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Jesus ist mit im Bett
Das Historiendrama »Benedetta« handelt von Machtkampf, Pest und lesbischem Sex im Kloster
Ein Film über Nonnen, die Sex miteinander haben, könnte vieles sein: Eine fetischisierte Darstellung lesbischer Sexualität für heterosexuelle Männer zum Beispiel oder ein Skandalfilm über den ultimativen Tabubruch (Sünde!!!). Oder aber ein feministischer Blick auf weibliche Selbstbestimmung innerhalb einer repressiven Institution und eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Homosexualität in der katholischen Kirche. »Benedetta«, der neue Film von Paul Verhoeven, hat von allem ein bisschen.
Das Spektakel beginnt mit bauschenden Kleidern, Pferdekutschen, Gaunern und Gauklern, sakraler Musik und jeder Menge Marienstatuen. Es ist das 17. Jahrhundert in der Toskana, und das strenggläubige kleine Mädchen Benedetta kann es kaum erwarten, endlich Novizin im örtlichen Nonnenkloster zu werden. Dort bekommt sie dann erst mal zwei wichtige Lektionen mit auf den Weg: Der größte Feind ist der eigene Körper und zu viel Intelligenz kann ebenfalls gefährlich werden.
Jahre später ist Benedetta (Virginie Efira) zum angesehenen Mitglied des Konvents geworden. Sie hat Visionen - oder Fantasien - von Jesus, für dessen auserwählte Frau sie sich hält. Als die junge Bartolomea (Daphné Patakia) vor den sexuellen Übergriffen in ihrer Familie ins Kloster flieht, gerät Benedettas gottesfürchtiger Alltag ziemlich durcheinander. Denn die Novizin beginnt noch am Tag ihrer Ankunft mit ersten Annäherungsversuchen und gibt sich alle Mühe, die ältere Nonne zu verführen. Benedettas Visionen zeigen ihr warnend Schlangen als Zeichen der Sünde. Sie lässt sich trotzdem auf eine Affäre ein.
Der mittlerweile 83-jährige Regisseur Paul Verhoeven ist bekannt für provokative Filme und eine für das Mainstreamkino vergleichsweise offene Darstellung von Sexualität, etwa in seinem zum Klassiker gewordenen »Basic Instinct«. Es wurde immer wieder diskutiert, ob Verhoevens Filme, bei denen oft Frauen im Vordergrund stehen, aber auch sexuelle Gewalt gegen Frauen explizit darstellt wird (zum Beispiel in »Elle«), nun feministisch oder genau das Gegenteil davon sind. Im Interview für eine arte-Dokumentation erklärte Verhoeven, dass Sex in Filmen meist ausgespart oder verharmlosend dargestellt werde. Er dagegen zeige, »wie es in Wahrheit ist«.
Tatsächlich basiert der Film »Benedetta« auf einer wahren Begebenheit. Das Drehbuch orientiert sich lose an dem Buch »Schändliche Leidenschaften: das Leben einer lesbischen Nonne in Italien zur Zeit der Renaissance« von der Historikerin Judith Cora Brown. Darin wertet sie Mitschriften des einzig bekannten Prozesses gegen eine lesbische Frau innerhalb der katholischen Kirche aus. Aber die Darstellung im Film scheint weniger an der Wahrheit orientiert als am Wunsch nach erotischen Bildern von nackten Frauen mit makellosen, glattrasierten Körpern. Verhoeven zeigt zwar relativ explizit lesbischen Sex, was heute immer noch keine Selbstverständlichkeit ist, aber diese Szenen wirken nicht gerade natürlich, sondern vielmehr sehr ästhetisiert und mit Bedeutung überladen.
Es sind nicht einfach zwei Frauen, die Sex miteinander haben, sondern Jesus und der ganze kirchliche Apparat von Sünde und Strafe sind immer mit im Bett. So wird eine Marienfigur zum Dildo umfunktioniert und schon die junge Benedetta hat eine sexuell aufgeladene Begegnung mit der nackten Brust einer Marienstatue. Das ist - für gläubige Christen zumindest - eine Provokation, aber auch ein bisschen albern. Zur Enttabuisierung von lesbischem Sex trägt es jedenfalls nicht bei.
Der Drehbuchautor Gerard Soeteman, der schon häufig mit Verhoeven zusammengearbeitet hat, war anfangs auch an »Benedetta« beteiligt, zog sich aber aus dem Filmprojekt zurück. Er kritisierte, dass Verhoeven lesbischen Sex in den Fokus des Films rückte, obwohl Benedettas Geschichte noch eine ganz andere politische Komponente hat, die Soeteman für relevanter hielt: die Auseinandersetzung mit politischer Manipulation und Stimmungsmache, der Beeinflussung der Bevölkerung durch selbsternannte Prophet*innen. Und auch wenn Verhoeven den lesbischen Sex in den Vordergrund gestellt hat, ist dieses Thema in »Benedetta« durchaus präsent.
Benedettas wiederkehrende Visionen von Jesus bestärken sie zunehmend in ihrer Überzeugung, dass Gottes Wille aus ihr spricht und sie Wunder wirken kann. Als dann auch noch Stigmata auf ihrem Körper auftauchen, erweitert das ihre Machtposition im Kloster. Sie wird anstelle der bisherigen Äbtissin (Charlotte Rampling) zur neuen Anführerin der Gemeinschaft. Der Film lässt es offen, ob Benedetta bewusst simuliert oder tatsächlich an das Wunder glaubt beziehungsweise es wirklich geschieht. So oder so weiß sie die göttliche Macht für sich zu nutzen.
Interessant wird der Film vor allem dann, wenn er den Machtkampf innerhalb der Gemeinde zeigt, bei dem diejenige als Sieger*in hervorgeht, die sich am besten als Verkörperung des göttlichen Willens inszenieren und so die Mehrheit auf ihre Seite ziehen kann. Denn wer will sich schon mit dem Willen Gottes anlegen? Die Institution Kirche und sämtliche Hauptfiguren kommen dabei nicht gut weg. Sie alle sind Teil eines Komplexes aus Machtgier, Geldgier, Verlogenheit, Eitelkeit und einer autoritären Lust am Strafen. Dass Benedetta mit ihrer Behauptung, Gottes Wille würde aus ihr sprechen, die patriarchal organisierten Machtstrukturen der Kirche unterläuft, lässt sich durchaus feministisch deuten. Aber auch das funktioniert schließlich nur, solange die absolute Autorität von Gott, dem obersten Patriarchen, nicht angezweifelt wird.
Aus heutiger Sicht besonders spannend ist dabei die Thematisierung der Pest. Die tödliche Seuche wird auch zum Werkzeug im Spiel um die Macht: Da werden andere willentlich angesteckt, um sie als Gegner*innen auszuschalten, behauptet, dass es sich um eine Strafe Gottes handelt, oder versprochen, dass man die Gemeinde mit Gottes Hilfe vor der Krankheit schützen wird. Es ist eindrücklich, wie sowohl der individuelle Glaube als auch die in der Kirche institutionalisierte Irrationalität hier über Leben und Tod entscheiden.
Doch statt einer ernsthaften Auseinandersetzung mit dem Thema Macht und Manipulation zeigt der Film vor allem viel Geschrei und Ekstase - sexuelle wie religiöse -, und alles erscheint immer ein klein wenig over the top. Benedettas Visionen und ihre tiefe, bedrohliche Stimme, wenn sie Gottes Wille verkündet, sind ziemlich trashig inszeniert, was zwar witzig ist, aber sonst auch nicht viel mehr. So bleibt es bei einem Film, der trotz großem Potenzial, was die Enttabuisierung von lesbischem Sex und die Behandlung politisch wichtiger Themen angeht, vor allem das zeigt, was viele sehen wollen, man aber auch schon ziemlich oft gesehen hat: Nackte Frauen, Gewalt und die Lust am Verbotenen, hübsche Kostüme und trashige Übertreibung.
»Benedetta«: Frankreich 2021. Regie: Paul Verhoeven. Mit: Virginie Efira, Charlotte Rampling, Daphné Patakia, Lambert Wilson und Olivier Rabourdin, 131 Minuten. Start: 2. Dezember.
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