Feminismus im Testosteronbad

Die Serie »Blocco 181« ist Shakespeares »Romeo und Julia« im Stil von »4 Blocks«. Aber es geht auch um weibliche Emanzipation

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 4 Min.
Immer feste druff: Wenn der Mann mal Gefühle zeigt, sind sie im Mailänder Plattenbau meist von herber Natur.
Immer feste druff: Wenn der Mann mal Gefühle zeigt, sind sie im Mailänder Plattenbau meist von herber Natur.

Initiationsrituale, literaturkundige Zuschauer ahnen das spätestens seit Musils »Verwirrungen des Zöglings Törleß«, gehen nur selten mal schmerzfrei vonstatten. So qualvoll jedoch wie im »Blocco 181« sind sie jenseits von Männerbünden wie der Bundeswehr wohl nur am Spielort des gleichnamigen Sky-Dramas: Am Rande einer mitteleuropäischen Großstadt, wo sich italienische Ureinwohner und zugezogene Latinos um ein paar verwahrloste Häuserblöcke streiten, als seien es Königreiche.

Hier also, unweit der Luxusviertel und Laufstege Mailands, wird ein Junge zum Staffelauftakt von sechs, sieben Schlägern so brutal misshandelt, dass man am Bildschirm intuitiv einschreiten möchte – was allerdings keinesfalls im Sinne des augenscheinlichen Opfers wäre. Denn Pulgo, so heißt es, ist absolut einverstanden mit seiner Tracht Prügel, die jemand herunterzählt wie im Boxkampf. So lauten schließlich die Regeln im Ghetto.

Weil er zur Misas genannten Gang gehören will, lässt Pulgo ihr Initiationsritual folglich klaglos über sich ergehen, kriegt anschließend sogar den Belohnungskuss der schönen Bea und setzt so den Sound einer achtteiligen Fiktion, die gelegentlich zwar etwas für Romantiker sein will, aber definitiv nichts für zarte Gemüter ist. Das Blutbad unter Eingeborenen und Zuwanderern der norditalienischen Metropole erinnert da kaum zufällig an ein deutsches Format von ähnlicher Brutalität: Giuseppe Capotondis Serie ist offensichtlich ein Remake von Marvin Krens Neuköllner Kieztragödie »4 Blocks«.

Sowohl Bild- als auch Tonsprache von Musikvideo-Regisseur Dario Bonamin stehen dem Original in nichts nach. Pulgos leidvolles Ticket zur Unterwelt bildet schließlich nur den Auftakt einer epischen Fehde um Macht und Liebe, Geld und Geltung, die noch weitere Vorbilder hat als das deutsche. Romeo und Julia vor allem. Wie in Shakespeares spätmittelalterlichem Verona bekämpfen sich in Capotondis spätkapitalistischem Milano zwei Clans bis aufs Blut, von denen jeweils ein Mitglied das Spiel der prinzipiellen Rivalität nicht mehr mitmachen will.

Die eigensinnige Bea (Laura Osma), Schwester des inhaftierten Misa-Chefs Ricardo, verliebt sich in den italienischen Dealer Ludo (Alessandro Piavani) und dessen Freund Mahdi, der Ricardos Stellvertreter Victor (Sergio Andrade) schon deshalb ein Dorn im Auge ist, weil er die rechte Hand des Blockverwalters Rizzo (Alessio Praticò) ist und damit ein Konkurrent im eigenen Wohnzimmer. So nimmt eine Ménage-à-trois ihren Lauf, die bei aller ästhetisierten Gewalt höchst erotisch aufgeladen ist; im Gegensatz zu Romeo und Julia aber weit weniger reaktionär.

Ungeachtet ihrer telegenen Optik verkörpert Bea in testosteronstrotzender Umgebung nämlich das weibliche Ringen um Empowerment genannte Selbstermächtigung. »Wäre dein Freund angepisst, wenn du mit mir tanzt?«, fragt Ludo am Ende des ersten Teils im Club. »Nein«, antwortet Bea, »und deiner?« Dank solcher Dialoge wird die radikalisierte »Westside Story« für Fans gewaltverherrlichender Serien von den »Sopranos« über »Breaking Bad« bis »Narcos« geradezu feministisch. Zumindest ansatzweise.

Denn auch dieser soziokulturelle Clash der Subkulturen zelebriert fast ohne Unterlass Männlichkeitsfetische. Ständig schlagen halstätowierte Alpharüden mit irgendetwas aufeinander ein, bis das Blut hoch auf die Madonnenstatuen an praktisch jeder Ecke Mailands spritzt. Obendrein geschreddert vom Soundtrack des italienischen Rappers Maurizio Piscottu alias Salmo, der sich wie sein deutscher Kollege Wasiem Taha alias Massiv in »4 Blocks« ein wenig selbst darstellen darf, reduziert sich »Blocco 181« bisweilen zur losen Folge derber Hip-Hop-Clips. Klingt oberflächlich, macht aber nichts.

Mit Filmen wie »The Burnt Orange Heresy« hat sich Regisseur Capotondi längst von seiner Musikvideo-Vergangenheit emanzipiert, ohne deren rasante Schnitt- und Beatfolge zu vergessen. Das macht »Blocco 181« trotz und wegen der ausgestellten Grausamkeit zur hochinteressanten Serie für die Generationen MTV und Netflix gleichermaßen – und kommentiert nebenbei ein atavistisches Prinzip der Rache für die Rache an der Rache kritisch, das aufgeschwemmte Männlichkeitsfetischisten von Putin über Orbán bis Trump gerade ins postheroische Zeitalter retten. Und ohne zu viel zu verraten: Bea ist nicht der Typ Frau, die am Ende den Giftbecher trinkt. Dafür wirkt sie zu modern. Moderner jedenfalls als überkommene Initiationsrituale.

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