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- Pop-up-Messe und der Ukraine-Krieg
Neues Blut soll fließen
Militärische Gefühle: Wie der Ukraine-Krieg auf der Leipziger Pop-up-Buchmesse besprochen wurde
»Wir sind wütend, traurig fassungslos«, schrieben verschiedene Schriftsteller*innen in einer Online-Petition. Aber nicht wegen des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine, der hatte noch gar nicht angefangen, sondern wegen der dritten Absage der Leipziger Buchmesse in Folge Anfang Februar. Nachdem drei Konzernverlage wegen der Pandemie abgesagt hatten, wurden die Messe und das Festival »Leipzig liest« abgeblasen. Das erschien besonders den kleinen Verlagen so ungerecht und sinnlos, dass sie ihre eigene kleine Messe organisierten: Die Pop-up-Buchmesse, die von Freitag bis Sonntag im Werk II am Connewitzer Kreuz stattfand. Ziemlich erfolgreich, mit über 10 000 Besuchern, wie die Veranstalter sagten.
In einer Halle drängten sich 60 kleine und nicht so kleine Verlage mit ihren Büchertischen einträchtig nebeneinander: Nautilus, Kunstmann, Maro, Ventil, Kein & Aber, Verbrecher, Orlando, Bahoe, der wiederauferstandene März Verlag, Faber & Faber, Mikrotext, Voland & Quist neben Beck, Suhrkamp, Hanser und Aufbau. Freundliche Verlagsleute und lebhafte Besucher*innen, die viele Bücher kauften. Alle mit Maske, in guter Stimmung. Man kennt sich, mag sich, und das Leben geht weiter, hurra.
Doch es gibt Krieg in der Ukraine, den man in der Stadt merkt mit Flüchtlingen im Leipziger Hauptbahnhof und in den Straßenbahnen. Deren Leben geht auch weiter, zum Glück. Denn in der Ukraine ist es zu gefährlich. Man kann abhauen, oder man kann kämpfen. Aber wenn man es muss, wird es grausam. Männer zwischen 18 und 60 dürfen das Land nicht verlassen, sie sollen es verteidigen. Vor Kurzem haben wir noch über Identitätspolitiken diskutiert, über gendergerechte Sprache und die Bewusstwerdung von Unterdrückung und nun das: Männer müssen kämpfen, Frauen und Kinder sollen fliehen. Geht es noch stumpfer in den Rollenerwartungen?
Im Interim, einem Treffpunkt der Linkspartei und ihrer Sympathisanten, stellte die Feministin Kristina Lunz ihr neues Buch »Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch« vor. Sie sagte: »Die Gewalt der Männer ist der Ozean, in dem wir schwimmen.« Doch wenn der Botschafter der Ukraine in Deutschland Andrij Melnyk seine Rolle gegenwärtig »als Waffenhändler« definiere, um seinem Land Waffen zu verschaffen, dann frage sie »Who am I?«, wer bin ich denn, um dem zu widersprechen. »Who am I?« - mit dieser Frage fing bislang Feminismus an, jetzt soll er damit aufhören.
Die bisherige Außenpolitik sei sowieso viel zu lasch gewesen, meinte der Journalist Thomas Urban, als er im Werk II sein Buch »Verstellter Blick, die deutsche Ostpolitik« vorstellte. Sie habe Putins Kurs weder begriffen noch gebremst, sondern gefördert. Für Urban hat der Krieg gegen die Ukraine 2014 mit der russischen Annexion der Krim begonnen und sich in der Ostukraine fortgesetzt, als die sogenannten Volksrepubliken gegründet wurden - geführt von Personal aus Russland.
Die diplomatischen Versuche, diese Kämpfe zu stoppen, die Abkommen von Minsk, hätten auf dem Fehler des Westens gegründet, Russland als Vermittler und nicht als Konfliktpartei anzusprechen. Urban glaubt, dass es jetzt nur noch »schlimmer« werden kann. Das hörte sich etwas orakelhaft an, hatte aber noch einen gewissen analytischen Ton, der auf der nachfolgenden Veranstaltung nicht zu hören war. Da ging es ausschließlich um militärische Gefühle. Sie wurde vom PEN organisiert und trug den Titel »Nein zu Putins Krieg - was kann Literatur leisten?«
Literatur könne im Krieg nichts ausrichten, war die einhellige Meinung der auf dem Podium versammelten Schriftsteller*innen Marjana Gaponenko (Ukraine), Michail Schischkin (Russland) und Volha Hapeyeva (Belarus), moderiert von der Journalistin Cornelia Zetzsche, die für den Bayerischen Rundfunk arbeitet. Gaponenko lebt schon lange in Deutschland, Schischkin in der Schweiz und Hapeyeva im deutschen Exil als Stipendiatin des PEN.
Literatur zu schreiben sei »etwas Intimes«, sagte Gaponenko, es sei obszön, das nun tun zu wollen. Das gehe erst wieder, wenn der Krieg gegen Russland gewonnen sei. Hapeyeva meinte, »wir sind zu nah dran an der Katastrophe«, zum Schreiben brauche man Distanz, und Schischkin konnte sich Literatur erst wieder nach dem Krieg vorstellen, dann könne sie eventuell helfen, »Abgründe« zu überwinden.
Als erstes müsste Wladimir Putin besiegt und abgesetzt werden. Denn dessen Herz sei wie ein »schwarzes Loch«, in das er Deutschland und die Welt einsauge. Er sollte einen langen, qualvollen Tod sterben, wie Muammar al-Gaddafi in Libyen, wünschte sich Schischkin und bat um Verzeihung, das sei politisch nicht korrekt. Aber Russland müsse sich komplett erneuern, symbolisch auf die Knie fallen und die Ukraine um Vergebung bitten. Wer behaupte, auch die Russen seien Opfer von Putin, der schaffe mit dieser Erzählung gleich »den nächsten Putin«. Die Mehrheit der Russen lebe praktisch im Mittelalter, die Minderheit sympathisiere mit den westlichen Werten. Dazwischen klaffe eine »Zivilisationslücke«.
Inmitten dieser literaturfernen Literat*innen saß der deutsche Osteuropa-Historiker Karl Schlögel und rang mit sich. Er hielt den Blick gesenkt und rieb sich die Hände ins Gesicht. Er wolle nicht wie in einer Talkshow sprechen, sagte er, um genau das zu tun. Es sei »noch nicht ganz klar, wie die kommende Prüfung bestanden werden soll«, meinte er. Er hoffte dabei auf »die Intelligenz der Militärs«, die sollten sich etwas einfallen lassen.
In der »Zeit« der vergangenen Woche war der Ex-Maoist Schlögel dafür kritisiert worden, dass er in der »FAZ« vom Westen die »Schließung des Himmels«, wie die Ukrainer gerne sagen, wenn sie den Kriegseintritt der Nato mit Flugverbotszonen fordern, verlangt hatte, um die »Baudenkmäler, Museen, Kirchen« zu schützen. Das deutsche Feuilleton habe zu viel Angst, konstatierte er nun und wünschte sich allgemein mehr »Tapferkeit«.
Die Bekämpfung der Gewalt mit mehr Gewalt, diese klassische Überbietungslogik, war auf der Bühne Konsens, mit Ausnahme von Hapeyeva, die sich da nicht so sicher war. Für Gaponenko gehe es nicht um »abstrakte Friedenstauben«, sondern um den Sieg gegen ein »verbrecherisches russisches Regime«, das gerade »einen Völkermord« an 42 Millionen Ukrainern verübe. Die brauchen mehr Waffen und die sofortige »Schließung des Himmels«. Denn Putin sei ein »Soziopath« mit einem »hohen Sicherheitsbedürfnis«. Seine Angst vor dem Tod sei so groß, dass er den Einsatz von Atomwaffen nicht riskieren würde.
Schischkin verlangte eine »vernichtende Niederlage« für Russland. Schlögel forderte, dass die Deutschen endlich aus dem »Nebel von Märchen, Lügen und Ahnungslosigkeit« herausfinden, den insbesondere Politiker der Linkspartei und Gabriele Krone-Schmalz, die ehemalige Moskau-Korrespondentin der ARD, mit ihrer Russlandversteherei verbreiten würden, obwohl sie »keine Ahnung« hätten. Wenn Bundeskanzler Scholz davor warne, in Deutschland lebende Russen zu attackieren, dann sei das nichts anderes als »Futter für die russische Propaganda«.
Aus der Ukraine wurde der Übersetzer Juri Durkot live aus Lwiw zugeschaltet, der früher ebenso wie Schlögel einen Buchpreis der Leipziger Buchmesse gewonnen hatte. Er wurde von der Moderatorin Zetzsche gefragt, was er als Übersetzer von einem Verbot russischer Literatur, wie es das Ukrainische Buchinstitut gefordert hatte, halten würde? Als »Liberaler« sei er gegen Verbote - normalerweise, antwortete er. Doch nun sei die Welt nicht mehr normal, dafür habe Putin gesorgt.
Kapitalismus, Militarismus, Nationalismus oder politische Interessen? Gibt es nicht mehr. Mit Tapferkeit und Stärke heraus aus dem Nebel, und keine Angst vor Atomwaffen - bis Putin am Boden liegt. Das war der Appell dieser Leipziger Veranstaltung, vorgebracht in einem in halbdunkles Rot getauchten Saal, in dem vorher die klagend-wispernde Musik von Peter Gabriel im Hintergrund lief. »I was taught to fight / taught to win / I never thought I could fail« hatte er 2011 gesungen, eigentlich ein Liebeslied. Eingespielt mit dem New Blood Orchestra. Das passte alles sehr gut: Neues Blut soll fließen, das ist anscheinend die diffuse Ansage. Fragen aus dem Publikum waren nicht zugelassen.
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