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Kleiner Kiesel, wo geht’s lang?
Noch wilder und weicher: The Düsseldorf Düsterboys bleiben eine faszinierende Band
Die Düsterboys sind jetzt noch wilder und weicher. Noch abstrakter und intimer. Auf ihrem neuen Album »Duo Duo« bleiben sie eine der faszinierendsten deutschen Bands. Ernst und albern, schwierig und einfach zugleich. Was wurde sich nicht über solche Formen des Dualismus lustig gemacht. Diese ganzen Gegensätze seien doch nur pseudo, so wie SPD und CDU, Adidas und Puma, Cola und Fanta. Irgendwie derselbe Kram. Aber es gibt Gegensätze, die gelten immer: arm und reich, oben und unten, dumm und klug. Und es gibt The Düsseldorf Düsterboys. Das sind zwei Musiker: Peter Rubel und Pedro Goncalves Crescenti. Beide singen, so wie Simon & Garfunkel. Und zwar sehr harmonisch und schön.
Doch dieses Duo steckt voller Überraschungen. Die Düsterboys kommen nicht aus Düsseldorf, sondern aus Essen. Kennengelernt haben sie sich vor langer Zeit, auf der Schule in Mainz. Und eines ihrer bemerkenswertesten Lieder heißt »Teneriffa«, aber nur aus dem Grund, weil das besser klingt als zum Beispiel »Mallorca«. Weder Rubel noch Crescenti waren jemals dort, doch hört man ihr Stück, meint man, es würde so etwas geben wie ein ganz spezielles Teneriffa-Gefühl: »Man merkt erst, dass man weg muss, wenn man geht / Und bist du aus der Haut gefahrn / Dann hör dir mal die Beatles an / Oder, du gehst nach Teneriffa«. Von dem Lied gibt es wiederum zwei Videos, einmal mit den Düsterboys, einmal mit zwei Frauen, die rückwärts tanzen. Sehr charmant und lustig.
Wer nach Teneriffa geht, der soll ungefähr dahin gehen, wo der Pfeffer wächst. Über diesen »Pfeffer« haben Rubel und Crescenti auch ein Lied gemacht: »Wo der Pfeffer wächst / Da muss ich hin / Wo die Welle bricht / Wo die Krawatte sticht«. Sie singen das aber nicht als Düsterboys, sondern als International Music, denn diese zwei Männer haben zwei Bands. International Music ist ein bisschen rockiger und hat auch noch einen dritten Mann: Joel Roters, ein bildender Künstler, der Schlagzeug spielt.
Peter Rubel unterscheidet die beiden Bands so: »Was mehr Sixties Folk ist und in eine lyrische Richtung geht, ist eher Düsterboys, und alles, was mehr Drive hat und in Richtung Krautrock geht, ist International Music.« Crescenti hat im Frühjahr dem Veranstaltungsmagazin »Frizz« gesagt: »In den Sechzigern klang vieles eher warm und in den Achtzigern das meiste kalt. Das ist eine Kombination, die wir spannend finden.«
Man könnte es auch so formulieren: Die Düsterboys sind sanfter und erinnern an klassischen Folkrock der späten 60er und frühen 70er Jahre wie von den Byrds oder Pentangle, bittersüß grundiert wie Simon & Garfunkel. International Music ist dagegen dunkler und ausfransender, wie die frühen The Jesus and Mary Chain. Wollte diese britische Band vor 40 Jahren so klingen wie die Beach Boys vor 50, dann haben das International Music nun endlich geschafft. Zwar sind die Düsterboys die ältere Band, aber International Music haben ihre erste Platte früher gemacht: »Die besten Jahre« (2018), »Nenn mich Musik«, das erste Album der Düsterboys, erschien erst 2019.
Die Songs beider Bands sind penibel arrangiert, was auch daran liegt, dass Peter Rubel in Essen Komposition studiert. Sie wirken melancholisch, tief und sehr sensibel. Aber sie sind auch sehr listig und lustig, wenn man sich auf Youtube die unglaublichen Videos dazu anschaut: In dem zu »Pfeffer« laufen Rubel/Crescenti in Kutten mit Papiertüten auf dem Kopf in einer alten, kaputten Turnhalle herum, in den Händen Töpfe mit Petersilie und Schnittlauch. Das ist also das Land, »wo der Pfeffer wächst«, eine Topfpflanzen-Hölle. Zu »Oh, Mama« irren sie zu Fuß in einer Reithalle herum, und in »Alkoholgedanken« sitzt eine animierte Pappfigur am Papptischchen vor einem Pappbier.
Auch sehr gut: »Kaffee aus der Küche«, eine Prösterchen-Party in verblichenen Polaroid-Farben, sieht so aus, als wäre es ein Filmchen aus der Zeit, als Oma noch jung war. Diese Art von Filmhumor hat etwas von den Super-8-Scherzen des Performance-Trios Die Anarchistische Gummizelle aus den frühen 80er Jahren oder von »Dr. Muffels Telebrause«, den Fernsehwitzen der »Pardon«-Leute aus den 70ern, die sie im Hessischen Rundfunk machten, bevor sie »Titanic« gründeten.
Der eigentliche Witz bzw. die Crux besteht aber in der großen Kunst von Rubel und Crescenti, ihre Songs komplex und tief empfunden wirken zu lassen, als wären es abgeschlossene melodramatische Erzählungen. Das denkt man, wenn man sie hört. Die Songs auf der neuen Platte heißen zum Beispiel »Stars/Sternchen«, »Gangster« oder »Lavendeltreppen«. Sie singen anscheinend über »Füße« oder fragen: »Kleiner Kiesel, wo geht’s lang?«. Diese Stücke haben Liedstrukturen mit Refrains, doch sie erzählen keine Geschichte wie ein normaler Popsong, sondern bestehen aus reinen Assoziationen und Fragmenten, die vor allem gut klingen. Und logisch, Scherze müssen ernst vorgetragen werden: »Ab und zu / Schau ich mir selbst beim Kochen zu / Und was es gibt? / Naja, ich mach so gern Musik«.
Was ist der Trick dabei? Rubel: »Ich will daran glauben, dass man es schaffen kann, eigentlich persönliche Erfahrungen oder Gefühle oder Gedanken in einen Text zu bringen, der nicht zu konkret wird, sodass er eine Allgemeingültigkeit entwickeln kann. Und dass dann der Hörer und die Hörerin dazu eigene Gedanken haben können, die nicht unbedingt genau deckungsgleich sein müssen mit der eigenen Vorstellung.«
Trotzdem bricht sich in diesen Scherzen und Skizzen so etwas wie Erkenntnis und Interesse Bahn. Unter dem Unkonkreten lauert die Präzision, das wäre noch so ein Dualismus. Oder eine Soziologie in Parolenform, wie in dem Song »Cool bleiben« von International Music, in dem das Elend des Spätestkapitalismus klar umrissen wird: »Frauen müssen geil sein / Männer müssen cool sein / Jobs müssen Geld bringen / Männer müssen geil sein / Jobs müssen cool sein / Frauen müssen Geld bringen / Jobs müssen geil sein / Frauen müssen cool sein / Männer müssen Geld bringen«.
Das alte Diktum von Horkheimer und Adorno, dass in der Kulturindustrie für jeden etwas vorgesehen sei, erscheint bei International Music in kindlicher Frageform: »Mama, warum? / Bekomm’ ich’s immer so / Wie ich es bestellt hab?« Übrig bleibt nur die »Kneipe« als idealerweise halbwegs freier Raum: »Dieser Ort ist ohne Zweifel, Honey, eine wunderschöne Bar / dieser Ort ist gut zum Scheitern / dieser Ort ist gar nicht da.« Das Lied »Kneipe« spielen beide Bands, langsam (Düsterboys) und schnell (International Music). Und es ist tatsächlich wunderschön.
Ich erzähle Rubel, dass ich in den 90er Jahren mit dem späteren Musiker und Konzeptkünstler Ekkehard Ehlers im Rhein-Main-Gebiet Platten aufgelegt habe. Wir spielten Blues, Techno und Soul – hintereinander, weil wir den Kontrast gut fanden, so wie es auch John Peel im Radio machte. Die Verbindung zwischen den Songs und Tracks war für uns eine gewisse Wehmut, die wir in diesen zu erkennen glaubten. Man kann auch hedonistische Disco-Musik von Chic oder MFSB für depressiv halten – je mehr man getrunken hat. Wir nannten es »Beat Tristesse«. Auf Nachfrage behaupteten wir, das sei »Musik für traurige Studenten und lustige Alkoholiker«.
Rubel meint, ja, hm, da sei schon das ganze Spektrum, das man sich zu dem Song »Kneipe« vorstellen kann: »Es hat eine Tragik, aber auch eine Schönheit in der Tragik. Es hat auch etwas von Sich-aus-der-Welt-Rausnehmen. Der Rausch ist Grundbedürfnis, aber auch Gefahr.« Was ihn stört, ist, dass die meisten Medien immer nur mit diesem Lied ankommen, sie haben doch noch viel mehr! Gleichwohl heißt auf »Duo Duo« das letzte Lied »Pegel«, und das davor »Adieu, Adieu«: Ein Lied aus dem 16. Jahrhundert des englischen Komponisten William Cornish, aus dem die Düsterboys ein Samba-Stück gemacht haben. Man könnte sogar dazu tanzen. Sonst wird sich bei den Düsterboys eher sanft gewiegt.
Ich frage Rubel: Wie sieht für die Düsterboys ein ideales Konzert aus? »Leere Bühne. Pedro und ich. Wir spielen.« Und das Publikum? »Zuhören ist gut.«
The Düsseldorf Düsterboys: »Duo Duo« (Staatsakt/H’Art). Tour: 8.10., Essen, Zeche Carl; 11.10., Hamburg, Kampnagel; 12.10., Berlin, Lido; 13.10., Köln, Kulturkirche; 14.10., Hannover, Cafe Glocksee (wird im November fortgesetzt).
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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