Das Genie als Produktivkraft

»›Als man begriff, daß er unschlagbar wär‹ – Hacks und Goethe«: An diesem Wochenende findet in Berlin die 15. Peter-Hacks-Tagung statt

  • Marlon Grohn
  • Lesedauer: 4 Min.
Genies überdauern: Lebendmaske des Weimarer Klassikers Goethe
Genies überdauern: Lebendmaske des Weimarer Klassikers Goethe

Mit dem Verhältnis des Dramatikers Peter Hacks zu Johann Wolfgang Goethe ist es wie mit dem von Marx zu Hegel oder von Arno Schmidt zu Edgar Allan Poe: Sie traten mit ihrem Vorbild in einen lebenslangen Dialog und entwarfen ein kollegiales Arbeitsverhältnis über die Epochen hinweg. Wo es der Gegenwart an geeigneten Gesprächspartnern mangelt, halten sich die Genies an die Älteren und schöpfen aus diesem Verhältnis ihr Werk.

Wie Goethe der wesentlich von ihm selbst ins Werk gesetzten deutschen Klassik sowie dem Herzogtum Weimar mit seinem literarischen Genie als Produktivkraft beistand, migrierte Peter Hacks in den 50er Jahren von der BRD in die DDR, um dem jungen sozialistischen Staat als ebensolche zu dienen. Darüber schrieben sie auch: Inwieweit das Genie, als welches sich beide sahen, eine Produktivkraft für eine ihm angemessene Gesellschaft sein kann, zieht sich von Goethes „Wilhelm Meister»-Romanen bis zu Hacks’ Essaysammlung „Das Poetische».

Auf niemanden – selbst nicht auf Marx – beruft sich dabei Hacks so oft wie auf Goethe, selten wird dieser heute wieder so lebendig wie im Werk des sogenannten Goethe der DDR. Neben Georg Lukács war Hacks einer der wenigen Marxisten, die die dichterisch erlangten Erkenntnisse Goethes fruchtbar für die sozialistische Theorie und Praxis machten. So wird Hacks etwa anhand Goethes Haltung zur Französischen Revolution gelernt haben, dass man eine Revolution zwar wollen, aber nicht lieben sollte – womit sich Hacks als Revolutions-Notwendigkeitsfürsprecher von den bloßen Revolutions-Liebhabern deutlich unterschied.

„Ich bin», schrieb Hacks, „dem Wort Kritik gegenüber empfindlich. Ich kenne das Wort Verachtung, ich ehre das Wort Untersuchung, und ich liebe das Wort Bessermachen, aber das Wort Kritik will – kleberig, wie es, seit es von Schlegel bis Adorno durch so mancherlei Hände weitergereicht worden, ist – nicht mehr in meine Ohren.» Das dürfte seine Grundhaltung auch zum Sozialismus auf den Punkt bringen: Bei Hacks’ Beschäftigung und Erzeugung von Kunst in der DDR ging es ihm, ganz im Sinne Goethes, weniger um Aufstand oder Kritik als vielmehr um die politische wie künstlerische Konsolidierung und Gestaltung der frühen sozialistischen Phase, um ein Bessermachen – weswegen er seine Dramatik schon als „postrevolutionär» ausgab. Beide waren deshalb Klassiker, weil sie sich auf der Seite derer einfanden, die wussten, dass Produktivität und Können viel eher die Welt verbessern als die bloße Negation durch Kritische und Welt-Verwerfer.

Es war daher an der Zeit, dass die Peter-Hacks-Gesellschaft dem Verhältnis beider Dichter eine Veranstaltung widmet: Die 15. wissenschaftliche Peter-Hacks-Tagung wird an diesem Wochenende in Berlin unter dem Titel »›Als man begriff, daß er unschlagbar wär‹ – Hacks und Goethe« stattfinden. Bereits am Freitagabend gibt es im Rahmen der Tagung eine Lesung von Thomas Neumann aus Hacks’ Essay „Saure Feste» im Theater im Palais (Künstlerische Leitung: Jens Mehrle). Am Sonnabend werden wissenschaftliche Vorträge mit Diskussion im Magnus-Haus am Kupfergraben zu hören sein: Über „Heinrich Heine als Vermittler» referiert etwa Jürgen Pelzer, und Ralf Meyer fragt, inwiefern Hacks Goethe zu verbessern vermochte, als sich jener der Bearbeitung des „Pandora»-Festspiels annahm. 

Neben weiteren Beiträgen von Ralf Klausnitzer, Heinz Hamm, Felix Bartels und Heidi Ritter dürfte der Vortrag zweier Bochumer Studenten der Theaterwissenschaft, Marie Hewelt und Ruben Luckardt, von besonderem Interesse für die Einordnung von Hacks’ Goethe-Bild sein: Sie richten den Blick auf Goethes lebenslang wichtigste Freundin Charlotte von Stein und stellen die These auf, dass Hacks mit der landläufigen Ansicht nicht übereinstimmt, nach welcher der Stein ein dem großen Dichter untergeordneter Rang zukäme. Sie untersuchen dies näher anhand des Monodramas „Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe» und wollen zeigen, inwiefern Hacks die dichterischen wie politischen Qualitäten Charlotte von Steins schätzte.

Dass auf diesem Niveau über ein solches Thema nicht nur im akademischen Elfenbeinturm, sondern auch öffentlich nachgedacht wird (die Tagung wird live auf Youtube gestreamt und kann dort kommentiert werden), lässt auf eine breitere Beschäftigung mit Peter Hacks in der Zukunft hoffen. Wer heute von Hacks spricht, kann man sagen, der muss auf Goethe zu sprechen kommen. Die Frage ist, wann die Zeit kommt, in der, wer von Goethe spricht, auch von Hacks sprechen muss.

Lesung: Freitag, 4. November, 19.30 Uhr im Theater im Palais, Am Festungsgraben 1.
Tagung: Sonnabend, 5. November, 10 bis 18 Uhr, Magnus-Haus, Am Kupfergraben 7, 10117 Berlin.
Das ausführliche Programm sowie der Livestream sind unter www.peter-hacks-gesellschaft.de abrufbar. Eine Anmeldung zur Tagung ist per Mail an tickets@peter-hacks-gesellschaft.de möglich.

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