Allmacht und Auflösung

Viel Personal und Paranoia: In »Der Schlaf in den Uhren« ringt Uwe Tellkamp mit dem Westen als dem neuen Osten

  • Michael Bittner
  • Lesedauer: 6 Min.
Kann auch wie ein frustrierter Hausmeister wirken: Uwe Tellkamp
Kann auch wie ein frustrierter Hausmeister wirken: Uwe Tellkamp

Uwe Tellkamps neuer Roman »Der Schlaf in den Uhren« sei »eine Fortschreibung des großen Romans ›Der Turm‹«, verkündet sein Verlag Suhrkamp. In mindestens einer Hinsicht stimmt das nicht: Den Erfolg bei der Literaturkritik schreibt der neue Roman nicht fort. Wurde »Der Turm« einst im Feuilleton hochgelobt, hagelt es nun Verrisse. Woran liegt’s? Haben allzu lange 14 Jahre des Wartens auf den schon mehrfach angekündigten Roman den Literaturbetrieb ungnädig gestimmt? Oder ist es, wie Tellkamp und seine Freunde verbreiten, die konservative Selbstoffenbarung des Schriftstellers, die den linksgrünen Medienmob nun rachsüchtig gegen ein Meisterwerk eifern lässt?

Ein Blick zurück: Die Begeisterung für Tellkamps Vorwenderoman »Der Turm« war vor allem eine westdeutsche. Während das Buch – zum großen Ärger des Autors – in seiner Heimatstadt Dresden von der »Sächsischen Zeitung« zurückhaltend aufgenommen wurde, jubelten die Literaturredaktionen in Frankfurt am Main, Berlin und Hamburg. Dort stieß Tellkamp mit seiner Schilderung des Dresdner Elbhangs als Refugium des Bildungsbürgertums auf große Zustimmung, auch weil er dieses Kulturmilieu zum Widerstandsnest im Kampf gegen das SED-Regime stilisierte. Mit Tellkamp trat ein jüngerer ostdeutscher Schriftsteller auf, der konsequent antisozialistisch schrieb, ganz anders als Nervensägen wie Christoph Hein oder Volker Braun, die bei aller Kritik am Realsozialismus von der sozialistischen Idee noch immer nicht lassen wollten und es sich herausnahmen, undankbar an der kapitalistischen Gesellschaft des Westens herumzumäkeln.

Seit Tellkamp im März 2018 in einer inzwischen berüchtigten Debatte mit seinem Kollegen Durs Grünbein im Dresdner Kulturpalast gegen die Aufnahme von Geflüchteten durch Angela Merkel wetterte, hat sich nun jedoch in den Redaktionen der Republik herumgesprochen: Auch Uwe Tellkamp ist auf seine Art ein Kritiker des Westens. Er geißelt nicht nur die vermeintlich zu offenherzige Migrationspolitik der Bundesrepublik, sondern alle Lieblingsideen des Linksliberalismus: die Diversität der Lebensformen, den Multikulturalismus, den Klimaschutz. Dabei wirkt schon sein Habitus befremdlich: Der zugleich jähzornige und wehleidige Mann ähnelt bei seinen politischen Auftritten weniger einem feinsinnigen Dichter als einem frustrierten Hausmeister. Tellkamp ist Mitglied des konservativen Kreises rund um das »Kulturhaus Loschwitz« der Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen und arbeitet sogar mit dem rechtsradikalen Verleger Götz Kubitschek zusammen. All das muss seine früheren Lobredner aus dem liberalen Bürgertum befremden.

Der neue Roman »Der Schlaf in den Uhren« ähnelt auf den ersten Blick seinem Vorgänger sehr: Wieder werden verschiedene Zeitebenen miteinander verknüpft, diesmal die Ereignisse zwischen Sommer 1989 und Januar 1990 und die Gegenwart seit 2015. Erneut werden die ineinander verschlungenen Lebensläufe mehrerer Figuren in mosaikartiger Komposition dargestellt. Hauptfigur und wichtigster Erzähler ist Fabian Hoffmann, der in der Wendezeit als Filmvorführer arbeitet und sich in alternativ-dissidentischem Milieu bewegt. Der schon im »Turm« mit einer Hauptrolle betraute Zoologe und Lektor Meno Rohde, Kind aus einer Familie von »rotem Adel«, versucht in den Wendewirren, seinen anspruchsvollen »Hermes-Verlag« zu retten. Die Krankenschwester Anne Hoffmann nutzt ihr bürgerrechtliches Engagement als Sprungbrett für eine politische Karriere. Wie im »Turm« erscheinen daneben unzählige weitere Gestalten, unter ihnen auch viele, die – trotz albern verfremdeten Figurennamen – mühelos als historische Personen aus Politik und Literatur zu erkennen sind. Weit häufiger als im Vorgängerroman bewegen sich die Figuren nicht an realen Orten, sondern in einer fiktiven Welt: Westdeutschland erscheint als Inselstadt »Treva«, eine merkwürdige Mischung aus Bonn und Hamburg.

In der Schilderung der Wende bekommen die Leserinnen und Leser von Uwe Tellkamp politisch das geliefert, was sie erwarten durften: Den Dissidenten stehen teils verbohrte, teils verschlagene sozialistische Machtmenschen gegenüber. Dazwischen tummeln sich die blauäugigen Reformsozialisten der »Träumerfraktion«, die volksfern von einem »Dritten Weg« schwatzen und den bedingungslosen Anschluss an den Kapitalismus ablehnen. Unterstützt werden sie darin von arroganten Westlinken wie dem Schriftsteller Oskar Brock (Günter Grass), der die DDR als »kommode Diktatur« verharmlost. Die Absage von Fabian Hoffmann an den Versuch, ihn für solche Tendenzen zu gewinnen, darf man wohl auch als eine Ansage des Autors verstehen: »ich stotterte, dass ich für die freiheitliche Demokratie sei, für Marktwirtschaft und für die Abschaffung einer Gesellschaftsordnung, die so etwas wie die Staatssicherheit nicht nur hervorbringe, sondern geradezu erforderlich mache, ich lief hinaus, schlug die Tür zu.«

In dem historischen Teil des Romans finden sich einzelne lesenswerte Kapitel, etwa die Geschichte von Muriel, der kompromisslos rebellischen Schwester Fabians. Doch wird alles überwuchert und erstickt durch die peinlich verunglückte Gegenwartshandlung um »Treva«, den gescheiterten Versuch, eine Satire auf die Bundesrepublik unserer Tage zu schreiben. Allenfalls unfreiwillig komisch ist es, wie der Ton dabei orientierungslos zwischen poetischem Pathos und Kommentarspaltenrechthaberei schlingert. Ohne Rücksicht auf logische und psychologische Ungereimtheiten nutzt Tellkamp sein etabliertes Personal: So avanciert Krankenschwester Anne Hoffmann zur Bundeskanzlerin, die jedoch alle Attribute Angela Merkels besitzt. Der ehemalige Dissident Fabian tritt als Chronist im Staatsdienst auf, der sich nach 2015 von der »politisch-medialen Maschine« entfremdet und zum »Abweichler« wird.

Die merkwürdige Konzeption des Romans ist einzig erklärbar durch Uwe Tellkamps Wahnidee, die Situation der gegenwärtigen BRD sei der Lage der späten DDR sehr ähnlich. Die Stasi wird ihm zum Schlüssel auch für die Geschehnisse der Gegenwart: Die »Sicherheit« hat die Wiedervereinigung als Chance zur Westerweiterung genutzt und kontrolliert durch alte und neue »IM« nun die BRD. Ihre »Tausendundeinenachtabteilung« arbeitet eng mit den »Hauptstrommedien« sowie dem Kanzleramt zusammen, um die Deutschen durch das »Klimanarrativ« und das »Flüchtlingsnarrativ« zu manipulieren. Stimmen, die vor einer Auflösung des Volkes durch den Verlust der »ethnischen Homogenität« warnen, werden von der Allmacht unterdrückt. Welche Haltung der Autor zu dieser Verschwörungserzählung einnimmt, ist ziemlich klar: Die Politiker der »alternativen Partei«, die Demonstranten von »Tregida« und angeblich mundtot gemachte konservative Autoren erscheinen als denunzierte Dissidenten. Uwe Tellkamp ist sogar so geschmacklos, sich in seinem eigenen Roman über die schlechte Behandlung seiner selbst zu beklagen.

Der Roman »Der Schlaf in den Uhren« schreibt den »Turm« weniger fort, als dass er dessen Schwächen potenziert. Die aus politischen Gründen misstrauisch gewordenen Feuilletonisten der liberalen Medien erblicken nun jene literarischen Mängel deutlich, über die sie früher meist gnädig hinweggesehen hatten: Uwe Tellkamp zeigt keinerlei Sinn für erzählerische Ökonomie. Die Sprache ist überladen mit Bildungsschnörkeln, die Geschichte wird von Beschreibungsorgien, tagespolitischem Gezeter und willkürlichen Abschweifungen völlig verdunkelt. Hunderte Figuren stehen einander auf den Füßen, kaum eine wird dabei zur lebendigen Gestalt.

Die Behauptung von Tellkamp, all dies sei hochkünstlerische Absicht, darf man lächelnd auf sich beruhen lassen. Es ist offenkundig, dass dem Schriftsteller sein Projekt über den Kopf gewachsen ist. Und er war nicht selbstkritisch genug, um es abzubrechen, hatte offenbar auch keine ehrlichen Freunde, die ihm dazu geraten hätten. Gleichgesinnte werden diesen Roman kaufen und laut loben, durchlesen werden auch sie dieses völlig missratene Produkt von literarischem Größenwahn und politischer Paranoia nicht.

Uwe Tellkamp: Der Schlaf in den Uhren. Archipelagus 1. Suhrkamp, 906 S., geb., 32 €.

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