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Kalter Krieg im Computer
Chips sind das neue Kampffeld in der Konkurrenz der Weltmächte.
Die US-Regierung geht in die Vollen: Ihr am Donnerstag in Kraft getretenes Konjunkturpaket über 1900 Milliarden Dollar ist eines der größten der Geschichte. Es addiert sich zu den Hunderten von Milliarden, die für Infrastrukturprojekte und Technologieförderung vorgesehen sind. Ähnlich, nur in kleinerem Maßstab, agieren die EU und China. Mit gigantischen Kreditprogrammen wollen sie ihre ökonomischen Potenzen über die Krise retten und Zukunftsmärkte besetzen. Im Zentrum des Kampfes steht derzeit ein kleines Gerät: Computerchips. Denn Mikroprozessoren versprechen nicht nur Profit. Für Regierungen sind sie auch ein entscheidendes Instrument zum Ausbau ihrer Macht.
Halbleiter sind das kleine, immer schneller schlagende Herz der Digitalisierung, ohne sie funktioniert heutzutage keine Gesellschaft mehr. »Speicherchips und Prozessoren sind eine Grundlagentechnologie«, erklärt die Stiftung Neue Verantwortung, eine Denkfabrik in Berlin. Jede Branche ist auf sie angewiesen, auf ihnen ruhen alle Hoffnungen auf Künstliche Intelligenz, selbstfahrende Autos oder superschnelle Computer. Wer Chips macht, macht andere von sich abhängig. »Daher sind Halbleiter im Zentrum der sich verstärkenden Rivalität zwischen den USA und China«, so die Stiftung.
Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Die globale Chip-Produktion ist heute auf wenige Länder konzentriert. Die USA, Taiwan, Südkorea, Japan, Europa und zunehmend auch China teilen den Markt unter sich auf - und sind gleichzeitig aufeinander angewiesen. Denn keiner von ihnen hat die gesamte Produktionspalette auf seinem Territorium. Die einen spezialisieren sich auf einzelne Produktionsschritte wie Design, Produktion oder Montage, andere auf bestimmte Technologien wie Speicherchips oder Prozessoren. »Strategische Autonomie« hat hier noch keiner erreicht.
Die Wertschöpfungskette ist global und daher störungsanfällig. Das bekamen jüngst die Autohersteller zu spüren. Probleme bei der Lieferung von Chips aus Taiwan ließen bei Ford und Toyota die Bänder stillstehen, Volkswagen konnte Tausende von Autos nicht herstellen. Mit weitreichenden Folgen: Unter anderem »die durch Lieferprobleme verursachten Produktionsstörungen in der Automobilindustrie haben uns veranlasst, die Prognose für das Wirtschaftswachstum für Deutschland abzusenken«, so die Deutsche Bank. So bekam die Welt ihre Abhängigkeit von dem kleinen Land zu spüren.
Taiwan »ist das potenziell kritischste Glied in der gesamten Halbleiter-Wertschöpfungskette«, erklärt die Stiftung Neue Verantwortung. Damit erhält die Chip-Branche geopolitische Bedeutung. Denn Peking betrachtet Taiwan als eine Provinz, »Taiwan liegt im Gravitationszentrum der chinesischen Sicherheitspolitik«, sagte Mathieu Duchatel vom Pariser Institut Montaigne dem Informationsdienst Bloomberg. Die Regierung in Taipeh sieht sich einem potenziellen Invasionsrisiko gegenüber. Die US-Regierung wiederum hat die Taiwan-Frage zu ihrem wichtigsten Fokus in Asien erklärt und liefert weiter Waffen an das Land.
US-Präsident Joe Biden hat nun die Bereiche Halbleiter, Künstliche Intelligenz und Netzwerke ins Zentrum seiner Asienstrategie gestellt. Hier gehe es um den Kampf der »Techno-Demokratien« gegen »Techno-Autokratien«, also China. Computerchips seien eine Frage der nationalen Sicherheit, sagte Senator John Cornyn Bloomberg, »denn sie lassen alles laufen, von F-35-Tarnkappenbombern bis zu unseren Handys«.
Washington lockt daher nun im Rahmen des »CHIPS for America Act« mit Steuervorteilen und Subventionen Chipproduktion in die USA. Taiwans TSMC baut eine Fabrik in Arizona, Südkoreas Samsung in Texas. Zudem will Biden die Lieferungen aus Taiwan absichern, er wolle »garantieren, dass die Lieferketten verlässlich sind«. Und schließlich hatte bereits sein Vorgänger Donald Trump damit begonnen, China von US-Chiptechnologie abzuschneiden, um den Aufstieg von Konzernen wie Huawei oder SMI, Chinas größtem Chipproduzenten, aufzuhalten. Hier knüpft die Biden-Regierung an: Diese Woche beschloss sie eine »harte Linie« beim Verkauf von Technologie an Huawei. »Es gibt ein neues Bewusstsein der Bedeutung von Halbleitern in diesem geopolitischen Kampf«, kommentierte Lindsay Graham vom German Marshall Fund.
So arbeitet Washington daran, die Chip-Produktionskette unter seine Kontrolle zu bringen, um dadurch autark zu werden und andere von sich abhängig zu machen. Die Botschaft wird in Peking gehört. China baut zwar selbst Halbleiter. Doch weisen sie laut Schätzungen einen Entwicklungsrückstand von fünf Jahren auf. In der Konkurrenz um immer leistungsfähigere Technik bedeutet das: China hat de facto keine lebensfähige Chipproduktion. Der Anfang März beschlossene Fünf-Jahres-Plan der KP enthält daher Milliardenhilfen für die heimische Branche.
Um Chinas Aufstieg zu stoppen, ruft die US-Regierung andere westliche Staaten zur Kooperation auf. »Wir müssen dieser Herausforderung gemeinsam begegnen«, sagte ein Mitarbeiter des Außenministeriums Ende Februar. Das richtet sich vor allem an Europa, und die EU-Kommission bietet sich Washington als Partner gegen China an. Sie hat einen transatlantischen Technologie- und Handelsrat vorgestellt sowie eine Strategie, wie Europa und die USA den Weltmarkt gemeinsam ordnen könnten, inklusive Schutz »kritischer Technologien« vor Konkurrenten. »Unsere vereinte globale Macht bleibt konkurrenzlos«, wirbt die Kommission.
Daneben strebt die EU ihrerseits nach strategischer Autonomie bei Computerchips. In den vergangenen 20 Jahren wurde die Produktion in den EU-Staaten drastisch gekürzt, Teile wanderten ins billigere Asien ab, unter anderem nach Taiwan. Um die Versorgung Europas zu sichern und »technologische Souveränität« zu erlangen, sollen die EU-Staaten bis zum Ende der Dekade weltweit ein Fünftel der modernsten Halbleiter produzieren - bislang ist es nur ein Zehntel.
Dafür wird der Bau moderner Halbleiterfabriken durch eine europaweite Allianz von Chip-Produzenten, Telekommunikations- und Autokonzernen erwogen. Der Zeitplan steht laut EU-Industriekommissar Thierry Breton zwar noch nicht fest. Fest stehe aber: »Ohne eine autonome europäische Kapazität bei Mikroelektronik wird es keine digitale Souveränität Europas geben.« Hinter dem Projekt stehen 19 EU-Länder, derzeit sind dafür 30 Milliarden Euro veranschlagt. Das könnte allerdings zu wenig sein - die Investitionen allein der taiwanesischen TSMC werden dieses Jahr bei 28 Milliarden Euro liegen. Zudem kann Europa kaum auf Chip-Exporte hoffen, da Japan, die USA und China ihrerseits auf Autarkie zielen.
Dennoch wird das Projekt durchgezogen. Die EU-Mitgliedstaaten haben sich verpflichtet, mindestens 20 Prozent der Gelder aus dem neuen Wiederaufbaufonds für die Priorität »Digitales« vorzusehen. »In der Welt nach der Pandemie werden wir ein digital unabhängiges Europa gestalten«, sagte Breton diese Woche. »Dies ist Europas digitale Dekade.« Das sieht US-Präsident Biden anders, das neue Mega-Konjunkturpaket werde den USA »neue Chancen zu kämpfen eröffnen«, sagte er am Freitag. Chinas Präsident Xi Jinping hatte seinerseits auf dem Parteikongress Anfang März klargestellt: »Der Osten erhebt sich, der Westen steigt ab.«
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