Bosheit oder Blödheit

Den «Linksextremismus»-Phobien von Verfassungsschutz und Justiz muss ein Ende bereitet werden! Beispiel: Sozialistische Gleichheitspartei

SGP-Vorsitzender Christoph Vandreier auf der Frankfurter Buchmesse
SGP-Vorsitzender Christoph Vandreier auf der Frankfurter Buchmesse

Man könnte diesen obskuren Vorgang als Aberwitz abtun. Wenn er denn nicht so gemeingefährlich und - leider - für den Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland typisch zu sein scheint. Und wenn denn nicht zu befürchten wäre, dass er - nicht skandalisiert - weitere unheilvolle Konsequenzen zeitigen könnte. Was hier passiert, steht in einer unsäglichen deutschen, obrigkeitsstaatlichen Tradition.

Die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) wird seit 2018 in Berichten des Bundesverfassungsschutzes sowie einiger Landesbehörden als «linksextremistisch» diffamiert, wogegen die 1971 als Bund Sozialistischer Arbeiter (BSA) gegründete, sich auf Leo Trotzki berufende und 2017 in SGP umbenannte Partei Klage erhob. Diese ist nun am 18. November 2021 vor dem Verwaltungsgericht Berlin verhandelt worden. Der Vorsitzende Richter Wilfried Peters entschied sich für die Gegenseite, mehr noch, ging sogar weit über deren Argumentation hinaus, wie der Parteivorsitzende Christoph Vandreier (40) gegenüber «nd» sagt. Am Donnerstag diese Woche ging im Parteibüro das schriftliche Urteil ein. Die SGP geht in Berufung.

Doch von Anfang an. Womit wird das Stigma «linksextremistisch», mit dem die Schlapphüte bekanntlich gern um sich werfen, im Falle der Sozialistischen Gleichheitspartei begründet? Was wird ihr vorgeworfen? Man reibt sich die Äuglein, glaubt es kaum. Da wird das «Streiten für eine demokratische, egalitäre, sozialistische Gesellschaft» sowie «Agitation gegen einen angeblichen Militarismus und Imperialismus» als Verstoß gegen die Verfassung gebrandmarkt. Angeblich? Steigende Rüstungsausgaben und Rüstungsexporte, gar an diktatorische Regime, sowie abenteuerliche Auslandseinsätze der Bundeswehr, um Deutschland mehr Gewicht in der Welt zu verleihen (einst hieß das: «Platz an der Sonne) sind nicht als militaristisch, imperial-global zu benennen. Auch »das Denken in Klassenkategorien« - ein Vorwurf, der gleichwohl die Tageszeitung »junge welt« ein »linksextremistisches« Label bescherte - sowie das Sichberufen auf Marx, Engels, Lenin, Trotzki und andere Klassiker des Marxismus wird der SGP als verfassungswidrig ausgelegt. »Auf dieser Grundlage müssten auch die Bücher von liberalen Soziologen wie Thomas Piketty, der Armutsbericht der Bundesregierung sowie die zahlreichen Statistiken, die ein massives Ansteigen von Armut und sozialer Ungleichheit belegen, auf den Index gesetzt werden«, bemerkt SGP-Vorstandsmitglied Wolfgang Weber (72). Man mag sich zudem fragen, ob der Bundesverfassungsschutz demnächst gar die Unesco als »linksextremistisch« etikettiert, hat diese doch »Das Manifest der Kommunistischen Partei« von Marx und Engels sowie den ersten Band von Marxens »Kapital« zum Weltdokumentenerbe gekürt.

Die im Auftrage des Bundesinnenministeriums vom Rechtsanwalt Wolfgang Roth von der Kanzlei Redeker Sellner Dahs verfasste 56-seitige Erwiderung auf die Klage der SPG wider ihre geheimdienstliche Stigmatisierung und Überwachung sei »kein juristisches Dokument, sondern eine wütende Hetzschrift gegen den Marxismus und jede Form sozialistischen, linken und fortschrittlichen Denkens«, urteilt die inkriminierte Partei. »Dieses Vorgehen richtet sich nicht nur gegen die SGP, sondern gegen alle linken Organisationen, gegen alle, die ein Widererstarken faschistischer Kräfte, die militärische Aufrüstung und soziale Ungleichheit bekämpfen.« Das regierungsoffizielle Verdikt gegen die Sozialistische Gleichheitspartei traf übrigens bei Gericht zwei Wochen vor dem Mord am Kölner CDU-Politiker Walter Lübcke ein, der einmal mehr die Vernetzung von Rechtsextremisten und deren mörderische Demokratiefeindlichkeit, frei ausgetobt unter den Augen der »Verfassungshüter«, offenbarte. Statt sich jedoch denen zuzuwenden, werden Trotzkisten als Feinde der Demokratie ausgemacht. Hanebüchen.

Glaubt man in der Geheimdienstbehörde und Bundesregierung ernsthaft, dass die nicht mal 300 aktiven Mitglieder der SGP unter den Dielen ihrer Wohnstuben Waffen horten für einen gewaltsamen Umsturz? Nein, man weiß sehr wohl, dass diese Partei die kapitalistische Gesellschaft auf legalem Wege zu überwinden anstrebt. Von »Transformation« spricht Vandreier im »nd«-Interview. Womit das Vorgehen gegen die SGP, ihre geheimdienstliche Stigmatisierung und Überwachung, die Ausgrenzungen aus dem öffentlichen Leben einschließen, gegenstandslos macht.

Hier ist - wie jeder seriöse Rechtswissenschaftler oder Anwalt konstatieren dürfte - eine Schwelle übertreten. Von staatlichen Organen, die sich in der Bekämpfung und Ahndung von rechtsextremistischer Hetze und Gewalt nicht gerade mit Ruhm bekleckern, dahingegen nach links Phobien und alte Feindbilder hegen. Vandreier beklagt eine tendenzielle »Gesinnungsjustiz«, die an die Anti-»Sozialistengesetze« des Eisernen Kanzlers Bismarck sowie an das Willensstrafrecht der Nazis anknüpft. Der Psychologe, Absolvent der FU Berlin, der schon als Schüler zur trotzkistischen Bewegung stieß, mehrere Jahre für die International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) in Deutschland arbeitete und als Redakteur der World Socialist Web Site, dem Publikationsorgan der von Trotzki ins Leben gerufenen und noch immer vitalen IV. Internationale, tätig ist, fühlte sich auch an den Kölner Kommunistenprozess von 1852 erinnert. Die auf königliche Order von Preußens oberstem Polizeibeamten Stieber eifrig gefälschten »Beweise« waren von Marx in einer grandiosen Enthüllungsschrift bloßgelegt worden. Vandreier vermutet, auch das Urteil gegen die SGP sei »auf höchster Eben abgesprochen«.

Historische Vergleiche wollte der Vorsitzende Richter nicht gelten lassen. Wobei er indes generös darüber hinwegsah, dass die Klageerwiderung der Kanzlei Redeker Sellner Dahs explizit auf das - von der ehemaligen Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts Jutta Limbach (SPD) als Schande des westdeutschen Rechtsstaates eingestandene und mittlerweile als verfassungswidrig geltende - KPD-Verbotsurteil von 1956 abstellte. Welch Vorbehalte ein bestallter Vertreter der als unabhängig beschworenen Justiz gegen links pflegt, zeigte sich ebenso darin, dass der Richter den Streitwert kurzerhand von 5000 aus 20 000 Euro vervierfachte, die mit der Klageabweisung der SGP aufgebürdet sind.

Vandreier verweist im »nd«-Gespräch darauf, dass der Verfassungsschutz keinerlei Straftatbestände gegen die SGP vorbringen konnte. »Noch nicht mal einen falschen Parkschein. Man hat und konnte kein Vorkommnis finden, wo wir gegen Recht und Gesetz oder die Grundprinzipien der Verfassung verstoßen hätten. Im Gegenteil, wir verteidigen die demokratischen Grundrechte und haben dies auch vor Gericht sehr deutlich gemacht.« Wie krampfhaft man dennoch einen Vorwand zur Ausschaltung der SGP sucht, verdeutlicht unter anderem des Richters Behauptung, die Partei verstoße gegen Artikel 14 des Grundgesetzes, indem sie die Abschaffung der Marktwirtschaft anstrebe. Unter eben jenem Paragrafen ist allerdings auch die »Sozialbindung des Eigentums zum Wohle der Allgemeinheit« kodifiziert; bei Zuwiderhandlung sei Enteignung möglich, worauf sich just beispielsweise die Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen bezieht.

Auf eine akademische Disputation der von Trotzki und sich auf ihn beziehende Linke propagierten »Weltrevolution« respektive »permanenten Revolution« (interpretierbar auch als Evolution), wollten (oder konnten) sich die Anwälte der Gegenseite und der Richter nicht einlassen, obwohl sie die Begriffe aufgreifen. Das Wort Revolution ist ihnen per se ein Schreckgespenst. Indes: Angesichts der von einer weltumumspannenden kapitalistischen Ordnung nur global anzupackenden Probleme von Hunger, Kriegen, schreienden Ungerechtigkeiten sowie Klimawandel scheint der 1941 auf Geheiß von Stalin ermordete russische Marxist posthum Bestätigung zu erfahren.

Jetzt wäre allerdings zuvörderst gegen behördliche Bosheit oder Blödheit zu streiten, die selbst eine überparteiliche Vereinigung wie die von NS-Opfern und Shoah-Überlebenden gegründete VVN sowie vor einiger Zeit selbst das »ND« als »linksextremistisch« diskreditiert(e). Darum verdient das Unrecht gegen die Sozialistische Gleichheitspartei größte Aufmerksamkeit und Unterstützung (siehe www.gleichheit.de/defend.html). Olaf Scholz, der als Finanzminister bei der Attacke gegen VVN-BdA eine traurige Figur abgab, sollte als Kanzler seine Richtlinienkompetenz nutzen, die Jagd auf Linke beenden und sich mal als couragierter Nachfahre seiner einst brutalst verfolgten Parteiahnen erweisen.

Protestdemonstration der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) vor der britischen Botschaft in Berlin
Protestdemonstration der Sozialistischen Gleichheitspartei (SGP) vor der britischen Botschaft in Berlin
Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.