Operieren oder abwarten

In der Corona-Pandemie wurden viele Eingriffe für künstliche Hüft- und Kniegelenke verschoben

In der Corona-Pandemie haben Patienten aus Angst vor einer Ansteckung mit dem Virus ihre geplante Operation zum Gelenkersatz von Knie oder Hüfte verschoben. Durchschnittlich wurden 30 Prozent weniger dieser Eingriffe im Zeitraum von März 2020 bis März 2021 in Deutschland durchgeführt, wie die AE - Deutsche Gesellschaft für Endoprothetik kürzlich mitteilte. Deren Jahreskongress findet Ende dieser Woche in Regensburg statt. Hinter der Abkürzung AE verbirgt sich die Arbeitsgemeinschaft Endoprothetik GmbH, die Fortbildungen und Kongresse zu der Thematik anbietet.

Viele Menschen, die Probleme mit Knie oder Hüften haben, beschäftigt aber auch unabhängig von der Pandemie die Frage, wann der günstigste Zeitpunkt ist, ein Kunstgelenk einzusetzen. Vielleicht ist die konservative Behandlung etwa mit Physiotherapie noch nicht ausgereizt? Ist es nicht doch möglich, ein paar Kilo abzunehmen in der Hoffnung, dass damit der Schmerz nachlässt? Oder sind mehr Schmerzmittel die Lösung? Wie lange kann der Eingriff nach hinten verschoben werden, ohne dass Schäden durch Schonhaltungen eintreten? Braucht es erst dann ein neues Gelenk, wenn man hinkt?

Die Prothesen gelten als letzte Behandlungsoption bei fortgeschrittener Arthrose des Gelenks, in dem sich über die Jahre die stoßdämpfende Knorpelschicht zwischen den Gelenkflächen abbaut. Werden medizinische Leitlinien als Maßstab genommen, müssen vor dem Eingriff alle konservativen Therapiemöglichkeiten ausgeschöpft worden sein, müssen Schmerz und Bewegungseinschränkungen dauerhaft stören. Für Karl-Dietrich Heller ist der richtige OP-Zeitpunkt eine individuelle Entscheidung. Der Orthopäde und Unfallchirurg ist Ärztlicher Direktor des Herzogin-Elisabeth-Hospitals in Braunschweig. Ein wichtiger Faktor bei der Entscheidung sei das Wissen um deren Haltbarkeit: »Man weiß, dass etwa die Hälfte aller Hüftprothesen und 15 Prozent aller künstlichen Kniegelenke nach etwa 20 bis 25 Jahren ausgetauscht werden müssen«, erklärt Heller. Das sollte den Patienten bewusst sein. Ab einem Alter von etwa 68 Jahren benötigten sie bei durchschnittlicher Lebenserwartung keine Wechseloperation. Bei hohem Leidensdruck und klarem Befund im Röntgenbild spiele das Alter aber keine Rolle: »Dann operieren wir.«

Es gibt jedoch auch Fälle mit noch erträglichen Beschwerden, bei denen eine gute konservative Behandlung helfen könne, den Eingriff hinauszuzögern oder im Einzelfall sogar zu vermeiden. »Man macht nichts falsch, wenn man nicht sofort operiert«, meint der Arzt, vermutlich auch mit Blick auf zu eifrige Kollegen. Wer als Patient an der OP-Entscheidung Zweifel habe, solle sich eine Zweitmeinung einholen. Mit dem Wunsch nach einer solchen Einschätzung kämen viele Betroffene auch in seine Klinik.

Schonhaltungen und -bewegungen, um Schmerzen zu vermindern, haben jedoch Auswirkungen auf die gesamte Körperstatik, so Heller. Muskeln und Sehnen verkürzen und verhärten sich und werden schwach. Weitere Gelenke und die Wirbelsäule können geschädigt werden. Wenn es schon so weit ist, kann ein Ersatzgelenk auch nicht alle Beschwerden aufheben. Auch Schmerzen könnten chronisch werden. Das Nonplusultra ist Bewegung: Das gilt im Alltag ohne Einschränkungen und auch dann, wenn gegen diese unter Anleitung etwa eines Physiotherapeuten oder Trainers vorgegangen wird. Auch vor der Operation gilt: »Insgesamt gelingt die Rehabilitation schneller und vollständiger, wenn man sich in einem guten körperlichen Zustand operieren lässt.« Da die Haltbarkeit der Prothesen mittlerweile deutlich gestiegen ist, geht es dann auch im Alltag nach der Operation darum, dass Patienten nicht aus Furcht, dass sich künstliche Gelenk lockert, passiv bleiben. Damit bestünde nämlich die Gefahr eines weiteren Muskelabbaus sowie von abnehmender Knochendichte - was den Erfolg der Implantation mindern kann.

Die Entscheidung für einen künstlichen Gelenkersatz stellt Patienten vor die Aufgabe, die beste Klinik für diesen Eingriff zu finden. Hier kann eine Empfehlung des Hausarztes sinnvoll sein. Oder das Zertifikat Endo-Cert liegt im jeweiligen Krankenhaus vor - damit sind die Abläufe um den Eingriff qualitätsgeprüft.

Zusätzlich kann es sinnvoll sein, im Krankenhaus der Wahl zu erfragen, wie viele dieser Operationen pro Jahr durchgeführt werden. Auch die freiwillige Teilnahme der Klinik am Endoprothesenregister Deutschland ist ein Qualitätsmerkmal. Es ist keinesfalls selbstverständlich, dass sich das Krankenhaus an dem Register beteiligt, denn das tun nur etwa 70 Prozent der in Frage kommenden Kliniken. Seit 2012 wurden in dem Register 1,8 Millionen Datensätze über die Operation, die verwendeten Prothesen und und Patientendaten erfasst. Ab 2024 sollen die Daten in ein neues, dann verpflichtendes Register übergehen.

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