Nicht zittern und nicht zagen

»Mehr Sauerstoff ins Hirn« war das Motto der Zeitschrift »Pardon«, die endlich in Frankfurt am Main mit einer großen Ausstellung gewürdigt wird

Frauen »kamen im Blatt vorwiegend in entkleideter Form vor« (Elsemarie Maletzke) und auf fast jedem zweiten Titel
Frauen »kamen im Blatt vorwiegend in entkleideter Form vor« (Elsemarie Maletzke) und auf fast jedem zweiten Titel

Bis Ende der 60er war in Westdeutschland »überall CDU«, wie Arno Schmidt in den 50er Jahren notiert hatte. Es herrschte ein Ordnungs- und Anstandsregime, bei dem sich für die linksliberale Intelligenz die Frage stellte, was daran eigentlich postfaschistisch sein sollte. 1952 hatte Bundeskanzler Konrad Adenauer erklärt, »dass der gute Ruf und die großen Leistungen des deutschen Soldaten, trotz aller Schmähungen während der vergangenen Jahre, in unserem Volke noch lebendig sind und es auch bleiben werden.«

Die Kommunisten wurden verboten, SPD und Gewerkschaften nicht. Doch es gab die Pressefreiheit, wer die nicht hat, ist eine Diktatur. Und ab August 1962 gab es »Pardon«. Man könnte meinen, ein etwas lascher Titel für eine satirische Monatszeitschrift aus Frankfurt am Main, doch es war dies die Zeit, als das Scherzen noch geholfen hat – im bornierten, spießigen CDU-Staat. Weil man doch immer so viel Respekt entwickeln sollte, vor den Autoritäten in Familie, Schule, Politik und Kultur. Als wäre Westdeutschland kein Staat, sondern eine riesige Behörde.

Die Macher von »Pardon« wollten nun »mehr Sauerstoff ins Hirn« bringen, erklärten sie bei der Gründung, denn »die Methode der Fäusteschüttelns in der Satire« sei veraltet. Deshalb war das Logo der Zeitschrift ein Teufel, der den Hut zieht, entworfen von F. K. Waechter.

Dieser Ansatz war gleich im ersten Heft erfolgreich. Eine Zeichnung zeigte einen altertümlichen Trambahnwagen, in dem sich nackte Menschen berühren und küssen, gelenkt von einem Teufel. Darunter stand: »Eine Straßenbahn namens Sehnsucht«. Das empfand der katholische »Volkswartbund« aus Köln als »offensichtlich schwer jugendgefährdend« und erstattete Strafanzeige. »Pardon« war in den Medien Thema und druckte gleich mal 25 000 Exemplare nach. In der lange Zeit bleiernen BRD wurde sie zur wichtigsten oppositionellen Zeitschrift neben »Konkret«. Unter dem Titel »Teuflische Jahre« wird sie nun endlich im Frankfurter Caricatura Museum mit einer großen Ausstellung gewürdigt.

In den 60ern machte man sich lustig über den dementen Bundespräsidenten Heinrich Lübke (CDU) und den selbstgefälligen Schnurrbart-Schriftsteller Günter Grass (SPD). In der Redaktion begannen der Enthüllungsjournalist Günter Wallraff und die Ur-Feministin Alice Schwarzer ihre Karrieren – und vor allem die Genies der Neuen Frankfurter Schule, Robert Gernhardt, F.K. Waechter und F.W. Bernstein.

Später starteten hier Otto Waalkes (als Titelheld 1978) und die Zeichner Brösel und Seyfried. Frauen allerdings »kamen im Blatt vorwiegend in entkleideter Form vor«, wie die Ex-Redakteurin Elsemarie Maletzke im Katalog zur Ausstellung anmerkt: auf fast jedem zweiten Titelbild, ähnlich wie bei »Konkret« unter Klaus Rainer Röhl und Ulrike Meinhof. Deshalb fand es »Pardon« witzig, wenn sich auf einem Cover die Redakteure auszogen und die einzige Frau angezogen blieb.

»Pardon« erschien bis 1982 in ihren Hochzeiten mit einer Auflage von 300 000 Stück. Die Zeitschrift war die Mutter von »Titanic«, deren Erfinder gegen den Vater von »Pardon« rebellierten, den Verleger Hans A. Nickel. Er war Chefredakteur und Alleinentscheider. Dauerhybris als Geschäftsmodell, dabei kam er ursprünglich aus der antimilitaristischen Bewegung. Nickel nervte seine besten Künstler und Autoren so lange, bis sie sich 1979 abspalteten und »Titanic« als das »endgültige Satiremagazin« gründeten. Aus Notwehr, denn Nickel hatte erstmals einen langen Text selbst verfasst und der war leider ernst gemeint. »Kein Witz: Ich kann fliegen« war im November 1977 die Titelgeschichte über das »Yogi-Fliegen«, beziehungsweise das Hüpfen im Schneidersitz, das eine indische Sekte propagierte, die Nickel begeisterte. »Da war nichts mehr zu retten, weder das Blatt noch sein Macher«, bilanzierte Robert Gernhardt 1982 in »Titanic«, als »Pardon« eingestellt wurde. Die letzten beiden Jahre war es mit dem Kabarettisten Henning Venske an der Spitze glücklos im Konkret-Verlag erschienen, an den Nickel es verkauft hatte.

Mit seinen Yogi-Flugversuchen wollte Nickel von der Esoterikwelle profitieren und ihren kleinbürgerlichen Anstrengungen, sich selbst heilen, beziehungsweise optimieren zu wollen, wenn sich der Kapitalismus, anders als in der Studentenrevolte angenommen, als unheilbar erweist. Diese Verfallsgeschichte der 68er dokumentierte Chlodwig Poth in seiner »Pardon«-Comicserie »Mein progressiver Alltag«. Dabei hatte Rudi Dutschke unter dem Titel »Besetzt Bonn!« 1967 im Heft ein »Aktionsprogramm für eine Umwandlung der Gesellschaft« vorgestellt, gegen die »Irrationalität und Unmenschlichkeit des Systems«. Und geradezu prophetisch, noch vor dem Entstehen der Ökologiebewegung, erschien im Januar 1972 ein doppelseitiges Foto, das man auch heute drucken könnte: Eine feine Abendgesellschaft tafelt am feierlich gedeckten Tisch, mitten auf einer Müllkippe. Bildunterschrift: »Was kümmert uns die Umwelt«.

In seiner besten Zeit präsentierte »Pardon« eine vielfältige politische Aktionskunst, die ebenso lustig wie spektakulär war, meist entwickelt von Gerhard Kromschröder und Nikolaus Jungwirth. Als »Bild« 1970 Steckbriefe von angeblichen Kriminellen veröffentlichte, die von den Lesern aufgespürt werden sollten, konterte »Pardon« mit einem Steckbrief von »Bild«-Chefredakteur Peter Boehnisch: »Jagen Sie diesen Mann!«, wegen seiner »Aufforderung zur Menschenjagd« und »Anstiftung zur Lynchjustiz«. Damit liefen Kromschröder und Jungwirth in die Hamburger »Bild«-Zentrale.

1971 gründeten sie eine vermeintliche Bürgerinitiative, die dann tatsächlich von der CDU bis zur NPD unterstützt wurde: »Bürger, schützt eure Banken«. Heute ist dieser Spruch Grundkonsens jeder Bundesregierung. Ebenso prophetisch wirkt das Titelbild in der Ölkrise von 1973: »Nicht zittern und zagen«, steht da neben einem eingemummelten SPD-Kanzler Willy Brandt, verbunden mit dem Appell »Deutsche, haltet durch! Wie wir die Energiekrise meistern können«. 1977 löst »Pardon« das Problem des Atommülls und fordert »Atommüll-Deponien in jedem Haushalt«, schließlich habe »jeder Mensch ein Recht auf seinen Atommüll!« Vielleicht kommt die Ampel-Koalition ja auch noch auf diesen Kniff?

Gerhard Kromschröder, der auch mal stellvertretender Chefredakteur war, hat die Frankfurter Ausstellung kuratiert, zusammen mit Till Kaposty-Bliss, dem Verleger des Ostberliner Traditionsblattes »Das Magazin«. »Teuflische Jahre« ist auch ein lokalpolitisches Lehrstück. »Es will mer net in mein Kopp enei, wie kann nor e Mensch net von Frankfort sei?«, fragte schon der republikanische Mundartdichter Friedrich Stoltze im 19. Jahrhundert. Mit Jungwirth schlug Kromschröder Liegestühle mitten im innerstädtischen Feierabendverkehr auf verstopfter Straße vor der Hauptwache auf, um Frankfurt als die »wahre Oase der Erholung« zu preisen, »interessanter als Bali, abwechslungsreicher als der Senegal«.

In der Ausstellung wird nun auch endlich für Auswärtige klar, warum in »Titanic«, die ebenfalls in Frankfurt produziert wird, bis heute jeden Monat unter dem Namen Hans Mentz (und mit einem verfremdeten Adorno-Foto) »Humorkritik« betrieben wird: Weil sich in der Gaststätte »Bei Mentz« im Frankfurter Nordend die »Pardon«-Redaktion zum Feierabend traf, 1973 verewigt von Eckhard Henscheid in seinem Roman »Die Vollidioten«. Die meisten »Pardon«-Leute wohnten damals im Nordend, wo sich auch das Redaktionsbüro befand (und mehrmals umzog). Deshalb verwundert es wenig, wenn Gernhardt, Waechter und Bernstein die grandiose Nonsens-Doppelseite »Welt im Spiegel« (WimS), die von 1964 bis 1976 dem Heft beilag, als Persiflage einer Regionalzeitung anlegten, mit Schwachsinnsmeldungen, einem Redaktionsboten und den Abenteuern eines Nilpferds mit Brille namens Schnuffi. »Sinnverlust ist Lustgewinn« hatte der späte Bernstein gedichtet, davon ist heute kaum mehr die Rede, leider.

Bis zum 9.3., Caricatura Museum, Frankfurt am Main

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