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Schuld und Sühne eines Sexarbeiters

Im Drama »Moneyboys« gerät die Selbstakzeptanz eines jungen Chinesen unter die Räder der traditionellen Kultur

  • Anna Gyapjas
  • Lesedauer: 4 Min.
Was wird aus dem Einzelnen, wenn er sich zwischen Tradition und Fortschritt aufzureiben droht?
Was wird aus dem Einzelnen, wenn er sich zwischen Tradition und Fortschritt aufzureiben droht?

Der junge Moneyboy Fei (Kai Ko) hat es geschafft, könnte man meinen: Seine Freier finanzieren ihm ein gutes Leben in einer chinesischen Großstadt, er muss zumindest im privaten Freundeskreis seine Homosexualität nicht verheimlichen, kann sich feinen Zwirn und eine edle Wohnung mit Dachterrasse leisten und seine Familienangehörigen auf dem Land finanziell unterstützen. Wäre da nicht die traditionelle Schande, dass Fei mit 30 Jahren immer noch unverheiratet ist und keine Nachkommen zeugt. Oder der Fakt, dass Feis Lippen über die Länge von 120 Spielfilmminuten exakt einmal ein gelöstes Lächeln ziert.

Wäre sein Spielfilmdebüt ein Teich, so setzt der Österreicher C. B. Yi alles daran, den Blick auf dessen Grund von der ersten Minute an zu verwirren. »Moneyboys« beginnt mit einer großen Liebe, die brutal endet, ehe sie richtig beginnen konnte und Fei schwere Schuldgefühle aufbürdet. Weiter geht es mit Fei auf der Höhe seiner Karriere, die ebenfalls jäh abgewürgt wird, als ihm die Polizei auf die Spur kommt. Worauf wird das hinauslaufen? Die Rückkehr aufs Land, zu seiner liebenden Schwester und der Großfamilie, die Feis Geld zwar annimmt, aber den Erwerbsweg verachtet, bringt ebenfalls keinen Frieden. Aber immerhin einen guten Rat von der Schwester: »Wenn du die richtige Person findest, musst du sie gut festhalten.« Und einen Gefährten, der sich noch etwas vom Leben erhofft – und Fei glücklich sehen will. Mit der Entschiedenheit eines Sisyphus heftet sich Long (Yufan Bai) an Feis Fersen und folgt ihm zurück in die Großstadt, fest entschlossen, Feis Fassade zu durchbrechen und ihn als den zu lieben, der er ist.

Was wird aus dem Einzelnen, wenn er sich zwischen Tradition und Fortschritt aufzureiben droht? Wenn zwischen Herkunft und Selbstverwirklichung alle Stricke reißen? Um diese grundlegenden Fragen kreist Yis erster Spielfilm mit seinem in sich gekehrten Helden, der die Lasten der Vergangenheit schultert, statt sie abzuwerfen. Fei hat sich vorerst für den Weg der Selbstaufgabe entschieden. Und obwohl er erst noch lernen muss, dass alte Liebe rostet, egal wie sehr er sich aufopfert, zahlen auch seine Freunde einen gewissen Preis für den inneren Frieden. So entschließt sich ein befreundetes Paar – der schwule Ehemann, ein ehemaliger Moneyboy – die Stadt zu verlassen, um in der Provinz »eine echte Familie« zu gründen. Aber nicht, ohne dass der zukünftige Vater in vertrauter Runde feierlich klarstellt: »Diese sechs Jahre waren die wichtigsten meines Lebens.«

Der Österreicher Yi, geboren 1976 in einem Fischerdorf der Volksrepublik China als Bo Cheng, tastete auf dem Weg zur Selbsterkenntnis in verschiedene Richtungen. Er studierte erst Sinologie, um sich der Heimat zu nähern, die er als Teenager verließ. Dann ging er an die Filmakademie Wien, wo er Michael Haneke (Regie) und Christian Berger (Kamera) zu seinen Mentoren zählte. »Moneyboys«, Yis Diplomfilm, profitiert davon, dass sein Drehbuchautor und Regisseur statt offensichtlichen Lösungsansätzen die eigene Lebenserfahrung einbringt. Kulturelle Aspekte wie das Essen in der Gemeinschaft oder Opfergaben für die Ahnen finden ebenso Eingang wie Feis Undercover-Recherche in der chinesischen Sexarbeiterszene. »Moneyboys« basiert auf Freundschaften mit und Erzählungen von über 2000 Sexarbeitern, die ursprünglich in einem Dokumentarfilm verarbeitet werden sollten. Um die Mitwirkenden zu schützen, wählte Yi schließlich das fiktionale Erzählen. Gedreht wurde in Taiwan, acht Jahre dauerte die Fertigstellung des Films, der schließlich in Cannes seine Premiere feierte und u.a. mit dem Max Ophüls Preis 2022 als Bester Spielfilm ausgezeichnet wurde.

Über sich selbst sagt Yi: »Ich bin ein eher visueller Mensch und habe erfahren, dass ich mit filmischer Sprache besser umgehen kann als mit der gesprochenen Sprache.« Auch Fei spricht kaum. Dafür erzählen die Kameraaufnahmen umso mehr: »Moneyboys« arbeitet vorwiegend mit langen Einstellungen, die Assoziationen bei atmosphärisch dichten Bildern zulassen und Menschen in ihren Gemütszuständen zeigen, statt deren Wucht in deskriptiv-banale Dialogzeilen zu zwängen. Wann hat man zuletzt jemanden nach Worten ringen sehen, überwältigt von Wiedersehensfreude und gehemmt von der abweisenden Haltung des Gegenübers? Oder unsicheres Schweigen beim Essen im Familienkreis, weil der Älteste das Gespräch dominiert und der Rest nicht wagt aufzumucken?

Auch eine aus der Vogelperspektive gefilmte Schlägerei oder die Flucht durch ein Treppenhaus im Nacken des Fliehenden zu erleben, ist nicht nur ästhetisch, sondern auch erfrischend bei einer von Streamingdiensten geprägten filmischen Erzähl- und Sehkultur. Selbst das bedrückend-regengraue Setting lässt sich gut aushalten, wenn man weiß, dass die lebendigen, von Nähe geprägten Szenen des Films in leuchtendes Rot und lebhaftes Rosa getaucht sind.

Zumal es nicht bei Feis Ringen um Selbstachtung und Selbstakzeptanz bleiben wird: »Moneyboys« ist der erste Teil einer Trilogie, die dem Themenkomplex »China und die Prostitution« zwar treu bleibt, aber dafür immer weitere Kreise zieht. Der Nachfolger »Purelands« wird in Paris spielen – Yi teasert ihn bereits auf Instagram an.

»Moneyboys«: Österreich/Belgien/Frankreich/Taiwan 2021. Regie und Buch: C.B. Yi. Mit: Kai Ko, Chloe Maayan, Yufan Bai, JC Lin. 120 Min., jetzt im Kino.

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