Widersprüchliche Partnerschaft

Die Rolle als Rohstofflieferant und Absatzmarkt für China bietet Russland keine langfristigen Garantien für Stabilität und Wachstum

  • Alexander Kotov
  • Lesedauer: 7 Min.

Für die Herausbildung der strategischen Partnerschaft zwischen Russland und China gab es in den letzten Jahren wichtige Faktoren. Dazu gehören die Krim-Wiedervereinigung im Jahre 2014 und die Handelspolitik der Vereinigten Staaten gegenüber China im Jahr 2016. Hinzu kamen die Erweiterung der chinesischen Seidenstraßen-Initiative und Aktivitäten der Eurasischen Wirtschaftsunion. Es ist bemerkenswert, dass Peking es zuvor vorgezogen hatte, die bilateralen Beziehungen mit den Staaten des postsowjetischen Raums zu entwickeln. Peking unterstützte ab dann, zumindest formell, die russische Initiative zur Vertiefung der eurasischen wirtschaftlichen Integration.

Die Beziehungen Russlands zu China waren und sind nicht nur nachbarschaftlicher Natur, sondern auch eine Form des interzivilisatorischen Dialogs. Menschliche Kontakte entwickeln sich sehr intensiv: Circa 35 000 chinesische Bürger haben in Russland und etwa 20 000 Russen haben in China studiert. Russisch als Sprache wird in China an 159 Universitäten unterrichtet, an denen 26 000 künftige Philologen und Russisten ausgebildet werden. 2018 haben 1,84 Millionen chinesische Touristen Russland besucht; die Zahl der russischen Touristen in China lag bei fast zwei Millionen.

»Komplementarität« zum Vorteil Chinas

Zu Beginn des dritten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts ist Russland einer der wichtigsten wirtschaftlichen Partner Chinas. Dies vor allem im Energiesektor. China ist derzeit der führende Handelspartner der Russischen Föderation. Es geht um etwa 16 Prozent des russischen Außenhandelsumsatzes. Insgesamt hat der Handelsumsatz zwischen China und Russland 108 Milliarden US-Dollar erreicht. Das ist die erste Position im russischen Außenhandel. Für die chinesische Wirtschaftsdiplomatie geht es um »Komplementarität« in der strategischen Partnerschaft: Chinesische Unternehmen sind im russischen Wirtschaftsraum aktiv, Rohstoffe werden in China verarbeitet und chinesische Fertigwaren an die Russen verkauft. Somit schafft man auch Arbeitsplätze für die chinesische Bevölkerung.

Man muss es klar aussprechen: Dieses Modell der Komplementarität hat einen sehr einseitigen Charakter und trägt nicht zu einer ausgewogenen Entwicklung der russischen Gebiete im Fernen Osten bei. Selbstverständlich gibt es wichtige geopolitische Argumente für die weitere Stärkung der wirtschaftlichen Interaktion mit China, für die Verflechtung der regionalen Wirtschaften des südlichen Teils des russischen Fernen Ostens mit dem Nordosten Chinas. Aber die Argumente dagegen sind ebenfalls ziemlich relevant. Dazu gehören das Problem des demografischen Drucks Chinas auf den dünn besiedelten russischen Fernen Osten und die Situation mit den Seerechten Chinas, was die ohnehin schwierigen Sicherheitsprobleme in Ostasien zuspitzt. Trotzdem hat Russland zurzeit keine gleichwertige Alternative zur Außenwirtschaftspolitik als die Entwicklung der Handelsbeziehungen mit China. In dieser Frage besteht in der russischen politischen Elite ein Konsens.

Russland sucht nach institutionellen Antworten, um Chinas wirtschaftlichen Druck auf den Fernen Osten zu kompensieren. Dazu gehört das Ministerium für die Entwicklung des Fernen Ostens als Stärkung der staatlichen Strukturen in dieser Region. Um die Einseitigkeit dieser Zusammenarbeit zu verbessern, bedarf es jedoch noch viel Zeit. Entscheidend ist die Intensivierung der russischen Wirtschaft in diesem Raum. Dabei steht die Herausforderung für die russische Wirtschaftspolitik, eine Wiederholung der Programme der interregionalen Zusammenarbeit zwischen den Regionen Fernost und Ostsibirien der Russischen Föderation und dem Nordosten von China, die zwischen 2009 und 2018 entwickelt worden waren, zu vermeiden. Diese Programme brachten Russland nur einen geringen Mehrwert.

Umweltschutz ist auch ein wichtiger Punkt im bilateralen Verhältnis. Chinas Umwelt wurde durch die Aktivitäten tausender Unternehmen stark beeinträchtigt. Die Verlagerung chinesischer industrieller Kapazitäten in den sibirischen und fernöstlichen Raum könnte für Russland zu neuen Sonderwirtschaftszonen oder zu Gebieten fortgeschrittener Entwicklung konzipiert werden. Für die russischen Regionalverwaltungen könnte sich dies als Lösung für Beschäftigungsprobleme erweisen. Damit könnte der Handelsumsatz gesteigert und zusätzliche Einnahmen für den lokalen Haushalt gewonnen werden. Aber ein solcher Ansatz kann sich negativ auf die russische Umwelt auswirken und wird auch weitreichende Konsequenzen für die Wirtschaft und Demografie dieser fernöstlichen Regionen haben und somit die vorhanden Probleme verstärken.

Inseln der Hightech-Zusammenarbeit

Es gibt auch Projekte im Rahmen der digitalen Wirtschaft. Hier sind technologische Durchbrüche in traditionellen Bereichen der beiden Volkswirtschaften möglich. Das ist besonders wichtig für Russland und seine Partner in der Eurasischen Wirtschaftsunion. In Fragen der industriellen Entwicklung bietet Russland eine Zusammenarbeit in den Bereichen ziviler Flugzeugbau, Automobilindustrie, Chemie, Pharmaindustrie, Schwer- und Energietechnik sowie Metallurgie an. So fördert Russland im Bereich des Flugzeugbaus ein Programm zur Entwicklung eines Großraum-Langstreckenflugzeugs (Advanced Heavy Helicopter-Programm). Russland hat vorgeschlagen, die Zusammenarbeit mit China auf dem Gebiet der Funkelektronik, einschließlich des Austauschs von Datenspeichertechnologien, hochpräzisen Funkmessgeräten und digitaler Plattformen zur Überwachung der Frachtzustellung zu entwickeln.

Das gegenseitige Interesse an einer Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Robotik wächst. Die russische Unterstützung beim Aufbau eines Warnsystems für Raketenangriffe in China zeigt das hohe Maß an Vertrauen zwischen den Ländern. Russland hat hier offensichtlich Vorteile. Dies könnte sich aber bald ändern. Ein solches Modell der Hightech-Zusammenarbeit ist letztlich für China von Vorteil. China nutzt das derzeitige Modell der Die russische Unterstützung beim Aufbau eines Raketenabwehrsystem in China zeigt das Vertrauen zwischen beiden Ländern. Russland hat hier offensichtlich Vorteile. Dies könnte sich aber bald ändern. Ein solches Modell der Hightech-Zusammenarbeit ist letztlich für China von Vorteil. China nutzt das derzeitige Modell der Zusammenarbeit, um die Wirtschaftssektoren, nicht zuletzt den Militärsektor, zu modernisieren. Zur gleichen Zeit werden viele mit Russland unterzeichnete Wirtschaftsabkommen nicht mit Leben erfüllt.

Die Ausweitung der Zusammenarbeit mit China war und ist ein natürlicher Wunsch Russlands, um die Rohstoffmärkte zu diversifizieren und bestimmte strategische Aufgaben zu lösen. Die Ereignisse des Jahres 2020 haben gezeigt, dass diese russischen Interessen sich mit den sehr harten und pragmatischen wirtschaftlichen Interessen Chinas im Konflikt befinden. China hat im Juli 2020 die Käufe über die Gaspipeline Power of Siberia fast vollständig eingestellt. Zuvor war russisches Gas das billigste auf dem chinesischen Markt und hat circa 184 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter gekostet. Im August 2020 entstanden Probleme mit der Verzögerung russischer Kohlezüge an der russisch-chinesischen Grenze. Zudem stellte China die Importe aus Russland aufgrund der Corona-Pandemie ein. Möglicherweise reduziert China in naher Zukunft seine Kohleproduktion generell und fördert derzeit eigene Produzenten. Russland plant, die Kohleversorgung Chinas innerhalb von zehn Jahren zu verdoppeln, auf 55 Millionen Tonnen pro Jahr.

Diese Pläne müssen jedoch jetzt angepasst werden. China verlangsamt systematisch und unter bürokratischen Vorwänden sowohl den Gas- und Kohleimport als auch die Fischimporte aus Russland. Im Jahr 2020 hat die chinesische Zollverwaltung die Zulassung russischer Produkte für den Auslandsmarkt eingestellt. Begründet wurde dies mit der Gefahr, das Spuren vom Coronavirus vorhanden sein könnten. Aus diesem Grund sind die russischen Fischpreise in der Hochsaison um 20 Prozent gefallen und die russischen Exportunternehmen haben gewaltige Verluste erlitten. Die extreme Rationalität der chinesischen Politik wurde in den letzten Monaten auch dadurch deutlich, dass bilaterale Verträge nicht verlängert wurden, da ein schwächerer Rubel erwartet wurde.

Wachsende wirtschaftliche Skepsis

Derzeit ist Russland für China ein stabiler Rohstofflieferant und ein Absatzmarkt für chinesische Produkte. China nutzt das akkumulierte Kapital für große internationale Verkehrstransitkorridore, um das Problem der eigenen Überkapazitäten zu lösen und seine Produkte auf den eurasischen Märkten zu verkaufen. Die Bereitstellung von Ressourcen für China bietet Russland keine langfristigen Garantien für Stabilität und Wirtschaftswachstum. Im politischen Bereich geht es um die Sicherung einer multipolaren Welt und das Verhindern eines unipolaren Modells des Westens. Das gilt auch für die Wirtschaft. Trotz der generellen solidarischen Position gegenüber China bleibt Moskau vorsichtig, wenn es um die uneingeschränkte Unterstützung chinesischer Initiativen und Positionen geht, da eine solche einseitige Positionierung die Beziehungen zu einigen anderen Partnern erschweren kann. Aber auch China hält an demselben Verhaltensmuster fest. Letztlich steht Russland heute vor der Aufgabe, ein Konzept für die wirtschaftliche Entwicklung seines Fernen Ostens zu erarbeiten und das Nationale Programm zur Entwicklung des Fernen Ostens endlich umzusetzen.

Dr. Alexander Kotov, Jahrgang 1986, ist Mitarbeiter des Europa-Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften, Zentrum für Deutschlandforschungen sowie Mitarbeiter des Zentrums für räumliche Wirtschaft an der Russischen Akademie für Volkswirtschaft und öffentliche Verwaltung. Der Artikel gehört zu einer Sonderausgabe des außenpolitischen Journals »Welttrends«, die Texte russischer Autorinnen und Autoren sowie Kommentare deutscher Autoren und eines Autors aus Belarus zur russischen Außenpolitik versammelt.
Zum Weiterlesen: welttrends. de

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