Viele Versprechen, aber kaum Fortschritte

Klimaökonom Reimund Schwarze über den UN-Klimagipfel und das dominierende Thema der Finanzhilfen

  • Jörg Staude
  • Lesedauer: 5 Min.

Herr Schwarze, der Weltklimagipfel in Scharm El-Scheikh (COP27) galt lange als eine eher technische Veranstaltung. Es sollte darum gehen, das Pariser Klimaabkommen und die Beschlüsse von Glasgow 2021 zum Ausstieg aus fossilen Energieträgern umzusetzen. Inzwischen haben der Krieg gegen die Ukraine, die globale Energiepreiskrise und auch der sichtbar fortschreitende Klimawandel die Welt auf den Kopf gestellt. Welche Chancen hat die globale Kooperation im Klimaschutz überhaupt noch?
Lange Zeit galt Scharm El-Scheikh sogar nur als Zwischengipfel – nach dem Abschluss des Regelwerks zum Paris-Abkommen in Glasgow und vor der geplanten großen Bestandsaufnahme im nächsten Jahr in Dubai. Mit den bahnbrechenden Selbstverpflichtungen vor allem der Industrieländer in Glasgow hat COP 27 erst die Bedeutung bekommen, die ihr heute beigemessen wird. Die Welt schaut vor allem darauf, ob diese Versprechen eingelöst werden.

Um welche Versprechen geht es?

Interview

Reimund Schwarze ist Leiter der Abteilung
Klimaökonomie am Leipziger Helmholtz-
Zentrum für Umweltforschung. Zu seinen
Forschungsschwerpunkten gehören die euro­päische und internationale Klimapolitik.

Die Staaten hatten sich darauf geeinigt, sich schneller von der Kohleverbrennung zu verabschieden und die Klimaziele für 2030 bereits zum Gipfel in Scharm El-Scheikh nachzuschärfen, um die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Bis 2023 wollen die Industrieländer auch ihr Versprechen einlösen, für den Klimaschutz in ärmeren Ländern jährlich 100 Milliarden US-Dollar zu mobilisieren. Die Kriege und Krisen dieses Jahres haben die Umsetzung dieser Beschlüsse definitiv schwerer gemacht. Ich sehe hier so gut wie keine Fortschritte. Die Stagnation betrifft aber nicht den Kern der internationalen Klimaverhandlungen. Diese werden routiniert weitergehen. Das war schon beim letzten großen Zwischengipfel 2016 in Marrakesch so, bei dem es ein »Störfeuer« namens Donald Trump gab. Dass es dazu in Scharm El-Scheikh nicht kommt, dafür wird ein routinierter »Krisenretter« aus dieser Zeit sorgen – John Kerry, der frühere Außenminister und jetzige Klima-Sonderbeauftragte der US-Regierung.

Was sind für Sie die wichtigsten Probleme, die gelöst werden müssen, damit der Gipfel als erfolgreich gelten kann?

Bestimmendes politisches Problem wird das Thema »Loss and Damage« sein, also die finanzielle Unterstützung der von klimabedingten Verlusten und Schäden heute schon am stärksten betroffenen Länder. Die zuständige deutsche Staatssekretärin Anna Lührmann sagte deshalb, Scharm El-Scheikh müsse »eine COP der Solidarität« werden. Die Klimakrise treffe zwar alle, aber gerade die ärmsten Länder der Welt seien besonders betroffen. Und diesen müssten die Staaten, die diese Krise vor allem verursacht haben, auch entsprechend unter die Arme greifen. Dazu gilt es, einen Sonderfonds auf UN-Ebene zu schaffen, der Betroffenen wirksam hilft und außerdem künftige Schäden verringert und vermeidet. Dafür gibt es bereits Vorschläge, auch aus der Wissenschaft. Eine gegenüber der humanitären Hilfe gut abgegrenzte Form wäre zum Beispiel die Schaffung eines Fonds für schleichende Klimaschäden – etwa für die wachsende Zahl der Menschen, die aufgrund von Wasserstress (Pflanzenschädigungen durch Wassermangel, d. Red.) ihre bäuerliche Existenz aufgeben müssen und auf der Suche nach Arbeit in die Slums der Großstädte abwandern. Hier ginge es also auf UN-Ebene um einen Mechanismus für den gerechten Übergang für die klimabedingte Binnenmigration. Ein anderer Vorschlag wäre die Schaffung eines Hilfsfonds für langfristig angelegte Maßnahmen des Wiederaufbaus nach Naturkatastrophen wie die Sanierung von geschädigten Ökosystemen oder die Wiederherstellung von Kulturdenkmälern.

Wie soll dies finanziert werden?

Die Gelder dafür müssen noch gefunden werden. Das ist schwierig in dieser krisengeplagten Zeit, sollte jedoch keine unüberwindliche Hürde darstellen. Besondere Probleme könnte es aber mit sich bringen, »Loss and Damage« in die bestehenden Mechanismen und Verfahren des Paris-Abkommens einzubetten. Ich rechne hier anfangs mit Streitigkeiten über das Was, Wie und Wann der Verhandlungen in Scharm El-Scheikh, die möglicherweise erst mit dem Erscheinen der Umweltminister*innen in der zweiten Woche der Konferenz konstruktiv gelöst werden können.

Wer kann jetzt der Motor sein, der den Prozess des globalen Klimaschutzes wieder voranbringt? Die USA? Europa? China?

Ich rechne mit den USA. Die Klimaschutzgesetze, die dort in diesem Jahr auf den Weg gebracht wurden, können sich – wie auch die bereitgestellten Finanzmittel – unbedingt sehen lassen. Eine wichtige Rolle in Scharm El-Scheikh werden auch Deutschland und die EU spielen. Ich erwarte nach den jüngsten Booster-Beschlüssen zum EU-Klimaschutzpaket »Fit for 55« – darunter das Bekenntnis auch von Deutschland zum Verbrenner-Aus bis 2035 –, dass die EU ihre freiwilligen Zusagen zum Klimaschutz aufstockt. Ob sich das Versagen an anderer Stelle, zum Beispiel beim bisher gescheiterten Stopp der Finanzierung fossiler Energien im In- und Ausland, damit übertünchen lässt, wird vom Kommunikationsgeschick von EU-Klimakommissar Frans Timmermans abhängen. China sehe ich eher in einer Reservehaltung. Hier gibt es gravierende Fehlentwicklungen bei der Kohle. Zudem ist die Bereitschaft zur Kooperation mit den USA und Europa gerade auf einem Tiefpunkt angelangt.

Sind in Scharm El-Scheikh angesichts der Kriege und Krisen ähnlich viele Klimaschutz-Ankündigungen und -Beschlüsse wie in Glasgow überhaupt zu erwarten?

Nein, das sicher nicht. Dazu hätte die ägyptische Präsidentschaft den Gipfel intensiver vorbereiten und international diplomatisch aktiv werden müssen. Mir scheint, das Gastgeberland sieht sich vor allem in einer Verantwortung für einen »afrikanischen Gipfel«. Deshalb kümmerte sich die Präsidentschaft nur um die »Great Green Wall« – die Schaffung eines 8000 Kilometer langen grünen Landschaftsstreifens quer durch den Kontinent – sowie um Finanzhilfen und »Loss and Damage«.

Die Schwerpunkte so zu setzen, ist aber auch ihr gutes Recht. Alle Industrieländer, auch Deutschland, tun sich gerade schwer, ihre Finanzierungszusagen für die ärmeren Länder einzuhalten. Die schon lange bestehende 100-Milliarden-Zusage für Hilfen beim Klimaschutz und Anpassungsmaßnahmen ist immer noch nicht erfüllt. Welche Erfolgschancen hat der Gipfel hier kann er an der Finanzfrage sogar scheitern?

An Finanzdebatten ist meines Wissens noch kein internationaler Gipfel gescheitert. Solange die Verhandlungen einen Vorteil für alle bringen können, wird es möglich sein, sich auf einen Schlüssel für die Lastenverteilung zu einigen. Erst wenn nichts mehr für alle zu gewinnen ist, können Finanzfragen zum Scheitern von Verhandlungen führen. Von diesem Punkt sind wir noch weit entfernt. Ich bin daher optimistisch, was die Finanzdebatten auf diesem Gipfel angeht. 

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