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Der fliegende Kurde
Bachtyar Ali erzählt eine bitterernste Geschichte - märchenhaft verzaubert
Ein Abenteuerroman, ein Schelmenroman gar, über einen Umhergetriebenen, der sich mit allen möglichen Mitteln durchs Leben schlägt? Ein modernes Märchen? Eine parabelhafte Erzählung über Freiheit, Zugehörigkeit und Treue? Der neue Roman von Bachtyar Ali hat etwas von alledem.
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Bachtyar Ali: Mein Onkel, den der Wind mitnahm.
A. d. Kurdischen (Sorani) v. Ute Cantera-Lang u. Rawezh Salim. Unionsverlag, 151 S., geb., 20 €.
1966 in Sulaimanya (Nordirak) geboren, lebt der Autor seit Mitte der 90er Jahre in Deutschland, nachdem er mit der Diktatur Saddam Husseins in Konflikt geraten war. Laut Wikipedia spricht er Arabisch, Deutsch, Persisch und Englisch. Seine Bücher aber schreibt er auf Sorani - die südöstliche Variante des Kurdischen mit arabischem Alphabet, was die Übersetzer, Ute Cantera-Lang und Rawezh Salim, vor manche Herausforderungen stellte. Man merkt es dem Text nicht an. Leicht liest er sich, als sei er für das hiesige Publikum geschrieben.
Man soll gespannt sein, staunen, wie es mit Djamschid weitergeht, der tatsächlich fliegen kann, aber von seinen beiden jüngeren Verwandten Smail und Satar an Seilen festgehalten werden muss, damit der Wind ihn nicht fortweht. Dass da mit phantastischen Mitteln eine bitterernste Geschichte erzählt wird, erfährt man auf der ersten Seite - und könnte es im Laufe der turbulenten Handlung fast vergessen, so wie auch jeder Flugversuch Djamschids Erinnerung löscht.
Dabei ist ja eigentlich von einem todkranken Mann die Rede, der als 17-Jähriger, als glühender Kommunist, die grausamsten Folterungen im Gefängnis ertragen musste und sich nicht hatte brechen lassen. Geschunden und ausgemergelt, war er nur noch ein Schatten seiner selbst, als ihn in einer kalten Winternacht auf dem Weg zum Verhör der Wind mitnahm.
Was zur Umschreibung seines Todes getaugt hätte, nutzt der Autor als Quelle lebensprallen Erzählens. Dass Djamschid zum Haus seines Vaters gelangt, der ihn in die von Kurden kontrollierten Berggebiete des Irak bringt, ist nur der Beginn unvorhersehbarer Verwicklungen, weil der Mann, den Seilen zum Trotz, immer wieder davongetragen wird - im Krieg zwischen Iran und Irak zuerst auf die irakische Seite, wo er als »fliegender Kurde« die feindlichen Stellungen auszukundschaften hat; dann zu den Iranern, wo der Fliegende mit dem Ruf »Gott ist groß« begrüßt wird.
Er kommt zu den Kämpfern der PKK, hilft ihnen gegen die türkische Armee, wird vom Mullah einer Moschee ausgenutzt, will später reich werden in der Türkei, und es gelingt ihm sogar. Er steigt ins Geschäft der Schlepper ein, wird zum »Khan der Khans im Internet«, wo er dunkle Machenschaften kurdischer Politiker öffentlich macht und sein Geld mit Erpressung verdient. In einen Käfig gesperrt von einem reichen Politiker, scheint er vollends zur Witzfigur degradiert. Aber dazwischen immer wieder Flüge, die ihm ein Gefühl für Freiheit und einen Panoramablick geben, von dem wir als Leser profitieren. »Ich sehe die Dinge, wie Gott sie sieht«, sagt er zu Satar, der in dieser wundersamen Geschichte der Erzähler ist.
Satar, der Neffe: ein Sinnbild der Treue und einer Liebe, die ihm kaum vergolten wird. Man ist ja beim Lesen im Banne von Djamschid, so wie die beiden jüngeren Verwandten auch. Aber es lohnt sich tatsächlich, den Roman noch einmal als Satars Geschichte zu lesen, der alles für seinen Onkel gegeben hat, obgleich ihn dessen ständiger Gedächtnisverlust irritiert. Ohne die märchenhafte Ebene würde der Roman von der Zerrüttung einer Persönlichkeit handeln. Eine hochdramatische, tragische Lebensgeschichte: Ein Mann, der einst Kommunist war, vergisst seine Überzeugungen und wird zu einem Blatt im Wind, ausgesetzt unterschiedlichsten Mächten und schließlich nur noch auf sich selbst bedacht.
Bachtyar Ali, der vielleicht ein ähnliches Schicksal kannte, hätte ihm ein bitteres Ende bereiten können, doch die Herzensgüte des Ich-Erzählers ist auch die seine. Er lässt ihn in einem fernen Land gesunden und fügt, fast als letzten Satz, bekräftigend hinzu, was wir eigentlich schon wussten: »Als Djamschid 1979 verhaftet wurde, war er siebzehn …«
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