- Kultur
- Ronald M. Schernikau
Eine Welt ohne Hände
Das Anhaltische Theater in Dessau ehrt mit einer Inszenierung den kommunistischen Schriftsteller Ronald M. Schernikau
Nicht leicht zu beschreiben, was das Einnehmende an der Literatur von Ronald M. Schernikau ausmacht. Vielleicht die - wie nur selten - gelungene Einheit von Witz und Klugheit. Eine Kritik, die wirklich auf das Positive abzielt. Seine Absage an poetische Geschwätzigkeit. Die Neigung zum Bonmot. Zum Beispiel dieses hier: »ich staune jedes mal neu, wenn ich bemerke, dass jemand kein kommunist ist. der kommunismus liegt so auf der hand! aber vielleicht haben die anderen keine hand?«
Schernikau hat in der Literatur längst nicht die Geltung, die ihm gemäß seines Werks zustünde. Dafür gibt es verschiedene Gründe: sein früher Aids-Tod im Alter von 31 Jahren, die Implosion seiner neu gewonnenen alten Heimat DDR, wohl auch die Vorbehalte gegen ihn als schwulen linken Mann, der es ernst meint mit seiner Haltung zur Welt, also nicht als »erfrischender«, gut integrierbarer Außenseiter für den Kulturbetrieb herhalten kann.
Aber längst geht seine Wirkung über die eines Geheimtipps hinaus. Seine Bücher, für eine Weile zu horrenden Preisen antiquarisch gehandelt, erscheinen in neuen Ausgaben. Der Berliner Verbrecher Verlag hat daran einen beachtlichen Anteil. Und wo die Druckpressen rattern, lugt das Theater oft schon um die Ecke. In Berlin etwa wurde mit »Die Schönheit von Ost-Berlin« am Deutschen Theater vor einigen Jahren »Eine Ronald-M.-Schernikau-Collage« vorgelegt, die Volksbühne versuchte sich gar an einer Fassung des monumentalen Tausendseiters »legende«.
Seit Dienstag darf man sich an Schernikaus Worten auch in Dessau erfreuen, wo ein Stück mit dem etwas ausladenden Titel »der himmel ist ja da. der himmel fängt hier unten an.« auf der Bühne des Alten Theaters, der kleinen Spielstätte des Anhaltischen Theaters, Premiere feierte. Eines sei vorweggenommen: Es ist sehr verdienstvoll, dass sich das Dessauer Theater und der Regisseur Christian Franke dieses Ausnahmekünstlers angenommen haben. In einem knapp zweistündigen Bühnenabend werfen drei Schauspieler mit Mitteln des Objekttheaters Schlaglichter auf Leben und Werk Ronald M. Schernikaus.
Das größte Manko dieser Inszenierung liegt in ihrer Unbestimmtheit, die den besten Absichten trotzen muss. Was will dieser Abend sein? Revue, Biopic, Geschichtsstunde oder literarische Collage? Vermutlich all das gleichzeitig.
Die Vorstellung beginnt mit biografischen Episoden. Nur, das Theater taugt mehr als schlecht für solche Informationsveranstaltungen. Das Leben Schernikaus hält selbstredend einiges bereits, das berichtenswert erscheint. Geboren 1960 in Magdeburg, flieht erst der Vater, dann folgt ihm die Mutter, den Sohn bei sich, über die deutsch-deutsche Grenze. Es folgen Politisierung und ein schwules Leben im Westen, der Beginn der schriftstellerischen Arbeit. Schließlich geht Schernikau zurück in die DDR. Im Herbst 1989 ist er der Letzte, der die Staatsbürgerschaft dieses niedergehenden Landes annimmt. Ein weiterer Grenzübertritt ist nicht nötig, der Vormarsch der BRD ist unaufhaltsam. 1991 stirbt Schernikau autoimmungeschwächt.
Warum sollte dieses konfliktreiche Leben nicht bühnenreif sein? Sicher, die Auseinandersetzungen in der Biografie laden gerade dazu ein. Aber diese Lebensabschnitte szenisch aneinanderzuheften, vereinfacht, was doch überkomplex war. Biografische Zwangsläufigkeiten - wer als Kind im Kofferraum von Ost nach West ging, muss als junger Mann den Weg zurückgehen - sind fast immer Konstruktionen, die vielleicht einer Dramaturgie gerecht werden, aber nicht einem gelebten Leben.
Die Bühnenrückwand wie die Kostüme der drei Spieler sind mit Pailletten versehen, einer kleinen Reminiszenz an ein schillernd-tuntiges Leben in der Vergangenheit. Bianka Drozdik , Niklas Herzberg und Nicole Widera bestreiten diesen Abend als Ronald M. Schernikau. Alle drei mit einem dünn gezeichneten Oberlippenbart versehen. Zusammen bespielen sie einen übergroßen Schernikau-Kopf, der eindrucksvoll zum Publikum spricht. Während ein Darsteller in dem Objekt verschwindet, greifen die anderen zu den ebenfalls übergroßen Puppenhänden. Da sind sie wieder, die Hände, die dem, der welche hat, zur Vergewisserung dienen kann, dass das Einfache einfach ist. Überschwänglich gestikuliert der Bühnen-Schernikau, hebt und senkt den Kopf, zeigt auf uns und meint auch uns.
Diese Einlagen haben stellenweise etwas Virtuoses - und doch gehen sie auf Kosten der Erkenntnis. Da wird etwa Schernikaus erstaunliche Rede, die er auf dem Schriftstellerkongress der DDR 1990 gehalten hat, wiedergegeben. In prophetischer Klugheit weist er auf das Kommende hin: »Wir werden uns wieder mit den ganz uninteressanten Fragen auseinanderzusetzen haben, etwa: Wie kommt die Scheiße in die Köpfe? Die Künstler werden alleine sein, langsam begreifen sie es.« Allerdings wird die Rede zersprengt über den Abend zu Gehör gebracht und im Sinne der Puppenchoreografie so zerdehnt, dass die Lust an den Worten ins Nirgendwo verschwindet.
Ähnliches gilt für Schernikaus Reportage »Der Weg der Brötchen in den Sozialismus«, deren Komik sich auch aus ihrer Konzentriertheit ergibt. Verspielt zeigt sie Probleme und Vorzüge des Wirtschaftens und des Lebens in der DDR auf. Nun verliert der Text, in den Bühnenabend eingeflochten und zerstückelt, an Reiz. Es fehlt der Inszenierung nicht an Ideen oder spannenden Bezugspunkten, aber leider doch an dem Vermögen, auf der Bühne daraus mehr zu machen, als die stille Lektüre bereithält.
»das glück ist eine spielart des kommunismus«, heißt es einmal von der Bühne her. Was für ein Satz! Wie frech, wie kindlich, wie klug! Die Verve, mit der Schernikau fabulierte, auch sie geht dem Spektakel ab. Schönheit lautet einer der Leitbegriffe des Autors. Oft wird er zwar zitiert. Aber warum wird davon so wenig erfahrbar? Nur an einer Stelle bricht die Inszenierung aus dem Schema aus: Vor der Pause nimmt Regieassistent Karl Gierth die Bühne ein - und tanzt und tanzt und tanzt. Da bekommt man im Publikum plötzlich eine Vorstellung davon, dass es Schernikau nicht um dumpfes Theoretisieren ging, um keine Besserwisserei, sondern um Schönheit auch im Sinne eines schönen Lebens.
Bei allen Einwänden gegen diese Form der Theatralisierung eines Künstlerlebens bleibt jede Beschäftigung mit Ronald M. Schernikau ein erhellendes Erlebnis. Die ironiefreie Herangehensweise, ebenfalls ohne sonst übliche Distanzierungsgebärden, hat Ausnahmecharakter. Vielleicht verführt ja schon der im Spielplan aufblitzende Name die eine oder den anderen zur Lektüre. Die bliebe sicher nicht folgenlos: Vielleicht entdeckt jemand sogar noch die eigene Hand.
Nächste Vorstellungen: 12. und 25.2.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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