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Maske auf, sonst geht die Musik aus
Wie es sich auf dem Musikfestival »Wilde Möhre« am Griebendorfer See in der Lausitz in Zeiten der Pandemie so feiern lässt
Völlig unscheinbar weist am Griebendorfer See in der Lausitz ein kleines Holzschild mit der Aufschrift »Wilde Möhre« darauf hin, dass man rechts abbiegen soll. Entlang einer kurvigen Asphaltstraße mit Kiefern rechts und links, erstreckt sich ein großes, weites, grünes Feld. Es sind dreißig Grad, die Sonne brennt. Es ist Mitte August, es ist das vierte und letzte Festival der »Wilden Möhre«, der Maskenball. An insgesamt vier Wochenenden veranstaltete die »Wilde Möhre« vier Festivalwochenenden. Zu den ersten beiden Wochenenden im Juli, dem Firletanz und der Seelenschaukel, kamen 1000 Besucher*innen, zu den beiden Festivals im August 2500 Besucher*innen.
Dass die »Wilde Möhre« an den letzten zwei Terminen mit mehr Menschen feiern konnte, lag daran, dass die Veranstaltung von der Landesregierung zum Modellprojekt ernannt wurde. Schon im vergangenen Jahr fand das Festival trotz Pandemie statt, veranstaltete fünf »Milde Möhren« mit jeweils 500 Besucher*innen, damals noch ohne Schnelltests und geimpftem Publikum. Dafür allerdings mit kreativem und effektivem Hygienekonzept: Wenn Feiernde auf der Tanzfläche keine Maske trugen, wurde eine Ampel erst gelb und die Musik leiser, anschließend rot und die Musik ging aus.
An einem Freitag reisen Technofans und Kulturbegeisterte an: Zelte werden aufgebaut, mit bunten Lichterketten dekoriert und erste Sektkorken knallen. »Kann ich mir mal eine Schere bei euch ausleihen?« ruft eine zu ihren Zeltnachbarn rüber. »Klar.« Die Stimmung ist gut, die Vorfreude auf das kommende Wochenende allgegenwärtig.
Ein Waldweg führt vom Zeltplatz zum eigentlichen Festivalgelände. Doch bevor man zu den Bühnen kommt, werden Ticket und Impfnachweis oder Schnelltest kontrolliert. »No mask, no service« steht an den Holzbuden, in denen die Kontrolleur*innen mit QR-Code-Scannern sitzen. Wer nicht geimpft ist, muss jeden Tag zur Teststation zurückkehren und sich neu testen lassen. Die Information wird auf dem Chip des Festivalbändchens gespeichert, mit dem man auch Getränke oder Essen bezahlt, diesen Futurismus ist man von Festivals vor der Pandemie noch nicht gewohnt. In einer späteren Umfrage stellt sich heraus: 72 Prozent der Besucher*innen waren beim Maskenball geimpft, zehn Prozent haben ihre zweite Impfung vor weniger als zwei Wochen erhalten, neun Prozent waren erstmals geimpft, der Rest genesen oder nicht geimpft. Keine schlechte Impfquote im Vergleich zum Rest der Bevölkerung in Deutschland.
Leise tönen sanfte Elektrobeats aus dem Wäldchen. Vorbei an rosafarbenen Wohnwägen, die als überdachte Sitzgelegenheiten dienen und kleinen, niedlichen Monsterfiguren in Bäumen, tut sich die Bühne Puppenräuber auf. Mar Dean steht hinter dem DJ-Pult, das in eine pinke Oktopuskonstruktion eingebettet ist. Die Tanzfläche ist am frühen Abend noch etwas leer, jede*r trägt eine Maske. Wenn dann doch mal jemand die Maske absetzt oder einen Kinnschutz statt Mund-Nasen-Schutz trägt, kommt das Achtsamkeitsteam vorbei und weist darauf hin, die Maske wieder ordnungsgemäß aufzusetzen. Manche tragen grüne Westen, andere sind im Festivallook völlig undercover unterwegs. Wer sich weit genug von anderen Tanzenden stellt und den Sicherheitsabstand einhalten kann, darf auch ohne Maske tanzen. Mit Anbruch der Dunkelheit kommen immer mehr Besucher*innen auf das Gelände, vor den Teststationen und dem Einlass sind jetzt sehr lange Schlangen.
Im Laufe der letzten Jahre ist auf dem Gelände der »Wilden Möhre« eine eigene Fantasiewelt entstanden. Jahr für Jahr kommen weitere Spielereien hinzu. Besucher*innen lassen sich zwischen großen Skulpturen und bunten Buden treiben, hängen im Spa im 80er-Jahre-Flair ab. Zwischen veganem Gyros und einem Curry-Imbiss ragt eine imposante 3D-Springbrunnen-Lichtinstallation in die Höhe, die man wohl eher in Las Vegas als in der Lausitz erwartet hätte.
Am nächsten Tag ist es wieder heiß. Viele Besucher*innen wandeln mit Handtuch in der Hand und Strohhut auf dem Kopf in Richtung Badesee. Etwa dreißig Minuten Fußweg haben sie vor sich, bevor sie den Griebendorfer See erreichen. Das Wasser ist glasklar. An einem kleinem Sandstrand tummeln sich einige Besucher*innen. Aber auch Theater, Workshops und Musik gibt es über den ganzen Tag verteilt. Nur die Sauna im Spa-Bereich ist bei über 30 Grad nicht in Betrieb - zum Bedauern der einen oder des anderen. In einem Umsonstladen gibt es Secondhand-Kleidung. Grüppchen sitzen im Schatten, unterhalten sich angeregt. Andere machen Mittagsschlaf in einer der Hängematten.
Mit Einbruch der Dunkelheit wird alles wuseliger. Ein kleiner Waldpfad führt zur »Kraut und Rüben«-Bühne, die mitten zwischen Bäumen liegt. Sandboden und eine riesige Installation, die halb Sandburg und halb Schiff ist, schmücken die Tanzfläche. Alles ist in ein weiches, buntes Licht getaucht. Lisbird (Künstlerinnenname) steht am Samstagabend um halb zehn am Rand der Tanzfläche. Ihre Augen leuchten. »So schön, dass ich auf dieser Bühne auflegen darf«, sagt die DJ und strahlt. »Aber ich bin auch ganz schön nervös, nervöser als ich dachte.« Sie ist bereits am Freitag angereist, um die Stimmung des ganzen Wochenendes mitzuerleben. Trotz pandemiebedingt weniger Veranstaltungen, wird Lisbird diesen Sommer relativ häufig gebucht. Letztes Jahr hat sie bereits bei der »Milden Möhre« gespielt, aber heute Abend tanzen besonders viele Leute. Schnell noch ein, zwei Dinge mit den Veranstalter*innen abklären, dann geht es Richtung DJ-Pult. Mit einem Mix aus Disco- und Indiedance-Musik bespielt Lisbird die tanzende Menge.
Performancekünstler*innen in elfenhaften Gewändern schweben über den Sand. »Ich hatte während des Sets wunderschöne, kleine Interaktionen und Augenkontakt mit den Besucher*innen«, sagt Lisbird im Nachhinein. Das sei für sie als Künstlerin besonders schön. Aber auch als Gast habe sie die Festivaltage genossen. »Seit zwei Jahren bin ich im Sommer auf dem Gelände und finde es aufregend zu sehen, was sich alles verändert«, sagt sie. Auch an der Tatsache, dass wegen der Corona-Situation das Festival etwas kleiner ist, kann sie etwas Positives sehen. »Dadurch wird alles etwas familiärer. Mir ist es sehr wichtig, dass es ein Hygienekonzept gibt, aber so ist es dann auch sehr schön, wieder mit Menschen zusammenzukommen«, sagt sie. Auch die Besucher*innen finden, dass die kleinere Festivalversion Vorteile hat. »Man wird nur selten angerempelt, der Weg aus der Menge ist unkompliziert und man wartet kaum lange auf ein Getränk oder einen Toilettengang«, sagt eine Besucherin. Und trotzdem hat man nicht das Gefühl auf einer leeren Tanzfläche zu stehen, was dem Ganzen das Gefühl eines normalen Festivals verleiht. Die spontanen Gespräche beim ewigen Anstehen fallen so allerdings auch weg.
»Nicht so viel Fame, mehr Spaß« - Musik als Raum der Begegnung: Penji Palmacotta und Cia Carbonelli sind das DJ-Duo Krawalle & Liebe
Die vier Festival-Wochenenden sind nun vorbei. Zeit für Festivalleiter Alexander Dettke ein Fazit zu ziehen. Dieser hat die vergangenen Wochen als sehr positiv erlebt: »Es lief insgesamt sehr, sehr gut«, sagt er. So war Dettke vor allem froh, dass die letzten beiden Wochenenden als Modellprojekt stattfinden konnten. Das ermöglichte dem Team nicht nur eine höhere Besucher*innenzahl und so mehr Ticketeinnahmen, sondern auch, Erkenntnisse für das nächste Jahr zu sammeln. »Wir haben uns etwas rausgenommen, zu experimentieren.« Während am Freitag und Sonntag die Maskenpflicht am Maskenball sehr streng durchgesetzt wurde, wies man am Samstag etwas weniger darauf hin.
»Überraschenderweise haben wir in der Umfrage nach dem Festival viele Nachrichten bekommen, dass es Besucher*innen zu locker war«, erzählt Dettke. Am Wochenende davor erhielt das Team aber auch Nachrichten, dass die Regeln zu streng durchgesetzt wurden. Insgesamt kamen Dettke und sein Team zu dem Fazit, dass das Publikum sich nicht selbst reguliert. Denn wenn die Regeln lockerer waren, dann wurde das vom Publikum auch ausgenutzt. Viele fühlten sich wohl mit ihrer Impfung auf der Tanzfläche im Freien sicher.
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