- Kultur
- Jon Fosse im Deutschen Theater Berlin
Immer dasselbe
Der norwegische Dramatiker Jon Fosse meldet sich zurück. Sein neues Stück »Starker Wind« hatte am Deutschen Theater Berlin Premiere
Sprache hat einen Feind: Kommunikation. Jene Ritzung, die das Wort auf unsere Seelenhaut zu schreiben vermag, wird rundum schwächer und schwächer. Wer ist denn überhaupt noch in schönem Schwung und in schöner Spannung, wenn er seine Stimme erhebt? Der Atem der Sprache: gehetzt von Schwätzern und ideologischen Zurichtern. Ausdruckslos irrt das Wort von Mund zu Mund, es lässt den Menschen zurück in einer Welt, in der ein »Anruf« - einst das rhetorische Zeichen einer wirklichen Hinwendungskultur - zum telefonischen Massenreflex verkam.
So jedenfalls kommt es einem in den Sinn, wenn man die wortkargen Stücke des Norwegers Jon Fosse liest und sieht. Es ist in den Texten des 1959 geborenen Dramatikers so, als drücke alles Dunkel, alles Klamme und Gefrostete des unwirtlichen Nordens auf die Sprachfähigkeit. Das Schweigen gibt Worte frei, als stünde es unter Zwang.
Nach Jahren der Theaterpause schrieb Fosse »Starker Wind«, ein »szenisches Gedicht«, Jossi Wieler führte Regie bei der deutschsprachigen Erstaufführung an den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin. Ein Mann, von einer langen Reise zurückgekehrt, sieht seine Frau an der Seite eines Geliebten. Sein schleppender Monolog trifft auf die Entschiedenheit der Frau (»Geh jetzt!«) und die lässige Modernität des Liebhabers, der eine Liaison zu dritt vorschlägt. Das ist schon alles.
Banal. Kein Futter für jene, die vom Theater fordern, sich ins Brüllen und Brodeln der Welt einzumischen. Kein Stoff für jene, die nur noch in Revolutionierungen der Geschlechterverhältnisse denken können - und die dabei jene einfache, schwerwiegende Archaik vergessen: In einer Partnerschaft liebt immer ein Mensch mehr als der andere, und Nähe ist ein Konfliktfeld, das mit Gesellschaft nur zum Teil erklärt werden kann. Und da wir Natur sind, so bleiben alle Lieben auch Erzählung von Stark und Schwach.
Auch dieser Text Fosses illustriert, dass Leben und Sprache, Welt und Vorstellung auseinanderfallen. Selbst- und Fremdbild sind nicht zu vereinen, zwischen beiden Polen geschieht ein ungelenkes, zermürbendes, flehendes Spiel der Annäherung und Aufkündigung. Komische Umarmungen, trauriges Anstarren. Es würde niemanden wundern, seufzten sich Fosses Menschen in jenen berühmten Ruf aus Tschechows »Drei Schwestern« hinein: »Wenn man es nur wüsste, wenn man es nur wüsste.« Man weiß nicht. Man sieht nur die Herzensnot von Wesen, deren Gestern bohrend gegenwärtig ist und deren Heute sehr schnell in ein vernichtendes Gestern rutscht. Die Hauptwörter: Ja. Vielleicht. Könnte sein.
Bernd Moss ist der leicht in die Jahre Gekommene, der da gerade die Frau verliert. Sieht er, was ist? Oder erinnert er sich nur? Ein brütender, dann wieder fahriger Einsamer. Die Hände reiben die Stirn, als könne er seine Gedanken in eine längst aufgegebene Ordnung zurückrufen, dieser Zustand krümmt ihn - während Maren Eggert die Frau als eine provokativ Aufrechte offenbart. Ihr Seitenschlitz im Kleid deutet Lust auf eine Beinfreiheit an, die gleichsam vom Herzen kommt. Max Simonischeks schlaksiger junger Mann hat ein lässiges Lauern, in das sich, bewusst sparsam, die Momente einer souveränen Gemessenheit mischen.
Ja. Vielleicht. Könnte sein. Signalsilben einer Erkundung, die keine Wahrheit zulässt. Die Zugänge zueinander sind betoniert. Alles so zäh. Bitterhonigzäh. Oder nur langweilig? Die Inszenierung weiß, dass auch siebzig Minuten zur Dauer werden können. Sie kennt sich aber aus in der Routine der daher nötigen Regieeinfälle. Das Publikum sitzt - auf der Bühne. Wir blicken in den Zuschauerraum, und das Spielertrio bewegt sich dort sinnend, stockend zwischen den Reihen des kleinen Theatersaals. Bald setzt sich die Drehbühne in Bewegung, nun wenden wir uns also der Brandmauer zu, sie ist eine grüne Kletterwand, wo die Frau und ihr Geliebter eine angestrengte Akrobatik vollführen.
Fosse schrieb ein kleines Sprachzeichenstück zwischen Lebensdrang und Erstarrung. Was der Mensch (noch) zu sagen hat, gleicht geringfügigem Rascheln am Rande des Bewusstseins. Was gesprochen, gefragt, geschwiegen wird, ähnelt einem Echolot, das in frostig tiefer Stille ermittelt. »Es ändert sich und ist immer dasselbe.« Ja. Vielleicht. Könnte sein.
Die Inszenierung scheint selbst zu spüren, wie sich ihre Zeit dehnt, sie braucht weitere Ideen! Jetzt schmiert sie den Körpern der Frau und ihres Geliebten grüne Farbe auf, als wollten beide mit der gleichfarbigen Kletterwand verschmelzen - Liebe als ein Verschwinden in der Welt. Schönste Konturenlosigkeit. Dann verschwinden Frau und Geliebter zwischen den Sitzreihen, beide tauchen wieder auf, er nun in ihrem Kleid, sie in seiner Hose. Über Sesselreihen hinweg wird balanciert (Lust geht über Stock und Stein!), Finger gleiten geräuschzart über Seitengitter (Nervosität!), Sesselsitze fliegen (Zorn!). Jossi Wieler will eine Beziehungskiste stemmen. Die Inszenierung schafft es in den langen siebzig Minuten nur bis zur Beziehungsschachtel. Oder Beziehungsdose. Ach, ein Kammerspiel im Beziehungsdöschen.
Nein, das ist ungerecht, obwohl ein durchgängiger Sog wirklich nicht entsteht. Wieler (der kein Überwältiger und Effekthascher, sondern ein feintastender Text-Erwecker ist) muss sich bei dieser Fosse-Etüde gefragt haben: Gibt es das, ein innehaltendes Inszenieren? Sich voranspielen und doch grübelnd stehen bleiben? So wirkt diese Arbeit. Wirkung ist ein kühn gewähltes Wort.
Unser Dasein kann nur im Tempo begriffen werden, mit dem es auf den Verlust zuläuft, zukriecht. So kriecht auch die Inszenierung, als wolle sie uns Gelegenheit geben, das Verschachtelte von Zeit und Raum, das Verzahnte von Augenblick und Jahren schlüssig mitzubekommen. Wir blicken auf Eggert, Moss und Simonischek, das sind versteifte Nichtssager und verlegene Pausenfüller, verschämte Gefühlswegschieber und ummauerte Lebensaushalter. Als sei Zusammenleben ein Abgrund, der nicht ausgemessen und bewirtschaftet werden kann. Ja. Vielleicht. Könnte sein.
Am Ende geht der Blick weit nach oben in den Schnürboden des Theaters. Am offenen Fenster im dreizehnten Stock der verlassene Mann, dessen Verzweiflung noch immer mit seiner Blasiertheit um die Gemütshoheit ringt. Starker Wind: endlich klare Luft. Eine Luft, die heftige Stoßkraft hat. Der Mann da oben steht nicht, er liegt ausgestreckt auf dem Gitterrost. Im Sturzmodus. Ein starkes Bild.
Der Fluss der Worte erinnert im Ansatz an Thomas Bernhard. Aber der schrieb Schleifen, wo Fosse punktiert. Dramatik auf dem Weg wahrlich ins Nichts. Dorthin, wo schon Samuel Beckett ist, aber der ist agil, spielerisch, verschwenderisch in seinen lebenserhaltenden Verwünschungen, luftschaffenden Selbstanzeigen, schmerzauflösenden Wahrheitsausbrüchen. So verlaufen sich Bernhard und Beckett in den norwegischen Wäldern, eine Anverwandlung findet statt, ja, aber ins Helle tritt ein wurzelknorriges Fosse-Poem - dessen nordischer Schwere gewissermaßen ein Weg nach Süden gut tun würde? Wo noch die traurigsten Stimmungen leicht anmuten? Sofort widerspreche ich mir: Warum muss alles immer leicht sein? Im Stockenden, im Spröden liegen Chancen, ins Denken zu kommen. Sog ist nicht alles. Ja. Vielleicht. Könnte sein.
Nächste Vorstellungen: 21.11., 4. und 5.12.
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