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Nicht verstanden, nicht besiegt
Die Suche nach Alzheimermedikamenten kommt nur mühsam voran. Andere Therapieansätze bleiben unterbelichtet
Noch immer gibt es keine medikamentöse Therapie gegen die Alzheimer-Demenz. Jahrzehntelange Forschung mit verschiedenen Ansätzen hat noch kein Ergebnis in Form eines Wirkstoffes erbracht, der die Krankheit stoppen oder gar verhindern könnte. Auch die wachsende Zahl von Betroffenen weltweit und damit eine sicher hohe Nachfrage nach einem solchen Mittel konnte die pharmazeutische Suche nicht forcieren.
Warum es so schwierig ist, Ergebnisse zu erzielen, fasste kürzlich die Alzheimer Forschung Initiative zusammen. Demnach gibt es ein Grundproblem: Niemand weiß bisher, wann und wie die Krankheit beginnt. Die Vermutung vieler Forscher läuft darauf hinaus, dass das bis zu 30 Jahre vor Beginn der Symptome ist. Vermutet wird eine Kettenreaktion von den ersten Gehirnveränderungen bis zum Ausbruch der Krankheit, für die noch viel Grundlagenforschung gebraucht werde.
Zudem fehlten passende Modelle. In der Stellungnahme der Initiative scheint durch, dass man sich in der Forschung endlich vom beliebten Maus-Modell verabschiedet hat. Der Grund: »Alzheimer betrifft die Kognition des Menschen und damit eine Fähigkeit, die Mäuse nicht haben.«
Zudem fehlten Biomarker, am besten im Blut, die signalisieren könnten, dass im Gehirn schon sicher etwas passiert, was später die Demenzform auslöst. Hätte man Biomarker, so die Annahme, könnte man Patienten schon früh behandeln und Wirkstoffe könnten bessere Ergebnisse erzielen. Tatsächlich ist aber gerade erst ein Wirkstoff zugelassen - und das auch bisher nur in den USA - dessen Genehmigung sich, entsprechend der Probandenzusammensetzung, tatsächlich auf Patienten im frühen Krankheitsstadium mit nur leichten kognitiven Beeinträchtigungen beschränkt.
Eine weitere zusätzliche Herausforderung für die Alzheimerforschung sei es, dass jeder Wirkstoff - und auch die eventuell durch ihn bewirkten Abbauprodukte - die Blut-Hirn-Schranke passieren muss. Dieser Schutzmechanismus verhindert wie ein Filter, dass Krankheitserreger oder Giftstoffe ins Gehirn eindringen können.
Ungeachtet dieser Einschränkungen wurden auf der internationalen Alzheimerkonferenz AAIC in Denver im Sommer auch andere Ansätze der Therapie vorgestellt - und zwar jenseits der Versuche, Eiweißverklumpungen (unter anderem Amyloide) aufzulösen oder zu verhindern. Eine der Ideen ist mit dem Glukosestoffwechsel im Gehirn verbunden, der bei Alzheimer gestört ist. Erwartet wurden nun schützende Effekte durch Antidiabetika. Eines davon kam bei einem Versuch am Imperial College in London mit 206 diabetesfreien Patienten mit leichter bis moderater Alzheimer-Demenz zum Einsatz. Ein Teil von ihnen erhielt das Mittel für ein Jahr, die übrigen Probanden nur ein Placebo. Zwar hatte sich im Ergebnis beim Glukosestoffwechsel im Gehirn in der Verum-Gruppe wenig geändert, allerdings schnitten diese Teilnehmer bei verschiedenen Kognitionstests und beim Verlust der Hirnsubstanz signifikant besser ab.
Einer Gruppe von Patienten gilt in Sachen Alzheimer-Demenz besondere Aufmerksamkeit - es sind jene mit Trisomie 21. Erreichen sie das 50. Lebensjahr, entwickeln alle die neurodegenerative Erkrankung. Das hängt mit einem Vorläufer-Protein für die Amyloidentstehung auf Chromosom 21 zusammen. Es bewirkt deutlich mehr Beta-Amyloid. Forscher der Keck School of Medicine in Los Angeles untersuchten die Wirkung einer Impfung mit einem Beta-Amyloid-Fragment. Hier konnte in der kleinen Probandengruppe von insgesamt 16 demenzfreien Patienten Anfang 30 eine Immunreaktion beobachtet werden. Auch andere aktuelle Forschungsergebnisse wurden nur in kleinen Probandengruppen erzielt. Öffentlich mehr wahrgenommen wurden die Daten der AAIC zur weiteren Verbreitung der Alzheimer-Demenz. Demnach wird erwartet, dass positive Trends beim globalen Bildungszugang die Demenzerkrankungsrate bis zum Jahr 2050 weltweit um 6,2 Millionen Fälle senken werden. In der Zwischenzeit werden aber Trends beim Rauchen, einem hohen Body-Mass-Index und hohem Blutzucker diese Prävalenz um fast die gleiche Zahl erhöhen: um 6,8 Millionen Fälle.
In den Industriestaaten nimmt die Demenz-Inzidenz sogar leicht ab - allerdings wächst die absolute Zahl alter Menschen, und deren Lebenserwartung steigt ebenfalls. Unter dem Strich steigt dann auch die Zahl der Menschen, die mit einer Demenz leben. Die zurückgehende Inzidenz in diesen Staaten könnte aber auch bedeuten, dass die Eindämmung ganz klassischer Risikofaktoren wirkt. Darunter finden sich etwa das Rauchen, Bewegungsmangel, Übergewicht oder soziale Isolation. Hier ließen sich die Anstrengungen verstärken, auch zum Schutz vor weiteren häufigen Krankheiten. Ein Ungleichgewicht existiert in der Verteilung der Forschungsgelder: Vor allem die Grundlagenforschung wird für wichtig erachtet. Versorgungsforschung hingegen bleibt unterfinanziert. Entsprechend findet die Schaffung demenzgerechter Lebensräume meist nur in Einzelprojekten statt.
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