Englands und Frankreichs im Orient absteckte - ebenfalls ohne Beteiligung der Einheimischen -, ist Beispiel dafür, wie lange und verheerend solche Hybris nachwirken kann.

Zimmermann zitiert im Kontrast zu diesen Aufteilungen der Erde den Freudenausruf des Nasa-Astronauten William Anders vom 24. Dezember 1968, als hinter dem Mond plötzlich die Erde zu sehen war: »Oh, my God! Look at that picture over there. Here’s the earth coming up! Wow, is that pretty!« Es entstand damals das berühmte Nasa-Foto AS8-14-2383HR. Die Erde ungeteilt - wie schön!

Zimmermann wendet sich wieder dem Archiv in Sevilla und der spanischen Kolonialgeschichte zu, berichtet über Grausamkeiten, die ein früher, zeitgenössischer Kolonialkritiker, der Dominikaner Bartolomé de Las Casas, überlieferte. Der erste Bischof von Mexiko trat für die Rechte der Indios ein.

Zimmermann, Althistoriker an der Ludwig-Maximilians-Universität München und 2021 Sprecher des Deutschen Historikertages, hat auch die Rolle des Papstes bei der Weiterentwicklung des Vertrags von Tordesillas untersucht. König Manuel I. von Portugal, der kolonialen Konkurrenzmacht Spaniens, ließ Papst Leo X. 1514 kostbare Geschenke überbringen, um ihn günstig zu stimmen. Unterhaltsam beschreibt der Autor das Aufsehen um das Paradestück unter den Präsenten: ein vierjähriger weißer Elefant aus den indischen Kolonien Portugals, nach der Entdeckung des Seeweges um das Kap der Guten Hoffnung durch Vasco da Gama per Schiff nach Portugal gekommen. Etwa gleichzeitig entdeckte Ferdinand Magellan im Auftrag der spanischen Krone den Seeweg um Südamerika. Beide Kolonial- und Seemächte stießen also nicht nur im Atlantik, sondern auch im Pazifik und im Indischen Ozean aufeinander.

Ein solides und schön gestaltetes Buch, das zum Nachdenken über eine Zeit anregt, die ins Heute hineinwirkt.

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