»Berlin war stets mehr als das Schloss«

Ein offener Brief an Wilhelm von Boddien, dem Initiator des Wiederaufbaus des Hohenzollern-Schlosses in Berlin-Mitte

  • Siegfried Wein
  • Lesedauer: 6 Min.

Sehr verehrter Herr von Boddien,

vor rund einem Monat haben Sie sich in einem Leserbrief an das »nd« über Hass beklagt. Ihnen gefiel nicht, wie die »nd«-Redakteurin Karlen Vesper die Einweihung des Humboldt-Forums in der Ausgabe am 20.7. kommentiert hatte. Ihrer Ansicht nach sprach aus ihrem Text Überheblichkeit und »schrecklicher Hass«, da sie zwar erwähnt hatte, dass Ihre beiden Großväter in Hitlers Krieg gezogen seien; nicht aber, dass beide darin starben, wie Sie dem »nd« schrieben. Sie haben Recht: Hass ist immer ein schlechter Ratgeber. Aber war es nicht Hass, der auch Sie bewogen hat zu Ihrem Handeln? Hass gegen den untergegangenen zweiten deutschen Staat, der in Folge des Zweiten Weltkriegs entstanden war?

Offener Brief

Am 20. Juli eröffnete in Berlin nach acht Jahren Bauzeit das Humboldt Forum im nach- und neugebauten Stadtschloss der Hohenzollern, dessen Ruine 1956 in der DDR abgerissen wurde. Der später an dieser Stelle errichtete Palast der Republik wurde ab 2006 abgerissen. Zur Eröffnung des Humboldt Forums erschien im »nd« ein Kommentar von Karlen Vesper, auf den Wilhelm von Boddien mit einem kritischen Leserbrief antwortete. Er ist der Initiator des Fördervereins Berliner Schloss e. V., der seit den 90er Jahren den Wiederaufbau propagierte. Nun antwortet Siegfried Wein mit einem offenen Brief an Boddien. Er war 1990 der letzte Intendant des Theaters im Palast und danach vom neugegründeten Theater im Palais, das sich in der Nachbarschaft zum neuen Stadtschloss befindet.

Ich habe mir die vielen Interviews, die Sie in den vergangenen Jahren bereitwillig gewährt haben, angeschaut. Sie plaudern dort freimütig aus der Position des Gewinners, nicht des Siegers, wie Sie betonen. Und doch ging es Ihnen bei Ihrem Kampf für ein neues Stadtschloss weniger um eine architektonische Korrektur des Stadtbildes von Berlin, der Berliner Mitte, als um die städtebauliche Wiederherstellung preußischen Herrschaftswillens und Glanzes. Sie berufen sich dabei unter anderem auf den Verleger Wolf Jobst Siedler. Das ist Ihr gutes Recht. Unwidersprochen kann aber die Feststellung Siedlers, das Schloss sei Berlin, nicht bleiben. Berlin war stets mehr als das Schloss. Vielmehr wurde das Schloss seinerzeit gegen den Willen der Berliner Bürger errichtet. Da Sie sich mit der Geschichte des Schlosses seit Jahren beschäftigt haben, wissen Sie das.

Und auch in den späteren Jahren blieben die Berliner die Zaungäste des Schlossgeschehens. Sie hatten die Entscheidungen, die hier getroffen wurden, zu dulden und zu erdulden. Bei den Festen, die hier zahlreich und opulent, selbst von dem ansonsten sparsamen Friedrich Wilhelm I., gefeiert wurden, den Maskeraden und Hochzeiten im Kerzenschimmer, waren Bürger nicht zugelassen. Im besten Falle waren sie Dienstboten, Domestiken, aber selbst hier nur in niederen Diensten.

Selbstverständlich waren es große Baumeister, die über die Jahre hier tätig wurden. Zu den bedeutenden zählt Andreas Schlüter. Aber auch für ihn war das Schloss schicksalhaft. In der Folge des Einsturzes seines Münzturms und dem sich anschließenden Mobbing musste er Berlin verlassen. Aber es war nicht nur Schlüter, der an diesem Schloss baute. Oft hatten die späteren Baumeister, wie August Stüler, sich Herrschaftswillen zu fügen. So geschehen mit der Kuppel. Wunsch und Wille eines auf Restauration gerichteten preußischen Herrschers. Mit dieser Kuppel wollte Friedrich Wilhelm IV. das Gottesgnadentum, dass den preußischen Königen in der Folge der Revolution von 1848 fast verloren gegangen wäre, wieder behaupten.

Bürger, geh auf die Knie! Goldglänzend verkünden das die Buchstaben auf dem blauen Fries zugleich mit dem Kreuz. Sie, Herr von Boddien, wollten das. Sie wollten, dass preußischer Gehorsam und Untertanengeist nunmehr wieder verkündet werden von erhabener Stelle. So, als seien nicht von diesem Ort zwei verheerende Kriege ausgegangen von denen der letzte auch zur Zerstörung des Schlosses geführt hat.

Dieser, der Zweite Weltkrieg, ist nicht nur ein schrecklicher, wie Sie schreiben, nein, er war auch ein verbrecherischer Krieg, begründet aus den Weltherrschaftsgedanken der Nationalsozialisten, mit denen sie sich als Vollstrecker preußischen Herrenmenschentums sahen. Erstaunlich, wie Geschichte als Nichtgeschehen nun in pseudobarocker Fassade präsentiert wird.

Sicher kann man man über die Sprengung der Schlossruine in der DDR streiten. Einer meiner Lehrer, der namhafte Kunstgeschichtsprofessor Richard Hamann, hatte sich gemeinsam mit anderen gegen diesen Beschluss gewandt. Neben vielen anderen Gründen waren aber mit diesem Beschluss Hoffnung und Wunsch verbunden, einen Schlussstrich unter die preußisch- militaristische Vergangenheit zu ziehen. Bertolt Brecht dichtete: »Schaufeln her, Mensch, schaufeln wir den ganzen / Klumpatsch heiter jetzt aus unserm Staat. /Fort mit den Trümmern / Und was Neues hingebaut!«

In der Folge erwies sich aber die Annahme, durch Abriss sich auch der Ideenwelt der Vergangenheit entledigen zu können als ein Irrtum. Aber sind Sie, Herr von Boddien, nicht dem gleichen Irrtum erlegen, wenn Sie meinen, mit dem Abriss des Palastes der Republik in gleicher Weise geschichtliche Erfahrungen vergessen machen zu können?

»Und die DDR hat es nie gegeben!« - das war der ironische Kommentar eines Berliners, der nach dem vollendeten sogenannten selektiven Rückbau des Palastes auf ihm zu lesen war. Dieser Schriftzug verschwand nach wenigen Tagen, er wurde eilig übertüncht. Die Erinnerung lebt weiter, nicht nur die Erinnerung an ein Gebäude, mehr noch die Erinnerung an einen anderen deutschen Staat. In diesem Zusammenhang ist es durchaus bemerkenswert und nicht ohne Beigeschmack, wenn nun winzige Glasstückchen der Glasscheiben des abgerissenen Palasts der Republik wie kostbare Juwelen im Shop des Humboldt-Forums verkauft werden.

Ein Glücksfall sei es gewesen, so sagten Sie im Fernsehen, dass die Idee geboren wurde, das Schloss als Museum für die Ethnographischen Sammlungen, eben als Humboldt-Forum, aufzubauen. Damit habe man den politisch wichtigen Entscheidern die Schlossidee plausibel machen können, da auch sie vor der Wiedererrichtung des Preußenschlosses zurückschreckten. Denn noch ist das Potsdamer Abkommen nicht vergessen, mit dem sich die Siegermächte auf die Zerschlagung Preußens verständigt hatten.

Sie haben den vielfach kritisch bewerteten Entwurf für das Stadtschloss des Architekten Franco Stella mit dem Argument verteidigt, dass er die Möglichkeit offen lasse, in späteren Zeiten auch die historischen Räume in altem Glanz und alter Herrlichkeit wieder herzustellen.

Ob die Weiße Frau, das Gespenst der Hohenzollern, dann wieder einziehen würde, lassen Sie offen. Als leidenschaftlicher Preußenvertreter müssten Sie eigentlich auch daran Interesse haben. Das aber nur nebenbei und nicht ganz ernst gemeint. Bedenklicher finde ich es, wenn Sie keine Skrupel hatten, einen Herrn Thyssen als Türöffner für die Bundesregierung zu benutzen. Also einen Herrn, dessen Imperium zu den Profiteuren des Zweiten Weltkrieges gehört, dessen Opfer das Schloss wurde.

Aus Ihren TV-Gesprächen entnehme ich auch, dass Sie die Nutzung als Humboldt-Forum eigentlich nur als eine Zwischenlösung betrachten. Gilt das auch für die neue Weltoffenheit Deutschlands, die bei der Eröffnung des Humboldt-Forums so gepriesen wurde? Ich hoffe sehr, dass Sie inzwischen von dieser Vorstellung der bloßen Zwischennutzung des Schlosses als Forum demokratischer und humanistischer Verständigung abgerückt sind. Das zu erreichen und zu ermöglichen, darin sehe ich die unbedingte Verantwortung der jetzt dort verantwortlich Gestaltenden. Ich habe die Hoffnung, dass Sie, Herr von Boddien, diesen Prozess unterstützen.

Das Schloss der Republik. Christian Walther hat recherchiert, wer nach dem Kaiser ins Berliner Stadtschloss kam

Noch ist dieses Gebäude ein Fremdkörper im Stadtbild. Wir werden uns nun daran gewöhnen müssen. Noch ist die Haltung der Berliner gespalten. Um ein altes Bonmot von Tucholsky verändert zu gebrauchen: Berlin S ist entzückt, Berlin N ist verwirrt, Berlin W ist begeistert, Berlin O ist entsetzt.

Wir brauchen keinen Hass, Herr von Boddien, wir brauchen Vernunft und Toleranz.

In diesem Sinne

Siegfried Wein

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