- Politik
- Versammlungsgesetz
Falsche Beschuldigungen gegen Antifa
Einkesselung der Demo gegen NRW-Versammlungsgesetz: Innenminister sieht Schuld bei Teilnehmern
Einen Monat ist es her, dass in Düsseldorf Tausende Menschen gegen das geplante Versammlungsgesetz für Nordrhein-Westfalen auf die Straße gingen. Die Demonstration, an der unterschiedliche linke Gruppen, die Klimagerechtigkeitsbewegung und Fußballfans teilgenommen hatten, wurde von der Polizei aufgelöst. Wegen angeblicher Angriffe auf Polizist*innen, Vermummung und »Rauchtöpfen« griffen Hundertschaften der Polizei Teilnehmer*innen an. Durch den Einsatz von Pfefferspray und Schlagstöcken wurden etliche Demonstrant*innen verletzt. Außerdem wurden 300 Demoteilnehmer*innen über Stunden von der Polizei eingekesselt. Weil auch ein Fotograf der Deutschen Presse-Agentur von der Polizeigewalt betroffen war, war die Empörung über den Polizeieinsatz besonders groß. Die Landesregierung versprach daraufhin Aufklärung.
Bisher gab es wegen der Vorfälle eine Landtagsdebatte und eine Sondersitzung des Innenausschusses. Dort gab NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) sich mit Blick auf den Angriff auf den Journalisten zerknirscht. Er betonte, wie wichtig die Pressefreiheit sei und wie sehr ihm die Aufklärung dieses Vorgangs am Herzen läge. Dagegen betonte der Minister mit Blick auf die Demo, zu dieser hätten viele »linksextremistische« Gruppen aufgerufen. Über den Anmelder der Demonstration könne man noch unter Ausschluss der Öffentlichkeit sprechen, meinte Reul, und schilderte minutiös, warum Demonstrant*innen für die Eskalation verantwortlich seien.
Diesen Darstellungen des Ministers hat sich nun das Medienkollektiv »NRW News« gewidmet. In einem 36-minütigen Video vergleicht das Team Reuls Behauptungen mit Szenen von der Demonstration. Das Video stieß beim Bündnis »Versammlungsgesetz NRW stoppen - Grundrechte erhalten!« auf großes Interesse. »Für das Bündnis ist damit eindeutig belegt, dass Innenminister Reul den Innenausschuss und den Landtag bewusst falsch informiert hat«, heißt es in einer Erklärung dazu. Video und Recherche von »NRW News« belegten zudem, »dass mehrere Journalist*innen Opfer von Polizeigewalt wurden, nicht nur einer, wie Reul behauptet hat«. Aussagen von Reul insbesondere über angeblich vom »Antifa-Block« verübte Straftaten hätten sich »nunmehr als falsch« herausgestellt.
CDU in NRW auf Trump-Kurs - Sebastian Weieremann über die Dämonisierung von Linken
Der Innenminister hatte unter anderem behauptet, die Spitze des Blocks habe drei Polizisten angegriffen und verletzt, die ein Corona-Testzentrum gesichert hatten. Nur ihre Helme hätten die Beamten vor schweren Verletzungen geschützt. Im Video hingegen ist zu sehen, dass der Antifa-Block weit vor dem Testzentrum von Polizeiketten gestoppt wurde. Dort befanden sich zudem mehr als drei Polizist*innen. Die von Reul gemeinten Beamten tragen auf dem Video auch keine Helme. Was der Film hingegen zeigt, sind wiederholte Attacken der Polizei auf Demonstrant*innen ohne ersichtlichen Grund.
Gizem Koçkaya, eine Sprecherin des Bündnisses, nahm unterdessen zu einem weiteren Vorfall Stellung, der in der Videodokumentation zu sehen ist. Nach den erwähnten Angriffen auf die Demo hatten sich die Teilnehmer*innen stark vermischt. Blöcke lösten sich auf, bestanden am Ende nicht mehr in ihrer ursprünglichen Form. Deswegen sei Reuls Argumentation, bei der Einkesselung sei die Polizei gegen den vorher gewalttätig gewordenen Antifa-Block vorgegangen, nicht haltbar.
Mit der Erzählung vom gewalttätigen Antifa-Block wolle der Innenminister dem Vorgehen der Polizei einen »Anstrich von Rechtsstaatlichkeit« geben, konstatierte Koçkaya. Angesichts der Falschbehauptungen findet sie, Reul müsse zurücktreten: »Aus unserer Sicht sollte der Innenminister die Konsequenzen ziehen und seinen Platz räumen. Von Armin Laschet erwarten wir eine Erklärung.«
Auch die juristische Aufarbeitung der Vorfälle auf der Kundgebung hat begonnen. Sowohl die Anmelder als auch eingekesselte Demonstrant*innen haben Klage wegen des Polizeieinsatzes eingereicht. Martin Behrsing, Anmelder und Versammlungsleiter, erklärte: »Die Taktik der Polizei war meines Erachtens von Anfang an darauf ausgerichtet, das Geschehen zur Eskalation zu bringen.« Ein Indiz dafür sieht er darin, dass keine Kommunikation mit der Einsatzleitung möglich gewesen sei. Er habe nur mit Kontaktbeamten reden können, die »zunehmend hilflos« gewirkt hätten. Für Rechtsanwalt Jasper Prigge ist der Fall klar: »Die Polizei hat die Versammlung faktisch beendet. Die mit den Maßnahmen verbundenen Auswirkungen haben schwerwiegend in die Versammlungsfreiheit eingegriffen.« Dieser Umgang mit Demonstrant*innen sei unverhältnismäßig und damit rechtswidrig gewesen.
Einer, der die Einkesselung nicht hinnimmt, ist Marcus Lamprecht, Ratsmitglied der Grünen in Grefrath. Er klagt gegen seinen »Ausschluss aus der Demonstration und die Freiheitsentziehung durch die Einkesselung«. Davon erhofft er sich, »dass gerichtlich festgestellt wird, was der Eindruck vieler war: dass ein Polizeieinsatz so nicht ablaufen darf«. Es sei wichtig, das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nicht nur mit Protest auf der Straße, sondern auch mit juristischen Mitteln zu verteidigen.
Auf die Straße soll es demnächst auch wieder gehen: Am 28. August wird in Düsseldorf erneut gegen das Versammlungsgesetz demonstriert. Ein paar Tage später endet die Sommerpause im Düsseldorfer Landtag. Dann wird auch auf parlamentarischer Ebene wieder über das Gesetz diskutiert.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.