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Das Ende des Ego-Dings
René Pollesch, der neue Intendant der Berliner Volksbühne, über sozialistische Schauspieler, »Hygienedemos« und Rosa Luxemburg
René Pollesch, wie oft träumen Sie noch vom Sozialismus?
Ich bin ja an einem Theater und träume wie Brecht vielleicht erst mal von einem sozialistischen Theater. Theodor W. Adorno hat Brecht und vielleicht allen sich für politisch haltenden Theaterleuten ja in den Mund gelegt: »Mich interessiert au fond das Theater mehr als die Veränderung der Welt.«
René Pollesch ist Autor und Regisseur. Er studierte am Institut für angewandte Theaterwissenschaft in Gießen. An zahlreichen bedeutenden Theatern, darunter am Schauspiel Frankfurt, am Deutschen Theater Berlin und am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, inszenierte er eigene Stücke. Das »nd« ist die einzige Zeitung, die er jemals im Abo bezogen hat. Seit der Spielzeit 2021/22 ist er Intendant der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Über seine neue Aufgabe als Intendant sprach er mit Erik Zielke.
Vor elf Jahren haben Sie ein Stück auf die Bühne gebracht mit dem Titel »Sozialistische Schauspieler sind schwerer von der Idee eines Regisseurs zu überzeugen«. Bei »Aufstieg und Fall eines Vorhangs und sein Leben dazwischen«, der Eröffnungsinszenierung Ihrer Intendanz an der Berliner Volksbühne, wird der Satz ebenfalls zitiert. Was bedeutet das eigentlich?
Das hat entweder Piscator oder der ehemalige Volksbühnen-Intendant Benno Besson gesagt. In der aktuellen Produktion ist das der Titel von einem Gedicht, das die Schauspielerin Susanne Bredehöft vorträgt. Darin geht es darum, dass es bei allem, was Theaterregisseure vielleicht politisch wollen, in der Produktion der Inszenierung oft Probleme mit allen gibt, die sonst noch mitarbeiten. Dass der Wille eines Regisseurs eher pathologisch ist als politisch.
Die Zusammenarbeit zwischen Schauspieler*innen und Autor*innen oder Regisseur*innen müsste aber anders sein. Das fängt mit der Besetzung eines Ensembles an. Wir machen zum Beispiel keine Vorsprechen, sondern man trifft sich und spricht miteinander. Wir sind für Schauspieler*innen keine Herausforderung. Wir wenden uns von vornherein an Schauspieler*innen, die sich von Herausforderungen emanzipiert haben. Wir suchen eher Spieler*innen, die sich die Frage stellen, was das für ein Beruf ist, den sie ausüben, und die sich von dem Gedanken emanzipieren, Material des Regisseurs zu sein. Solche Spieler*innen habe ich glücklicherweise schon früh kennengelernt, und dann eben auch an der Volksbühne. Das sind dann für mich sozialistische Schauspieler*innen.Wie lässt sich jetzt diese andere, möglichst gleichberechtigte und reflektierte Arbeitsweise bei einzelnen Theaterproduktionen adaptieren für die Leitung eines Hauses wie der Volksbühne?
Das wissen wir auch noch nicht genau. Ein Vorschlag ist die Orientierung an Brecht - die Zusammenarbeit von Autor*innen und Schauspieler*innen -, weil das unserer Praxis sehr nahekommt. An diese Wendung glauben wir. Diese Praxis bedeutet, dass keiner Angst vor dem besten Vorschlag hat und dass dieses Ego-Ding ein Ende hat, dass man sich nur wohlfühlt, wenn die eigene Idee verwirklicht wird.
Als ich Anfang der 2000er Jahre an die Volksbühne gekommen bin, habe ich Texte produziert, die wurden gemeinsam gelesen und besprochen. Es war klar, dass ich nicht ein fertiges Stück mitbringe, sondern dass alles diskutiert wird. An der Volksbühne wurde schon lange antirepräsentativ gearbeitet, das heißt, nicht auf die Zuschauerperspektive gerichtet, nicht für die Nachvollziehbarkeit und das Verstehen im Publikum zubereitet.Damit knüpfen Sie also an etwas an, das an der Volksbühne früher unter dem Intendanten Frank Castorf bereits verwirklicht war. Wo werden Sie darüber noch hinausgehen?
Das Neue ist, dass wir jetzt ein ganzes Theater übernehmen. Eine bestimmte Praxis wird also auf die Leitung eines Theaters übertragen. Das heißt aber nicht, dass wir alle Regisseur*innen jetzt auf unsere Praxis einschwören. Aber fast alle setzen auch eher auf eine Verbindung zwischen Autor*innen und Spieler*innen. Florentina Holzinger hat bei unserem ersten Gespräch vor drei Jahren von Plänen erzählt, in Theatern mit Schauspieler*innen zu arbeiten. Sie wird in der zweiten Spielzeit die Eröffnung machen.
Nach dem diktierten Ende der Intendanz von Castorf und den zwei verunglückten Leitungsintermezzi durch Chris Dercon und Klaus Dörr sagten viele, Sie seien ohnehin der Einzige, der dieses Haus leiten könne. Wie hilfreich oder blockierend sind solche Zuschreibungen?
In einem Radiointerview vor unserer Bewerbung um die Intendanz wurde mir erzählt, Fabian Hinrichs hätte mal gesagt: »Die nachhaltigste und richtige Lösung des Nachfolgeproblems wäre René Pollesch«. Ich hatte dann geantwortet, dass ich darauf keine Lust hätte. Ich hatte auch überhaupt nicht das Gefühl, dass daran irgendjemand auch nur gedacht hätte. Unmittelbar nach dem Interview habe ich dann auf Twitter Schlagzeilen gelesen wie: »Pollesch will kein Intendant der Volksbühne sein.« Und ich dachte: »Das stand doch überhaupt nicht zur Debatte.« Und unmittelbar danach haben wir das mit der Bewerbung unternommen.
Die Volksbühne wird schon immer als ein sehr politischer Ort wahrgenommen. In den letzten Jahren hat sich das Theater über die Kunst hinaus noch mal als politische Projektionsfläche in Berlin gezeigt. Bei der Volksbühne denkt man an die Besetzung des Hauses, an Proteste gegen Gentrifizierung, aber auch an Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen. Wie gehen Sie damit um?
Unsere Verbindung zu den Anti-Gentrifizierungs-Protesten lag deshalb nahe, weil wir uns Jahre vorher im Prater mit einer Stadtpolitik beschäftigt hatten, die eher Investoren und nicht Bewohner*innen galt. Wir haben damals ein Stück gemacht mit dem Titel »Stadt als Beute«, was natürlich nicht aufgehört hat, Thema zu sein. Die Volksbühnen-Besetzer*innen hatten mich auch gefragt, ob ich programmatisch was für sie machen würde. Aber das hätte für mich zu sehr danach ausgesehen, als könnte ich den Fuß nicht rausbekommen aus dem Haus. Aber eine Aufzeichnung von »Stadt als Beute« wurde dann während der Besetzung gezeigt. Die Besetzung war für mich die beste Theaterinszenierung 2017.
Die »Hygienedemos«, die hier vor einem Jahr auf dem Platz stattfanden, sind eine ganz andere Sache. Das Bemerkenswerte ist, dass an ihnen ein paar der sich vom linken Kern der Besetzer*innen abgespaltene Teil der Theaterleute beteiligt waren und sind. Während sich der linke Teil der Besetzer*innen noch immer für Antifaschismus und gegen Gentrifizierung in Berlin einsetzt und aktiv ist, zum Beispiel »Staub zu Glitzer«, sind ein paar Theaterleute auf die rechte Spur geraten. Dass das gerade Künstler*innen sind, finde ich schon bemerkenswert. In »Der neue Geist des Kapitalismus« beschreiben Luc Boltanski und Ève Chiapello die Proteste im 20. Jahrhundert. Und vor allem auch, wie sich den Protesten die Künstler*innen anschließen. Die Künstler*innen fordern dann Flexibilität, weniger Maloche, Selbstverwirklichung und einen bunteren Alltag ein, was der Kapitalismus zwischen den 60er und 80er Jahren dann auch verwirklicht hat. Aber die Gewerkschaften blieben ungehört.Sie haben kürzlich gesagt, Sie wollten nicht Tagespolitik auf der Bühne verhandeln. Bei der Eröffnungspremiere in der vergangenen Woche war dann zu erleben, dass vor der Volksbühne eine Demonstration gegen »Impf- und Testzwang« stattfand. Überlässt man den Demonstranten damit nicht genau dieses Feld?
Einerseits wird von den Theatern immer wieder die Beschäftigung mit tagespolitischen Themen eingefordert, andererseits ist denen, die das von uns fordern, nicht klar, dass das vor allem journalistische Themen sind, und sie ein Jahr später wieder ganz andere Themen einfordern. Die Theater, die darauf reagieren, beschäftigen sich damit, und im nächsten Jahr steht schon wieder was ganz anderes auf der Tagesordnung. Die wirklich politisch Interessierten kommen dann regelmäßig zu dem Ergebnis, dass ihre Themen in den Theatern nur unverdaut und unterkomplex durchgenommen werden. Uns dagegen wird öfters vorgeworfen, wir machen immer dasselbe, aber ich würde sagen, wir bleiben wenigstens mal bei unseren Themen. Und das haben wir dann wieder mit den Aktivist*innen gemein. Klar ist für uns jetzt der ganz praktische Umgang mit rechten Impfgegnern vorm Haus ein Thema. Die Anwohner*innen vom Rosa-Luxemburg-Platz hatten sich in den letzten Jahren und dann besonders im Zuge der Ereignisse 2020 politisiert, und das ist eine Sache, an die wir anknüpfen wollen.
Bis zum Ende der Intendanz Castorf stand auf dem Dach der Volksbühne weithin sichtbar das Wort »Ost«. Was bedeutet das für Sie?
Sehr viel. Das ist einfach für das Theater noch immer wichtig. Ich bin Wessi, aber ich habe viele Jahre an diesem Haus gearbeitet. Als Castorf 1992 hier angefangen hat, konnte er mit diesem Ost-Theater in dem ganzen Wiedervereinigungszirkus unglaublich viel kanalisieren.
Castorf hat nicht versöhnt, sondern zugespitzt. Wie könnte ein Theater sowas heute hinbekommen, welche Aufgaben könnten wir übernehmen?
Castorf hatte im Intendantenbüro ein Stalin-Porträt aufgehängt. Diese politische Überaffirmation als künstlerische Strategie entspricht aber nicht Ihrer Herangehensweise?
Nein. Und ich kann mich ja auch nicht verstellen oder nur Äquivalente suchen oder einen anderen nachspielen.
Wer könnte stattdessen heute dort an der Wand hängen?
Vor fünf Jahren hätte ich gesagt: Donna Haraway. Aber jetzt als Intendant … es gibt ja auch kein Äquivalent zu Stalin.
Die Rückbenennung in »Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz« war aber doch ein maßgeblicher Schritt, nachdem das Theater vier Jahre »Volksbühne Berlin« geheißen hatte.
Das lag für uns total auf der Hand. Den Namen einfach auszuradieren war einer der größten Schocks, als 2017 Chris Dercon kam.
Was bedeutet Ihnen denn Rosa Luxemburg?
Der Name ist für viele von uns einfach mit dem Theater verbunden. Für einen Großteil von uns ist es der Name dieses Theaters. Ich finde auch gut, dass es eine Frau ist.
Aber dass Rosa Luxemburg eine bedeutende deutsche Sozialistin war, spielt auch eine Rolle?
Ja. Das spielte auch eine große Rolle für die Besetzung. Während der Besetzung und den Aktionen danach haben viele Jugendliche Plakate mit Rosa-Luxemburg-Porträts entworfen. Es spielt auch eine Rolle dafür, dass es nach wie vor ein umkämpfter Platz ist.
Worin setzen Sie mehr Hoffnung: in den Globalen Klimastreik am Freitag oder in den Wahlsonntag? Oder in keins von beidem?
»Nur um der Hoffnungslosen willen ist uns die Hoffnung gegeben«, sagt Walter Benjamin. Meine eigenen Hoffnungen würde ich nicht überbewerten. Aber klar finde ich den Klimastreik gut.
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