Die Erde im Kapitalozän

Das Raumtheaterprojekt «landscapes and bodies» nimmt den Bergbau in den Blick

  • Lara Wenzel
  • Lesedauer: 5 Min.

Erst werden einige im Dorf angefüttert, dann folgt der Rest.« So kaufen Braunkohleunternehmen Haus für Haus eine ganze Gemeinde auf, berichtet Dietmar Martin. Heute wohnt der ehemalige Einwohner von Großgrimma in Hohenmölsen neben dem Braunkohlentagebau Profen. Dem 25 Kilometer entfernten Pödelwitz drohte das gleiche Schicksal, aber Klimaaktivist*innen erkämpften 2019 die Nicht-Abbaggerung des Ortes.

Zeitgleich startete am Schauspiel Leipzig die Performance-Reihe »landscapes and bodies«. Anhand je eines Rohstoffs beschäftigen sich die Produktionen, gestützt auf Interviewmaterial, mit den umweltschädlichen Folgen des Bergbaus. »Gold and Coal«, das im November 2019 Premiere feierte, verschränkt den Braunkohleabbau in Sachsen mit den Gold- und Kupferminen in Papua in einem Virtual-Reality-Performance-Parkour. Während des Kunstfests in Weimar folgte die Uraufführung von »Water and Coltan« sowie »Oil Shale« (»Ölschiefer«), den letzten beiden Beiträgen. In der Versandhalle der Ehringsdorfer Brauerei konnte das fünfteilige Projekt von Daniel Kötter, Sarah Israel und Elisa Limberg im Zusammenhang besucht werden.

Den Doppelperformances »Gold and Coal« und »Water and Coltan« lag der gleiche Aufbau zugrunde. Eine Gruppe von fünf Zuschauer*innen durchschritt gemeinsam zwölf Holzcontainer, in denen abwechselnd eine Virtual-Reality-Brille oder eine performative Installation wartete. Genau neun Minuten verweilte man in einem Raum, dann zeigte ein Signal an, dass der nächste betreten werden sollte. Die Performances teilen die Struktur, unterscheiden sich aber stark in ihrer Dramaturgie. »Gold and Coal« trennt die verhandelten Umweltkatastrophen und arbeitet mit theatralen Aktionen, die als autonome Versatzstücke funktionieren.

Besonders der von Darlane Litaay, einem Tänzer und Choreografen aus Jayapura, West Papua, konzipierten Performance gelingt es, den Konflikt in eine Geste zu verdichten. Makisig Akin hält ein Bündel Kupferstangen in der Hand, das in der rhythmischen Bewegung in Vibration gerät. Metallisch schaben sie über den Betonboden und schlagen aneinander. Gezielt stößt der*die Tänzer*in einen Stab nach vorn zwischen das Publikum und teilt so den Raum des kleinen Containers. Die Gruppe zerfällt im bedrohlichen Ausweichspiel, und die Zuschauer*innen spüren, wie sie vom Kupfer gelenkt, in eine Ecke gedrängt werden.

Die körperliche Erfahrung verbindet sich mit den Schilderungen im vorherigen Container. Mama Yosepha Alomang erzählt, wie sie und andere Indigene in Papua gewaltsam umgesiedelt wurden. »Alles ist ausradiert«, berichtet die Widerstandskämpferin, während sich das Publikum in den Allround-Videos von Daniel Kötter mitten im Regenwald befindet. Das Bergbauunternehmen Freeport wurde seit 2003 mehrfach in Zusammenhang mit Menschenrechtsverletzungen gebracht, die auf dem Gelände seiner Minen vom indonesischen Militär an Indigenen und »Free Papua«-Aktivist*innen verübt wurden. Um die Grasberg-Mine, die größte Goldmine und eine der größten Kupferminen der Welt, kommt es immer wieder zu Vertreibungen und blutigen Auseinandersetzungen.

Aktivist*innen auf der westlichen Halbinsel Neuguineas fordern daher die Unabhängigkeit von Indonesien, das die rohstoffreiche Provinz militärisch kontrolliert. Agustina Helena Kobogau kämpft für die Rechte der Moni und Papuaner. Zur Uraufführung am Schauspiel Leipzig war die Aktivistin und Filmemacherin im direkten Austausch mit der kleinen Publikumsgruppe und schuf einen sehr intimen Moment. Nun wird auf einen großen Bildschirm übertragen, wie sie vor ihrer Hütte sitzt, und sie berichtet in der Sprache der Bevölkerungsgruppe Moni von ihrer Lokalkultur. Das Leben in der Provinz wird immer schwerer, denn neben den territorialen Kämpfen ist das Trinkwasser mit Kupfer belastet. Zugleich zeitigt der steigende Meeresspiegel gerade in Jakarta drastische Folgen. Pro Jahr versinkt die Hauptstadt Indonesiens um weitere circa 25 Zentimeter im Ozean.

Die Qualen des mythischen Königs Tantalos wandeln sich so in ein prophetisches Bild. Von den Göttern verbannt in den tiefsten Teil des Hades, steht der Frevler in einem See. Das Wasser schlägt ihm bis zum Kinn, heißt es in der »Odyssee«, doch kann er seinen Durst nicht stillen.

Irgendwann füllt sich auch das Ruhrgebiet mit dem ungenießbaren Abwasser Tausender Menschen, so der künstlerische Entwurf in »Water and Coltan«. Der Abschnitt führt in eine Zukunft, in der die Ewigkeitslasten des Kohleabbaus aus den Kanal- und Pumpsystemen über die Einwohner*innen hereinbrechen. Wenn die 600 Pumpen versagen und die Flüsse beginnen, das ausgehöhlte Land zu füllen, werden die Städte im Pott überspült. Daniel Kötter und Anna Ptak verweben in ihrem poetischen Text die Tantalos-Geschichte mit der dystopischen Perspektive des Ruhrgebiets. Mehrfach liest Christian Chokola Muhigwa den Text über dreidimensionale Aufnahmen der Wasserleitsysteme. Im Ablauf des Parkours überschneidet sich der Entwurf mit der Realität in Südkivu, Kongo. Der Coltanabbau hat das Wasser vergiftet, Krankheiten entstehen, und auf dem belasteten Boden können keine Feldfrüchte angebaut werden.

In »Oil Shale« wird ein anderes Verhältnis zwischen den Zuschauer*innen erzeugt. Zuvor in kleine Gruppen geteilt und häufig isoliert durch VR-Brillen, sitzen nun alle verteilt in einem mit Kunstschnee gefüllten Raum. Zu Aufnahmen estnischer Bergbau- und Schneelandschaften hört das Publikum atmosphärische, elektronische Musik über Kopfhörer. Im letzten Teil der Reihe wird die produzierte Vereinzelung sichtbar. Sogar die Interviews über den Ölschieferabbau an der estnisch-russischen Grenze und seine geopolitischen Auswirkungen müssen allein gelesen werden. In der Bühnenkonstellation und der Musik der estnischen Band Keetai drückt sich die Einsamkeit des vergessenen Landstrichs aus. Es ist eines der verdichteten Bilder, in denen sich die Kraft der überbordenden Materialsammlung zeigt.

In »landscapes and bodies« ergeben sich eine eindrückliche Raumzeiterfahrung und ein Epos des Kapitalozäns, das in seinem Fortschreiten notwendig »die Springquellen allen Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter«, wie es bei Marx heißt.

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