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Asylpolitik von Schwarz-Rot: Rechtswidrig und inhuman
Union und SPD schränken die Rechte Schutzsuchender weiter ein und schotten Deutschland ab
Vollkommen zu Recht hat CDU-Chef Friedrich Merz bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags seiner Partei mit CSU und SPD darauf hingewiesen: Im Kapitel »Migration und Integration« sind Maßnahmen vereinbart, die weit über das hinausgehen, was seine Unionsfraktion Ende Januar mit den Stimmen der AfD durchs Parlament gebracht hat. Tatsächlich bilden die asylpolitischen Festlegungen im Vertrag eins zu eins ab, was die Union in ihrem Entschließungsantrag zur »sofortigen Beendigung der illegalen Migration« gefordert hatte. Dieser war am 29. Januar mit knapper Mehrheit von Union, FDP und AfD beschlossen worden. Kanzler Olaf Scholz hatte insbesondere die verlangten pauschalen Zurückweisungen auch von um Asyl Bittenden als rechtswidrig abgelehnt.
Das von der Union eingebrachte »Zustrombegrenzungsgesetz«, das am 31. Januar eine Mehrheit im Bundestag knapp verfehlte, sollte wiederum dafür sorgen, dass das Ziel der Begrenzung der Migration wieder ins Aufenthaltsgesetz aufgenommen wird und dass der Familiennachzug für Menschen mit eingeschränktem Schutzstatus ausgesetzt wird. Auch das wird jetzt umgesetzt.
Zurückweisen und kontrollieren
Menschenrechtsorganisationen und die Partei Die Linke haben all das und insbesondere die Zurückweisungen Asylsuchender an den deutschen Grenzen »in Abstimmung« mit den europäischen Partnern als Rechtsbruch kritisiert. Ebenso die bereits von SPD-Innenministerin Nancy Faeser mehrfach verlängerten Kontrollen an allen deutschen Grenzen. Diese Grenzkontrollen sollen nun zur Minimierung »irregulärer« Einreisen »bis zu einem funktionierenden Außengrenzschutz« der gesamten EU und der »Erfüllung« aller innereuropäischen Regeln zur Verteilung Geflüchteter, also der sogenannten Dublin-Verordnungen, und zur Umsetzung der Regelungen des vor einem Jahr verschärften Gemeinsamen Asylsystems (Geas) des Staatenbündnisses fortgesetzt werden. Das bedeutet nichts anderes, als die laut Schengen-Abkommen nur noch für Notfälle vorgesehenen Kontrollen an EU-Binnengrenzen auf Dauer zu stellen.
Faktisch dürften Zurückweisungen Schutzsuchender längst in größerem Umfang stattfinden, denn die Zahl der Zurückweisungen hat sich bereits drastisch erhöht. Nach Angaben von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) gab es im vergangenen Jahr 44 500. 2022 waren es nur 25 500, im Jahr davor sogar nur 13 200 Zurückweisungen.
»Rückführungsoffensive«
Abschieben, das wissen Union und SPD, ist in der Praxis oft nicht so einfach wie behauptet. Auch die angekündigte Abschaffung des »verpflichtend beigestellten Rechtsbeistands vor der Durchsetzung der Abschiebung« wird die »Zahlen« – von Menschen wird hier bewusst nie geredet – nicht nach oben treiben. Schon das sogenannte Rückführungsverbesserungsgesetz der Ampel von Anfang 2024 sorgte zwar für eine deutliche, aber eben nicht enorme Erhöhung der Zahl der Abschiebefälle.
Mehr als 240 000 in Deutschland lebende Menschen gelten als ausreisepflichtig. Die meisten von ihnen, nämlich rund 200 000, verfügen jedoch über eine Duldung, sind also nicht »vollziehbar« ausreisepflichtig. Die Gründe dafür, dass sie nicht abgeschoben werden können, sind vielfältig. Viele von ihnen leben schon viele Jahre hier, haben Arbeit, sind integriert.
Schwarz-Rot will weitere »Ausreisezentren« schaffen, von denen bereits einige in Betrieb genommen worden sind, und die Kapazitäten von Abschiebehaftplätzen stetig erweitern. Bislang gibt es nur wenige in insgesamt 14 Einrichtungen bundesweit. Im gesamten Jahr 2022 waren rund 5000 Personen zeitweilig in Abschiebehaft, die bislang eigentlich maximal für sechs Wochen zulässig ist. Künftig sollen auch Bundespolizisten für Ausreisepflichtige »vorübergehend Haft oder Ausreisegewahrsam beantragen« dürfen.
Auch die im Koalitionsvertrag angekündigten weiteren Migrations- und Rückführungsabkommen dürften die Zahl der Abschiebungen nicht entscheidend erhöhen. Schwarz-Rot will solche Vereinbarungen künftig gleichwohl mit mehr wirtschaftlichem Druck durchsetzen, inklusive der Streichung von Geldern aus der Entwicklungszusammenarbeit.
»Dauerhafter Ausreisearrest« soll laut Koalitionsvertrag künftig für »Gefährder und Täter schwerer Straftaten nach Haftverbüßung« zulässig sein. Der Begriff »Gefährder« ist nach wie vor ebenso dehnbar wie der Tatbestand der »Volksverhetzung«. Künftig soll laut Koalitionsvertrag die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe generell zur »Regelausweisung« führen. Dies soll neben Volksverhetzung auch bei »antisemitisch motivierten Straftaten« gelten, darüber hinaus bei Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte.
Stopp humanitärer Programme
Besonders gravierend dürften die Folgen des Beschlusses der Koalitionäre sein, alle freiwilligen Bundesaufnahmeprogramme »soweit wie möglich« zu beenden und keine neuen aufzulegen. Dies betrifft insbesondere Zusagen an ehemalige Ortskräfte der Bundeswehr in Afghanistan und ihre Angehörigen, aber auch Programme der Vereinten Nationen wie das UN-Umsiedlungsprogramm, das bereits vor einigen Tagen ausgesetzt wurde.
»Wer reguläre Wege versperrt, zwingt Menschen auf lebensgefährliche Fluchtrouten. Dies betrifft auch stark gefährdete Frauen und Mädchen aus Afghanistan.«
Karl Kopp Pro Asyl
Darüber hinaus wird das ohnehin seit Langem auf kleine Kontingente beschränkte Recht auf das Nachholen von engen Angehörigen nach Deutschland durch Menschen mit subsidiärem Schutzstatus, also der sogenannte Familiennachzug, vollständig ausgesetzt.
Beide Maßnahmen kritisieren Menschenrechtsorganisation wie Pro Asyl scharf. »Der Koalitionsvertrag kappt zentrale lebensrettende Maßnahmen«, moniert Pro-Asyl-Geschäftsführer Karl Kopp. »Wer reguläre Wege versperrt, zwingt Menschen auf lebensgefährliche Fluchtrouten. Dies betrifft auch Frauen und Mädchen aus Afghanistan, die dort laut europäischer Rechtsprechung massiv gefährdet sind«, so Kopp. Mit Blick auf die Aussetzung des Familiennachzugs für mindestens zwei Jahre betont er, sie verletze »das Menschenrecht auf Familie«, und behindere Integration. »Auch hier bleiben insbesondere Frauen und Kinder auf der Strecke – gerade jene, die am dringendsten Schutz benötigen«, sagt Kopp.
Ukrainer »herabgestuft«
Flüchtlinge, die nach der EU-Massenzustromrichtlinie nach Deutschland kommen, was Menschen aus der Ukraine betrifft, sollen ab sofort nicht mehr automatisch das Bürgergeld bekommen, sondern die niedrigeren Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Zudem soll künftig ihre Bedürftigkeit geprüft werden. Konkret bedeutet das, dass Alleinstehende monatlich 122 Euro weniger erhalten.
Mit vielen weiteren Maßnahmen werden künftig die Rechte von Menschen im Asylverfahren eingeschränkt. Andererseits will Schwarz-Rot künftige Asylverfahren in Drittstaaten außerhalb der EU vorantreiben, auch in solchen, zu denen die Betroffenen keine persönlichen familiären oder sonstigen Verbindungen haben. Dies verbirgt sich hinter der unscheinbaren Aussage, die künftige Koalition wolle »mit Blick auf Debatten um das Konzept der sicheren Drittstaaten eine Initiative zur Streichung des Verbindungselements« vorantreiben, um »Rückführungen und Verbringungen zu ermöglichen«.
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