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Risikoscore bei der Corona-Infektion
Covid-19 trifft sozial Benachteiligte und Menschen mit ungesundem Lebensstil besonders schwer
Im Verlauf der Corona-Pandemie belegten schon zahlreiche Studien, dass das Risiko einer schweren Covid-19-Infektion in sozial benachteiligten Schichten besonders hoch ist. Für Deutschland hat etwa das Robert-Koch-Institut dies empirisch nachweisen können. Als Hauptgrund wird in der Literatur der schlechtere Zugang zu Gesundheitsleistungen angeführt. Doch auch in der Gruppe der sozial Benachteiligten gibt es Unterschiede, was etwa mit Blick auf ethnische Gruppen hin untersucht wurde. Woran dies womöglich auch liegen kann, nimmt eine kürzlich in der Fachzeitschrift »BMC Infectious Diseases« veröffentlichte Studie unter Federführung der Universität Glasgow unter die Lupe. Konkret gingen die Forscher erstmals der Frage nach, welche Rolle der jeweilige Lebensstil spielt.
Grundlage der Studie waren Daten aus der UK-Biobank. Dabei handelt es sich um eine groß angelegte biomedizinische Datenbank, auf die Forscher aus aller Welt für Studien gerne zugreifen. Gesammelt sind hier alle möglichen Gesundheitsinformationen von Hunderttausenden Briten, die freiwillig teilnehmen. Ziel ist es, ein besseres Verständnis der Vorbeugung, Diagnose und Behandlung eines breiten Spektrums lebensbedrohlicher Krankheiten wie Krebs, Herzkrankheiten und Schlaganfall zu bekommen. Finanziert wird die UK-Biobank von Forschungseinrichtungen, Stiftungen, Gesundheitsbehörden und der schottischen Regierung.
Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann
Für die aktuelle Corona-Studie wurden die Daten von 343 850 Teilnehmern mit einem Durchschnittsalter von über 60 Jahren ausgewertet. Von diesen starben 707 Menschen an einer Covid-19-Infektion, 2506 Personen erkrankten schwer. Um Risikofaktoren zu ermitteln, wurden bei ihnen der sozioökonomische Status und der Lebensstil ermittelt. Für Letzteren erarbeiteten die Forscher einen Risikoscore, der sich aus Kriterien wie Raucherstatus, Alkoholkonsum, körperlicher Aktivität, Fernsehdauer, Schlafdauer und Ernährung ergibt.
Das Ergebnis war eindeutig: »Wir wissen, dass die Auswirkungen von Covid-19 bei wirtschaftlich benachteiligten Gruppen aus einer Reihe von Gründen schlimmer sind, und unsere Forschung zeigt, dass benachteiligte Personen, die auch ungesunde Lebensstilfaktoren wie Rauchen, Alkoholkonsum und geringe körperliche Aktivität aufweisen, ein zusätzliches Covid-19-Risiko haben«, erläutert Kate O’Donnell, Professorin für Forschung und Entwicklung in der Primärversorgung am Institut für Gesundheit der Universität Glasgow.
Das zeigten die ausgewerteten Daten: Im Vergleich zu den Teilnehmern mit dem gesündesten Lebensstil und niedriger sozialer Benachteiligung haben Menschen in vernachlässigten Gegenden ein um den Faktor 5 erhöhtes Risiko, an Covid-19 zu sterben. Kommt ein besonders ungesunder Lebensstil hinzu, beträgt der Faktor sogar 9,6. Bei schweren Erkrankungen ist das Risiko um das Fünf- beziehungsweise das Sechsfache erhöht. Auch wenn die exakten Zahlen wegen der eher kleinen Betroffenengruppe mit Vorsicht zu genießen sind, belegen sie, dass sehr unterschiedliche Risiken bestehen.
Den Studienautoren ging es vor allem um die Frage, welche Lehren für die öffentliche Gesundheitspolitik aus der Corona-Pandemie zu ziehen sind. Bereits mehrfach hatten Wissenschaftler deutlich gemacht, wie wichtig es ist, die Gesundheitsversorgung in benachteiligten Gegenden spürbar zu verbessern. Die Studie aus Glasgow schärft dies noch nach, wie Kate O’Donnell erläutert: »Der größte Nutzen für die öffentliche Gesundheit wird wahrscheinlich dann erzielt, wenn den am stärksten benachteiligten Gruppen die größte Unterstützung für eine gesunde Lebensweise zuteil wird.« Sie würden diese am meisten benötigen.
Auch wenn es den Experten mehr um die Verbesserung von Vorsorgeangeboten geht - man könnte das Studienergebnis auch grundsätzlicher auslegen: als Plädoyer für eine Verbesserung der Lebensverhältnisse durch gezielte Armutsbekämpfung, denn diese würde ja auch zu gesünderen Lebensumständen führen.
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