Konflikt im Äther

Wie sich gegenseitige Vorwürfe hochschaukeln: Russia Today versus Deutsche Welle

  • Thomas Klatt
  • Lesedauer: 5 Min.
Der Moskauer Fernsehturm Ostankino ist das höchste Bauwerk Europas.
Der Moskauer Fernsehturm Ostankino ist das höchste Bauwerk Europas.

Montagmorgen um 5.15 Uhr Moskauer Sendezeit läuft im russischen Fernsehen das »Auto-Magazin«, um 5.45 Uhr die Sendung »Euromax« über europäische Kultur und Livestyle. Dann gibt es noch mal um 19.30 Uhr ein Zeitfenster für das »Wirtschaftsmagazin« und um 20 Uhr ein Programm über Gesellschaft in Europa. Der Deutschen Welle stehen im russischen Äther täglich nur wenige Zeitfenster zu. Sie erreicht von den 144 Millionen Einwohnern der Föderation nur einen Bruchteil, höchstens eine Million, schätzt die Osteuropa-Journalistin Gemma Pörzgen, die auch bei Reporter ohne Grenzen aktiv ist.

Dennoch sei die Deutsche Welle, die auch via Kabel und im Internet auf Youtube-Kanälen sendet und seit 1993 ein eigenes Büro in Moskau unterhält, neben russischen Investigativportalen und Medien wie »Nowaja Gaseta«, »Meduza« oder Dosch-TV eine wichtige Stimme. Finde sich doch auch bei der Deutschen Welle eine Berichterstattung jenseits der staatlich gelenkten Medienübermacht. Ihr nüchterner Duktus unterscheide sich angenehm von der Aufgeregtheit und dem aufgepeitschten Ton, von der Propaganda, die in den russischen staatsnahen Medien gesendet würde. Beliebt seien bei der Deutschen Welle etwa Interviews mit russischen Exilpolitikern oder Intellektuellen.

Die Journalistin Zhanna Nemzowa, Tochter des ermordeten Oppositionspolitikers Boris Nemzow, hatte mehrere Jahre lang ihre eigene Interviewsendung im russischen TV-Programm der Deutschen Welle. Vor allem die ausführliche Berichterstattung über den Oppositionspolitiker Alexej Nawalny oder den Ukraine-Konflikt wurden russischen Politikern offensichtlich immer mehr zum Ärgernis. Bereits im September 2019 hatten Abgeordnete der Staatsduma gefordert, das Büro der Deutschen Welle in Moskau zu schließen, weiß Pörzgen.

Zusammengefasst könnte man das russische Programm der Deutschen Welle als klein, aber oho bezeichnen - ein immerwährender und größer werdender Dorn im Medienauge Wladimir Putins und seiner Entourage. Dabei ist die Deutsche Welle alles andere als ein Piratensender, sondern Teil der ARD und damit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland - mit der Aufgabe, eine repräsentative Stimme im Ausland zu sein. Dafür hat der Sender in Russland ordentliche Sendelizenzen beantragt und erhalten und seine Mitarbeitenden ordnungsgemäß akkreditieren lassen. Nun aber wurde seitens Russlands das Moskauer Büro geschlossen. Die für die Deutsche Welle tätigen Journalistinnen und Journalisten verloren ihre Akkreditierungen. Russland kündigte an, den Sender gar zum »ausländischen Agenten« erklären zu lassen. Dies sei aber keine Willkür, sondern lediglich eine »spiegelbildliche Reaktion«, heißt es von der russischen Seite.

Dort ist man offensichtlich erbost, dass der eigene Sender RT DE (früher Russia Today) nicht so ohne Weiteres sein Vollprogramm ausstrahlen darf, das am 16. Dezember 2021 an den Start ging. Einen Tag später schon leitete die Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB) ein Prüfverfahren ein, weil der russische Sender keine Rundfunkzulassung hatte. Der RT-Mutterkonzern, TV Novosti, beruft sich hingegen auf eine serbische Lizenz, die jedoch die MABB für Europa nicht für relevant hält. Satellitenbetreiber Eutelsat stoppte jetzt die Ausstrahlung des Senders RT DE, nachdem die Medienanstalt Berlin-Brandenburg am 2. Februar die Verbreitung von RT DE endgültig untersagt hatte.

Die MABB erklärte sich für diesen russischen Sender zuständig, weil die RT DE Productions GmbH ein Sendestudio in Berlin unterhalte und dort auch seinen Hauptsitz habe. TV Novosti bestreitet das. Der Sender sei in Moskau ansässig, von dort würde gesendet, das Berliner Außenstudio liefere lediglich zu. Das sieht aber auch die deutsche Kommission für Zulassung und Aufsicht der Medienanstalten (ZAK) anders. Schon am 1. Februar hatte sie ebenfalls ablehnend im Fall RT DE entschieden. Spätestens seitdem kochen die Emotionen und Reaktionen hoch.

Nicht nur das Büro der Deutschen Welle in Moskau wurde geschlossen. Vorgesehen seien zudem Sanktionen gegen »Vertreter deutscher staatlicher und öffentlicher Strukturen, die an der Einschränkung der Ausstrahlung von RT beteiligt« seien, heißt es aus russischen Regierungskreisen. Die Nerven scheinen blank zu liegen. Schon im September 2021 wurden der Youtube-Kanal von RT DE wie auch der RT-Kanal »Der fehlende Part« gesperrt. Als Grund wurden vom Plattformbetreiber Alphabet-Google dauerhafte Fehlinformationen in der Corona-Berichterstattung genannt.

Die russische Regierung macht für den alsbald eskalierenden Medienkonflikt aber nicht nur den US-amerikanischen Konzern, sondern gleichermaßen die Bundesregierung verantwortlich. RT-Vizechefin Anna Belkina wirft Deutschland vor, RT DE aus der Medienlandschaft ausradieren zu wollen. Dabei dürfen die Journalisten von RT DE auch weiterhin in Deutschland arbeiten. Das Berliner Büro wurde nicht vom deutschen Staat geschlossen. RT DE kann auch weiterhin seine Webseite betreiben und Videos verbreiten, allerdings nicht mehr in linearer Ausstrahlung per Satellit.

Die russische Regierung will erst nachgeben, wenn RT DE wieder gänzlich frei senden darf. Der Sender selbst will vor dem Berliner Verwaltungsgericht juristisch gegen die Entscheidungen der zentralen deutschen Medienaufsicht und der Medienanstalt Berlin-Brandenburg vorgehen. Die deutsche Regierung hingegen will kein langwieriges juristisches Prozedere abwarten und fordert die sofortige Aufhebung der Schließung des Büros der Deutschen Welle in Moskau. Das Sendeverbot sei »in keiner Weise hinnehmbar«, kritisierte Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Die Gleichsetzung von RT DE und der Deutschen Welle entbehre ihrer Ansicht nach »jeglicher Grundlage«. Der stellvertretende Regierungssprecher, Wolfgang Büchner, appellierte an die russische Regierung, »die lizenzrechtlichen Probleme des Senders RT nicht für eine Beschränkung von Presse- und Meinungsfreiheit zu missbrauchen«.

Der Deutsche Journalistenverband, DJU, sowie Reporter ohne Grenzen fordern ebenfalls die Aufhebung des Verbots. DW-Intendant Peter Limbourg nennt die russischen Maßnahmen gegen seinen Sender »eine völlige Überreaktion« und kündigte seinerseits rechtliche Schritte an. Klein beigeben will er nicht. Im Gegenteil: Limbourg will die Berichterstattung über Russland jetzt erst recht deutlich verstärken.

Der Konflikt im Äther dürfte auch beim Besuch von Kanzler Olaf Scholz bei Wladimir Putin am 15. Februar ein Gesprächsthema sein. Denn es geht wohl um weit mehr als nur um die Schließung des Moskauer Büros der Deutschen Welle. Setzt sich Putin durch, könnte das zur Blaupause für weitere Autokraten und Regime weltweit werden.

Der österreichische »Standard« meldete dieser Tage, dass der Deutschen Welle eine Sperre ihres Online-Programms in der Türkei drohe. Präsident Recep Tayyip Erdoğan wolle Maßnahmen gegen Medieninhalte ergreifen, die »nationalen« und »moralischen« Werten widersprächen. Da wird am Bosporus wohl auch der öffentlich-rechtliche Journalismus aus der Bundesrepublik Deutschland als störend empfunden.

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