Immer noch wenige ostdeutsche Chefs

In östlichen Bundesländern sind die meisten Führungspositionen weiter mit Westdeutschen besetzt

Drei Viertel der Führungskräfte in Ostdeutschland sind Westdeutsche - bei einem Bevölkerungsanteil von 13 Prozent.
Drei Viertel der Führungskräfte in Ostdeutschland sind Westdeutsche - bei einem Bevölkerungsanteil von 13 Prozent.

Auch 30 Jahre nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik haben Menschen westdeutscher Herkunft auf deren ehemaligem Territorium die allermeisten Spitzenpositionen inne. Das betrifft Behörden und Ministerien ebenso wie Unternehmen und Chefredaktionen. Dabei liegt ihr Anteil an der Bevölkerung in Ostdeutschland weiter nur bei 13 Prozent. Trotzdem ist die Zahl Ostdeutscher gerade in der Wirtschaft und in der Presselandschaft in den letzten fünf Jahren sogar zurückgegangen. Das ist das Ergebnis einer am Mittwoch in Berlin vorgestellten Studie.

Den Ergebnissen der repräsentativen Befragung zufolge stieg der Anteil Ostdeutscher in Topjobs seit 2016 im Durchschnitt der beleuchteten Bereiche von 23 auf 26 Prozent. In den Landesregierungen, großen Firmen und Medien ging es sogar abwärts. Von »Elitepositionen« in der Bundesregierung, in Dax-Unternehmen oder Bundesgerichten sind 3,5 Prozent mit Ostdeutschen besetzt. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung beträgt 17 Prozent.

Die Studie »Der lange Weg nach oben – wie es Ostdeutsche in die Eliten schaffen« wurde vom Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft der Universität Leipzig und einer vom Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) beauftragten Gesellschaft erarbeitet. Ihre Ergebnisse basieren auf einer Datenerhebung, die von Oktober 2021 bis April 2022 vorgenommen wurde. Sie wurde mit denen ähnlicher Erhebungen aus den Jahren 2004 und 2016 verglichen.

Laut Studie gilt als Ostdeutscher, wer in der DDR oder nach der Vereinigung im Osten sozialisiert wurde, also bis zum Erwachsenenalter überwiegend dort gelebt hat. Danach stieg ihr Anteil an den Richterinnen und Richtern an obersten Gerichten in Ostdeutschland von 13 Prozent im Jahr 2016 auf aktuell 22 Prozent. In ostdeutschen Unis haben 17 Prozent der Rektoren oder Präsidenten einen ostdeutschen Hintergrund und damit kaum mehr als vor fünf Jahren. An der Spitze ostdeutscher Forschungsinstitute stieg der Anteil Ostdeutscher von 15 auf 20 Prozent.

60 Prozent der ostdeutschen Landesminister kommen gegenwärtig auch aus dem Osten. Allerdings waren es seit 1991 bis einschließlich 2016 immer mindestens 70 Prozent gewesen, wie die Autoren der Studie betonten. Unter den Staatssekretären ist der Anteil gegenüber 2016 hingegen leicht auf nunmehr 52 Prozent gestiegen.

In der Leitung der 100 größten Unternehmen im Osten sank der Anteil Ostdeutscher von 45 auf 27 Prozent und in den Chefredaktionen der großen Regionalzeitungen von 62 auf 43 Prozent. Selbst in der täglichen Berichterstattung für Ostdeutschland ist also der westliche Blick auf den Osten und die deutsche Gesamtgesellschaft bis heute prägend. In den Verlagsleitungen sind immerhin mittlerweile 20 Prozent der Beschäftigten Ostdeutsche – gegenüber neun Prozent 2016. In den Führungsgremien der öffentlich-rechtlichen Sender für den Osten sind mittlerweile vier Ostdeutsche (31 Prozent) vertreten.

Die Autoren konstatieren, dass das erwartete Nachrücken jüngerer Ostdeutscher in Führungspositionen in vielen gesellschaftlichen Bereichen nicht stattgefunden hat. Carsten Schneider, Ostbeauftragter der Bundesregierung, in dessen Anwesenheit die Studie vorgestellt wurde, forderte eine höhere Repräsentanz Ostdeutscher in ostdeutschen Führungspositionen. »Es geht dabei um Teilhabechancen und darum, ob ostdeutsche Sichtweisen und Erfahrungen in Entscheidungsprozessen berücksichtigt werden«, sagte der aus Erfurt stammende SPD-Politiker. Das »große Potenzial der Ostdeutschen« werde bislang zu wenig genutzt.

Das Berliner Regierungsbündnis von SPD, Grünen und FDP hat sich in seinem Koalitionsvertrag das Ziel gesetzt, die Repräsentanz Ostdeutscher in Führungspositionen und Entscheidungsgremien in allen Bereichen zu verbessern. Schneider kündigte an, die Ampel-Koalition werde für die Ebene der Bundesverwaltung bis Ende dieses Jahres ein entsprechendes Konzept vorlegen.

Der Ostbeauftragte der Linksfraktion im Bundestag, Sören Pellmann, forderte eine »Ostquote« für Bundesministerien und -behörden. Die Ergebnisse der Studie nannte der Leipziger Politiker »niederschmetternd«. »Ostdeutsche werden beim Thema Führungspositionen in Politik und Gesellschaft systematisch benachteiligt«, sagte er. Die neue Bundesregierung gehe mit schlechtem Beispiel voran, da es kaum ostdeutsches Führungspersonal in den Bundesministerien gebe. Das widerspreche Artikel 36 des Grundgesetzes, so Pellmann. Darin heißt es, bei der Besetzung der obersten Bundesbehörden seien »Beamte aus allen Ländern in angemessenem Verhältnis zu verwenden«. Die bei den übrigen Bundesbehörden beschäftigten Personen sollen demnach »in der Regel aus dem Lande genommen werden, in dem sie tätig sind«. Der Regierungsbeauftragte Schneider hat sich aber gegen eine Quote ausgesprochen.

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