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Die Utopie nicht aus den Augen verlieren
Perspektiven von Anwältinnen auf Recht und Diskriminierung - und auf emanzipatorische Alternativen zum Recht
»Da sagt dieser kleine Mann in schwarz zu mir, Frauen* könnten nicht so viele Rechte haben wie Männer, weil Christus keine Frau* war! Wo kam denn Ihr Christus her? Von Gott und von einer Frau*! Ein Mann war nicht daran beteiligt.« So polemisierte die schwarze Frauenrechtlerin und Abolitionistin Sojourner Truth bereits im Jahr 1851 auf einem Frauenkongress in Akron im US-amerikanischen Bundesstaat Ohio.
Truth war 1797 in die Versklavung geboren worden, hatte sich und zwei ihrer fünf Kinder jedoch befreien können - eine Tochter 1826 durch gemeinsame Flucht, einen Sohn zwei Jahre später durch ein historisches Gerichtsurteil: Als eine der ersten schwarzen Frauen in den USA gewann sie mit Hilfe weißer Antirassist*innen einen Prozess gegen einen weißen Mann; dieser musste Truths Sohn Peter freilassen, weil er ihn illegal erworben und zudem misshandelt hatte. Das System Sklaverei in seiner grundsätzlichen Monstrosität stand hier nicht zur Debatte.
Feministische Rechtskritik
Mit Truths Rede »Bin ich etwa keine Frau?« beginnt der Feministische InformationsBrief des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV). Der RAV hat sich im 1979 im Zuge der Neuen Sozialen Bewegungen und den Eindrücken des Deutschen Herbst gegründet und sieht seine Aufgabe im »Kampf um die freie Advokatur und um ein demokratisches Recht«. Dazu gehört unter anderem die halbjährliche Publikation des InformationsBriefs, von der nun im März die Ausgabe 121/2021 erschien.
Über ihre Motivation für die Erstellung eines »feministisches Sonderhefts« schreiben die Herausgeberinnen im Editorial, der RAV hinke »einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung und Verortung im Bezug auf Sexismus als strukturierendes gesellschaftliches Machtinstrument sowohl in der Positionierung nach außen als auch den Bemühungen im Inneren hinterher«. Dies mag gut und gerne eine zu optimistische Einschätzung der gesellschaftlichen Gesamtlage sein - jedenfalls überrascht es nicht, dass die Autor*innen zu einem Negativurteil auch in Bezug auf eine Organisation mit linkem Selbstverständnis wie dem RAV kommen. Das weite Feld Feminismus und Recht bearbeiten sie für den InfoBrief 121 in grob fünf Schwerpunkten.
Die Verschränkung von Sexismus und Rassismus, die Sojourner Truth bereits im 19. Jahrhundert bekämpfte, ist auch Thema des Beitrags »Intersektionale feministische Perspektiven in der anwaltlichen Praxis«. Über ihre Rolle als Rechtsanwältin von nicht-weißen Mandantinnen schreibt die Autorin Anya Lean, ein »geschärfter Blick für tatsächliche und potenzielle intersektionale Diskriminierungen lässt sich nur entwickeln in Auseinandersetzung mit den eigenen Privilegien und Vorurteilen«.
Ein Fallbeispiel, das Lean hierzu bringt, wirft allerdings ein kompliziertes Bild auf den Effekt solcher Auseinandersetzung: So muss eine schwarze Mandantin die rassistischen Vorurteile der Richter*innen kennen, um diesem Bild dann im Asylverfahren entsprechen zu können - erfüllt sie nämlich »diese Erwartung nicht, führt dies z. B. zu Irritation, intensivem Nachfragen, dem Versuch, sie in Widersprüche zu verwickeln und sie zu ›enttarnen‹«. Die Reflexion eigener »Privilegien« erweist sich hier nicht als Teil der Aufhebung gesellschaftlicher Missstände, sondern als bloßer Hebel in deren Navigation.
Mit der Dokumentation von Sexismus und Misogynie, denen die Juristinnen selbst ausgesetzt sind, befassen sich ebenfalls mehrere Beiträge. Der Aufsatz »Diskriminierungserfahrungen. Rollenbilder in der juristischen Arbeitswelt« erstellt - nach dem »klassischen« MeToo-Verfahren - anhand persönlicher Anekdoten ein Panorama der patriarchalen Normalität für Anwältinnen in der BRD: Von der Infragestellung von Kompetenzen über die Diskriminierung anhand von Mutterschaft/Kinderwunsch, schlechterer Bezahlung in Festanstellung und durch männliche Mandanten bis hin zu offener Belästigung durch »anzügliche Bemerkungen«.
Es sind die immer gleichen, in ihrer Vorhersagbarkeit umso deprimierenderen Objektivierungen und Übergriffe - ungewöhnlich ist lediglich das Fehlen von Schilderungen tätlicher Belästigung. Am nächsten kommt dem die Gewaltfantasie eines Richters: Von ihm muss sich die Strafverteidigerin eines Mandanten, der wegen Ausübung von Beziehungsgewalt angeklagt ist, in der Verhandlung sagen lassen, sie solle als »eine Frau, die einen solchen Mann vertritt … selbst einmal eine vergleichbare Situation erfahren«.
Soviel zu den Arbeitsbedingungen für Juristinnen; einen weiteren Schwerpunkt des Feministischen InfoBriefes bildet die sexistische (und/oder rassistische) Verfasstheit des Rechts an sich. Viel Raum bekommt hier ein »alter Streit im RAV«: das Thema Strafverteidigung versus Nebenklage im Sexualstrafrecht. Zur Erklärung: Während die von der Tat betroffene Person im Strafprozess normalerweise nur als Zeugin vorkommt, kann sie in bestimmten Fällen als so genannte Nebenklägerin auftreten.
Sie ist dann - anwaltlich vertreten - Teil der Anklage und kann auf bestimmte Aspekte der Verhandlung Einfluss nehmen. Möglich ist diese Praxis nicht allein im Sexualstrafrecht, sondern zum Beispiel auch bei der Verhandlung rassistisch motivierter Straftaten; so traten etwa Angehörige der Ermordeten beim NSU-Prozess als Nebenkläger*innen auf.
Kooperation mit der Staatsanwaltschaft?
Interessant ist dies für eine linke Position, weil so dem Recht innewohnende Diskriminierungen zumindest ein Stück weit aufgebrochen werden können: durch die Ergänzung der staatlichen Fokussierung auf Ahndung des Gesetzesbruchs und Bestrafung um den Umgang mit Gründen und Folgen der Tat. Die Gegenposition hält es für generell unvereinbar mit einer linken Position, sich als Rechtsanwält*in auf die Seite der Staatsanwaltschaft zu stellen. (Es ist eine komplexe Thematik, für besseres Verständnis sei der eigene Blick in den InfoBrief empfohlen.)
Jedenfalls politisch unverfänglicher erscheint das Thema Konstruktion von Geschlecht in Gesetzestexten und Urteilen, dem sich ebenfalls drei Beiträge widmen. Auf diesem Feld sind die eindeutigsten Fortschritte aus feministischer Sicht zu verzeichnen, vor allem wenn es um die Etablierung geschlechtsneutraler Sprache geht: »Die Verwaltung ist über die einschlägigen Bundes- und Landesnormen ohnehin seit Langem verpflichtet, geschlechtergerechte Sprache zu nutzen«, berichtet Martina Zünkler in Verpflichtung zum Gebrauch des Gendersterns.
Das überrascht wenig angesichts der Tatsache, dass Repräsentationspolitiken im Allgemeinen besser durchsetzbar sind als Forderungen, die auf Verteilungsfragen anstelle von Chancengleichheit abzielen. Unkritisch gegenüber dem bürgerlichen Gleichheitsideal und entsprechend den staatlichen Institutionen ist es auch, wenn Diskriminierung aufgrund von Mutterschaft problematisiert wird, nicht aber die Tätigkeit im Bundesjustizministerium (Kliemt/Gülşen: »Schwangerschaft und Beruf«).
In anderer Weise rechtsidealistisch ist der Beitrag über »Sexualtabus und Recht«, einen Aufsatz des Frankfurter-Schule-Philosophen Theodor W. Adorno aus dem Jahr 1967. Im aufgezeichneten Gespräch zwischen der Psychologin Myrte Palatini und der Rechtsanwältin Katrin Brockmann wird erklärt, es gehe Adorno um die Differenzierung »zwischen einem rational begründeten Straftatbestand und Strafen, oder Urteilen, in denen gesellschaftliche Tabus wirken, die letztlich irrational sind«. In diesen Fällen ergebe sich ein »Überschuss im Strafbedürfnis« wie etwa im Bereich der Kriminalisierung von Prostitution, Sex mit Minderjährigen sowie der wiederkehrenden Hysterie um »Kinderschänder«.
Zweifellos gibt es (Rechts-)Bereiche, die stärker geprägt sind von Sittlichkeitsnormen, dazu zählt neben der Sexualität etwa die Drogenpolitik. Dennoch sind die Kategorien Rationalität/Irrationalität untauglich für eine Kritik bürgerlicher Herrschaft: Ist die Bestrafung von Diebstahl rational oder irrational? Sind Misogynie oder Pädophilie erklärbare Auswüchse einer patriarchalen Gesellschaft oder irrationaler Wahnsinn? Nicht zuletzt legitimiert diese Kategorisierung eben auch jene menschenfeindlichen Grundlagen des bürgerlichen Rechts, die für rational erklärt werden - wie etwa das Privateigentum.
Grundsatzkritik und Alternative
Dabei ist eine Grundsatzkritik am Recht auch für Jurist*innen möglich: »Das Strafgesetzbuch, aber auch andere Gesetze folgen ja einer durch und durch patriarchalen, kapitalistischen und rassistischen Logik. So gibt es etwa Straftatbestände, die nur von Menschen ohne deutschen Pass begangen werden können, wird die Verletzung des Privateigentums hart bestraft«, schreibt Christina Clemm.
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Auch der Schlussbeitrag »Kollektive Verantwortungsübernahme und transformative Gerechtigkeit« stellt dem Recht ein denkbar schlechtes Zeugnis aus: Als ungleich sinnvollere Bearbeitung (nicht nur) sexueller Gewalttaten betrachten die Autor*innen Grimm und Lean ein außerrechtliches Verfahren: Transformative Gerechtigkeit umschließt Betroffenen- und Täterarbeit mit den Zielen der Aufarbeitung und dem gemeinsamem Fortschreiten, jenseits von Strafe und Schuld.
Denn, so Grimm und Lean, »keine der im Gesetz vorgeschriebenen Strafen macht die Welt besser. … Aus unterschiedlichen Richtungen kommend, dürften sich Nebenklage und linke Strafverteidigung, die die Utopie einer Welt ohne Knäste nicht aus den Augen verlieren, einig sein: WIR BRAUCHEN ALTERNATIVEN.«
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