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Wohnen im Portfolio
Niedrige Zinsen, ein Überfluss an Anlagemitteln und staatliche Unterstützung locken internationale Großinvestoren auf Europas Immobilienmärkte
Häuserpreise gehen durch die Decke!», meldet die Commerzbank diese Woche. Ein Ende des Booms sei nicht in Sicht. Mit Sorge betrachten diese Entwicklung Menschen, die eine Wohnung brauchen wie auch jene, die Miete zahlen. Denn die Mieten folgen mit Verzögerung den Immobilienpreisen. Profiteure des Preisanstiegs hingegen sind jene, die eine Wohnung ihr eigen nennen - und insbesondere jene, die viele davon haben. Dabei handelt es sich zunehmend um institutionelle Finanzinvestoren wie Investmentfonds, Private-Equity-Gesellschaften oder Versicherungen. Sie haben sich massiv in Europas Wohnungsmärkten eingekauft, und ihre Bedeutung wächst unaufhörlich. Denn sie profitieren von Immobilienkrisen - und produzieren sie auch.
Im dritten Quartal 2021 - das sind die neuesten Daten - waren die Preise für Wohnimmobilien in Deutschland satte zwölf Prozent höher als ein Jahr zuvor, so die Commerzbank. «Das ist der stärkste Anstieg in dem mittlerweile zehn Jahre laufenden Boom.» Voraussichtlich hätten sich Wohnimmobilien im Durchschnitt des Corona-Jahrs 2021 um 10,5 Prozent verteuert. «Der aktuelle Boom ist inzwischen der mit Abstand längste seit Beginn der Statistik.» Und er hat ganz Europa erfasst, auch in Großbritannien haben die Hauspreise im Januar ein Rekordhoch erklommen.
Unter jenen, die dieser Boom reicher macht und die ihn gleichzeitig vorantreiben, befinden sich zunehmend große Finanzinvestoren, so eine neue Studie der Ökonom*innen Daniela Gabor und Sebastian Kohl. Einer der weltweit größten Immobilienkäufer der Welt sei der US-Vermögensverwalter Blackstone, dem 65 000 Wohneinheiten in fünf europäischen Städten gehörten. Blackstone verwaltet weltweit ein Vermögen von 730 Milliarden Dollar (rund 640 Milliarden Euro), wovon es im vergangenen September 230 Milliarden Dollar in Immobilien gesteckt hat. Im Oktober vermeldete die US-Gesellschaft einen Rekordgewinn. «Allein in Berlin haben Anlagegesellschaften in den letzten Jahrzehnten aus Häusern Geldanlagen im Wert von 40 Milliarden Euro gemacht, die sie vermieten», so Gabor und Kohl. Seit der großen Finanzkrise ab 2008 hätten sich Wohnungen in eine wichtige Investmentkategorie für globales Kapital verwandelt. «Dieser Trend hielt sich auch in der Covid-19-Pandemie.» Immer schneller kaufen institutionelle Anleger Wohnungen in europäischen Städten wie Berlin, Amsterdam, Paris und Wien und treiben damit die Preise. Gab es im Jahr 2012 in Deutschland noch lediglich 16 große Wohnimmobilien-Deals, an denen institutionelle Investoren beteiligt waren, so wuchs diese Zahl bis 2021 auf 92. In den Niederlanden nahm sie im gleichen Zeitraum von zwei auf 60 zu. Und der Appetit der Investoren ist noch nicht gestillt. «Die Daten deuten darauf hin, dass die Gesellschaften noch viel Pulver haben.»
Kredite, Anleihen, Fonds und Trusts
Ihre Mittel erhalten sie von Versicherungen, Pensionsfonds oder vermögenden Privatanlegern. Und ihre Möglichkeiten zum Investment sind vielfältig. So können sie Hypothekenkredite an Hauskäufer vergeben; sie können Schuldpapiere wie Anleihen kaufen, die andere Investoren ausgegeben haben, um Hauskäufe zu finanzieren; sie können Aktien von Immobiliengesellschaften erwerben; oder sie kaufen Anteile an Immobilientrusts (Reits) und -fonds, die von großen Vermögensverwaltern angeboten werden. Laut der Europäischen Zentralbank erreichten Immobilienfonds in der Eurozone 2021 ein Gesamtvolumen von einer Billion Euro. All diese Papiere und Investmentvehikel werfen Renditen ab, die von steigenden Hauspreisen und Mieten finanziert werden.
Der Zustrom an Großinvestoren auf den europäischen Häusermarkt hat laut Gabor und Kohl verschiedene Treiber. Zum einen den Staat: Er habe sich aus der Bereitstellung von Wohnraum vielfach zurückgezogen, staatliche Immobilien wurden privatisiert und beim Neubau wird auf das Geld der Privaten gesetzt. Daneben bietet die öffentliche Hand den Immobilieninvestoren Steuervorteile. «Seit mehr als drei Jahrzehnten befördert die Bundespolitik die Deregulierung und Privatisierung von Wohnraum und erleichtert spekulative Kapitalanlagen, die höhere Mieten erfordern» kritisiert Sebastian Botzem, Politökonom an der Uni Bremen, auf dem «Finanzwende-Blog». Durch finanzielle Anreize werde die Wohnungswirtschaft auf Profitorientierung ausgerichtet, und steuerrechtliche Änderungen bevorzugten institutionelle Anleger.
Angetrieben wird der Boom aber auch durch die Tatsache, dass weltweit Massen an Anlagekapital nach relativ sicheren Renditen suchen. Gabor und Kohl verweisen auf eine «weltweite Portfolio-Schwemme» - allein der US-Vermögensverwalter Blackrock ist zehn Billionen Dollar schwer. Blackrock sei damit ein bedeutender Spieler unter den weltweit 500 größten Vermögensverwaltern, die über 120 Billionen Dollar an Anlagegeldern verfügen, die sie zu vermehren trachten. In der Datenbank des Brancheninformationsdienstes Preqin fanden sich im vergangenen August über 4000 institutionelle Investoren, die gemeinsam 136 Billionen Dollar an Kapital verwalteten, wovon 3,6 Billionen auf den europäischen Immobiliensektor zielten.
Zum Anschwellen dieser Kapitalmassen trägt die Politik bei, da sie zum einen den Reichtum kaum besteuert. Zum anderen fördert sie privates Sparen und Altersvorsorge, was weitere Mittel in die Kassen von Versicherungen und Pensionsfonds spült, die angelegt werden - unter anderem in Wohnimmobilien. Denn insbesondere in Zeiten extrem niedriger Zinsen winken hier stabile Erträge - wohnen müssen die Menschen schließlich immer. «Es gibt zu wenig profitable Anlagemöglichkeiten: die Kapitalist*innen wissen nicht, wohin mit ihrem Geld», erklärt Nora Horn von der Initiative Neue Plurale Ökonomik an der Uni Halle. «Deshalb kommt es zur Erschließung von neuen Märkten für Finanzkapital.»
Die wachsende Nachfrage der Investoren nach Wohnraum ist also zum einen die Folge einer latenten Krise, die sich in extrem niedrigen Zinsen und überschüssigen Anlagegeldern ausdrückt. Zum anderen schafft diese Nachfrage neue Krisen. Denn die Investitionen hängen von Erwartungen an die Zukunft der Immobilienmärkte ab. Werden steigende Preise erwartet, dann werden auch höhere Preise gezahlt, womit die Spekulation sich selbst recht gibt. Auf diese Weise «entwickeln sich schnell Spiralen», so Horn, «weil die meisten Investitionsentscheidungen mit denselben Zahlen und Daten arbeiten und sich aneinander orientieren». So zieht sich die Spekulation selbst in die Höhe. In den Vereinigten Staaten «könnte der Immobilienboom schon bald zerplatzen», meldet der US-Finanzinformationsdienst Bloomberg diese Woche.
Doch genau solche Krisen können dazu beitragen, die Rolle der großen Finanzanleger noch zu stärken, wie die Jahre nach der Eurokrise gezeigt haben. «Da sie über riesige Mittel verfügen, sind institutionelle Investoren in einzigartiger Weise positioniert, um Vorteile aus dem Platzen von Immobilienblasen zu ziehen», so Gabor und Kohl. So können sie in der Krise Wohnraum billig erwerben. Oder sie kaufen mit Preisabschlag den Banken Portfolios notleidend gewordener Hypothekenkredite ab und werden so zu Gläubigern der Hauskäufer. Dies geschah nach der Finanzkrise in Spanien, Irland und Griechenland sogar mit staatlicher Unterstützung, weil die Regierungen nach Adressen suchten, die ihren angeschlagenen Banken die Problemkredite abnahmen. «Unter dem Druck der Sparzwänge nutzten Regierungen die Institutionellen, um die Bilanzen der Banken zu bereinigen.» Von 2015 bis 2017 seien die drei größten Käufer notleidender Kredite in Europa die Private-Equity-Gesellschaften Cerberus, Blackstone und Fortress gewesen.
Die Bedeutung dieser Investoren dürfte weiter wachsen, so die Ökonom*innen, und zwar über den Immobiliensektor hinaus. Denn «das politischen Narrativ lautet, dass der Staat allein nicht die Ressourcen für die notwendigen Investitionen in Klimaschutz, Gesundheit, Bildung, Infrastruktur und Wohnungen hat und er daher private Gelder für diese öffentlichen Vorhaben mobilisieren muss.» Hier sind die Vermögensverwalter als Geldgeber gefragt.
Höhere Preise, höhere Mieten
Der Vormarsch der Großanleger könnte damit die Trends verstärken, die die Finanzialisierung der Wohnungswirtschaft bereits eingeleitet hat. «Tiefere Finanzmärkte haben weder das Immobilieneigentum gefördert noch das Angebot an Wohnraum substanziell erhöht», stellen Gabor und Kohl fest. Stattdessen wurden die Hauspreise in die Höhe getrieben, was die Mietrenditen gedrückt habe, woraus sich seitens der Eigentümer der Drang nach Mieterhöhungen ergibt, um die Kapitalrendite zu stabilisieren. Die «Generation Miete» sei daher in den Fokus der institutionellen Anleger in vielen Ländern geraten, insbesondere in den Boom-Städten Irlands, Großbritanniens, Spaniens und der Niederlande. Die Folge: «Housing Affordibility», also die Erschwinglichkeit von Wohnraum, sei zum Schlüsselproblem in Europas Städten geworden. Die Folgen seien Verarmung, Verdrängung von Haushalten mit geringen Einkommen, Gentrifizierung und eine verstärkte Ungleichheit. Dies stellte auch der Bericht der EU-Kommission zur Finanzialisierung in sieben europäischen Großstädten fest.
Mit Hilfe der Politik sind die institutionellen Investoren zu großen Spielern im Bereich der Wohnimmobilien geworden. Gabor und Kohl drängen daher auf die «Schaffung eines regulatorischen Regimes, das im Menschenrecht auf Wohnraum verankert ist».
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