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Weder rechts noch links

Querfront im Wutwinter? Um die neuen Proteste von Querdenken und Heißem Herbst zu verstehen, muss man bis ins Jahr 2001 zurückblicken

  • Daniel Keil
  • Lesedauer: 13 Min.

Als sich im Spätsommer 2022 die drohende Energiekrise und vor allem die explodierenden Energiekosten für den Winter abzeichneten, war schnell die Rede von großen Protesten oder gar »Volksaufständen« (Annalena Baerbock). Befürchtet wurde eine Querfront, ein aktives Bündnis rechter und linker Gruppierungen. Unter dem Motto »Heißer Herbst« würden sich »Linke und Rechte« für einen »Wut-Winter« warmlaufen, meldete etwa die »Welt«. »Der Spiegel« erkannte die erste Querfront-Demonstration, als sich eine sogenannte »Handwerkerdemo« des verschwörungsideologischen »Compact«-Magazins unter eine Friedenskundgebung aus dem Spektrum der Wagenknecht-Linken mischte. So wurde eine Gefahr für die Demokratie suggeriert, die sich angesichts von Inflation und Energiekrise in der Zange von zusammenarbeitenden Extremisten befände.

Wie üblich ist die bürgerliche Warnung vor der Querfront strukturiert durch die Extremismustheorie und die Gleichsetzung von links und rechts im Hufeisenmodell. Dabei ist die Rede von Extremisten eine Vereinfachung, die den Charakter vieler Proteste nur unzureichend erfasst und zudem einem Missverständnis aufsitzt: Die Extremismustheorie unterstellt nicht nur, dass Linke wie Rechte eine vergleichbare Bedrohung der bürgerlichen Mitte seien, sondern auch, dass es rechten Akteur*innen tatsächlich um soziale Fragen ginge. Es mag zwar stimmen, dass insbesondere die Querdenken-Demonstrationen der letzten Jahre ein diffuses Spektrum anzogen, das auch Teile aus vormals passiven oder alternativ-esoterischen Milieus umfasst, welche sich selbst eher progressiv einordnen würden. Aber auch hier ging es weniger um soziale Fragen, sondern um die spiritualistisch inspirierte Ablehnung von Rationalität.

Die aktuelle »Querfront« muss daher vor dem Hintergrund gewandelter Protestformen und -milieus begriffen werden, die aus einer multiplen Krisendynamik kapitalistischer Gesellschaften hervorgingen. Grundlegend kann der Einschätzung der Linken-Politikerin Kerstin Köditz zugestimmt werden, die jenes Phänomen als fortgeschrittene Anfänge einer uneinheitlichen »faschistischen Massenbewegung« benennt. Die Rede von der Querfront dient dieser Bewegung selbst als rechte Strategie, bei der weniger ein tatsächliches Bündnis entstehen soll, als vielmehr die nationalistischen und autoritären Fraktionen gestärkt werden. Und dafür liefern manche Akteur*innen linker Bewegungen und Parteien Anschlusspunkte. Ein Verständnis der realen Entwicklungen der Krisengegenwart kann jedoch dabei helfen, den autoritären Konzepten nicht auf den Leim gehen zu müssen.

Autoritärer Staat und »reines« Volk

Historisch sind alle Versuche einer Querfront gescheitert oder blieben zumindest marginale Phänomene. Trotzdem ist die Vorstellung der Querfront für die Ideengeschichte des Faschismus folgenreich. So etwa durch den 1911 in Frankreich gegründeten Cercle Proudhon. In dem Zirkel versuchten einige Royalisten, sich mit Syndikalisten zusammenzuschließen. Grundlage dafür war eine selektive Lektüre der syndikalistischen Vordenker Pierre-Joseph Proudhon und George Sorel, vor allem aber Nationalismus und der Kampf gegen die Demokratie, der mit völkischem Antikapitalismus verbunden wurde. So hieß es in einer Deklaration in der ersten Ausgabe der Zeitung des Zirkels, dass die Demokratie den Kapitalismus gebracht hätte und beides zusammen würde »die Nation, die Familie, die Sitte« auflösen, indem »die Gesetze des Blutes durch das Gesetz des Goldes ersetzt« werden würde.

Kapitalismus als Zersetzung von Nation, Familie und Sitte zu verstehen, ist bis heute Element rechtsautoritärer bis faschistischer Ideologie. Diese antisemitische Projektion ist im Prinzip das gesamte Geheimnis der faschistischen Version der sozialen Frage und eine zentrale Grundlage rechter Querfront-Agitation. Für die Weimarer Republik beispielhaft ist eine Rede des NSDAP-Politikers und Reichsorganisationsleiters Gregor Strasser vor Mitgliedern nationalsozialistischer Betriebszellen, in der er Sozialismus als »in die Tat umgesetztes Preußentum« bezeichnet. Das Verhältnis von Arbeiter und Unternehmer wäre ein universeller Gegensatz und nur durch eine »Parole« zu einigen, die stärker sei als der Gegensatz selbst: »Diese Parole ist die Rücksicht auf die Nation und die Volksgemeinschaft.« Marxismus, Liberalismus und »der Jude« würden diese Nation und Volksgemeinschaft existenziell bedrohen. Dagegen helfe nur »nationale Stärke und Ordnung im Inneren«.

Auch die Kampfgemeinschaft revolutionärer Nationalsozialisten, eine nationalsozialistische Kleinpartei in der Weimarer Republik, formulierte explizite Querfront-Bemühungen und forderte die »schroffe Ausgestaltung einer starken Zentralgewalt gegen alle einheitszerstörenden Bildungen staatlicher, parteilicher oder konfessioneller Art«. Gruppen wie diese und andere völkische, nationalrevolutionäre und nationalbolschewistische Zirkel entwarfen an anderer Stelle zur Selbstverortung das heute noch bekannte Hufeisenmodell. Sie verorteten sich selbst zwischen den Enden des Hufeisens – weder links noch rechts – und damit außerhalb der politischen Kategorien in einem mythischen Raum, in dem das »Volk« seiner eigentlichen Identität und Bestimmung nachkomme.

Querfront zeigt sich historisch daher vor allem als Versuch, Teile der Arbeiter*innenbewegung vom Marxismus zu lösen und über das Ticket der Nation in eine autoritäre Bewegung zu integrieren. Die zentrale Selbstverortung, nicht links und nicht rechts zu sein, zählt zum ideologischen Instrumentarium des Faschismus und wird bis heute von Neonazigruppen über die neue Rechte bis zu den sogenannten rechtspopulistischen Parteien gebraucht. In der vermeintlichen Artikulation der sozialen Frage durch rechte Akteur*innen geht es daher immer um semantische Verwirrung. Weder werden soziale Problemlagen analysiert noch tatsächliche Lösungen formuliert. Stattdessen geht es immer darum, mit der Linken um das Mobilisierungspotenzial der sozialen Frage zu konkurrieren, ihr also das »Kronjuwel abzujagen«, wie es Björn Höcke und Götz Kubitschek formuliert haben.

Die »neue deutsche soziale Frage« beträfe die »Verteilung des Volksvermögens von innen nach außen«, so der AfD-Fraktionsvorsitzende in Thüringen Höcke. Es geht also um eine nationale Einheit gegen äußere und innere Feinde. Dafür wird versucht, an nationalistische Teile anderer politischer Strömungen öffentlich anzuschließen. Nicht, weil ein Bündnis angestrebt werde, sondern weil es die Legitimität der eigenen Position erhöht. So heißt es in dem programmatischen Buch des neurechten Autors Benedikt Kaiser über Querfront, dass »jedwedes Querfront-Bemühen seitens einer ›Neuen Rechten‹ vergeblicher Liebesmühe gleichkäme«, es aber gelte, »durch eigene Themensetzungen und Profilierungen die Reste des linken antiimperialistischen Lagers anzuziehen oder aber überflüssig zu machen«. Kurzum: Bei der Querfront gewinnt nur die Rechte. Und das ist auch deren erklärte Strategie.

Linke Grenzgänger

In linken Bewegungen und Parteien gab es immer auch nationalistische Ausrichtungen, auf die diese Strategie zugeschnitten war. Umgekehrt findet sich bei Linken die Vorstellung, dass Wähler*innen faschistischer Parteien darin nur ihre Interessen und die soziale Frage ausdrückten und ins linke Lager zurückgeholt werden müssten. Schon 1993 traf sich beispielsweise die damalige PDS-Vorsitzende Christine Ostrowski mit Vertretern der rechtsextremen Vereinigung Nationale Offensive zur Diskussion. Mittlerweile ruft sie zur Wahl der AfD auf.

Ein anderes Beispiel ist die Gruppe Arbeiterfotografie Köln, die über antiimperialistische Motive zu verschwörungsideologischen Überzeugungen fand. Sie verbreiteten etwa die Annahme, Jörg Haiders Autounfall wäre ein gezieltes Attentat des Mossad gewesen. 2012 fuhren sie mit dem »Compact«-Chefredakteur Jürgen Elsässer, der einige Jahre zuvor die antisemitische »Volksinitiative gegen das Finanzkapital« ins Leben gerufen hatte, und einem FDP-Mitglied zu einer Solidaritätsreise in den Iran. Dort wurde die Gruppe sogar vom damaligen Präsidenten Mahmoud Ahmadinedschad empfangen, der vor allem durch Holocaustleugnung und Vernichtungsdrohungen gegenüber Israel von sich reden machte. Die Unterstützung autoritärer Regime und israelbezogener Antisemitismus waren hier zentrale Verknüpfungspunkte.

Seit einiger Zeit ist nun die Linkenpolitikerin Sahra Wagenknecht ins Zentrum rechter Querfront-Agitation gerückt. Während der Hochphase der Querdenken-Demonstrationen hoffte die NPD-Zeitschrift »Deutsche Stimme« darauf, dass sich Linke und Rechte gegen den »Hauptfeind« – dessen antisemitische Bestimmung als »entwurzeltes und kosmopolitisches Bürgertum« nur leicht chiffriert wurde – zusammenschließen. Illustriert wurde der Artikel mit einem Bild von Wagenknecht. Das »Compact«-Magazin sieht sie gar als »beste Kanzlerin« und eine »Kandidatin für Links und Rechts«, da sie das nationale Wohl der deutschen Wirtschaft in das Zentrum ihrer Agitation stellt. Auch ihr Ehemann Oskar Lafontaine und sein jüngstes Buch »Ami, it’s Time to Go!« wird dort in höchsten Tönen gelobt. Passend dazu veranstaltete »Compact« im November die Demonstration »Ami go home« in Leipzig.

Daran lassen sich bereits die zentralen Themen der rechten Querfront-Strategie erkennen: die nationalistische Umdeutung der sozialen Frage, antisemitische und antiamerikanische Motive, die häufig eine Ablehnung »des Westens« ausdrücken und damit etwa ein romantisch-mythisches Russlandbild verknüpfen. Diese Momente schließen direkt an historische nationalrevolutionäre und -bolschewistische Ideen an und bilden ein nationalistisch-rebellisches Framework.

Zugleich allerdings verdeckt der mediale Fokus auf einer vermeintlichen Links-Rechts-Querfront, dass rechte Strategien auch auf nationalistische Teile der Konservativen, der (Ordo-)Liberalen und auch der Sozialdemokratie abzielen. So geraten konservative Gruppen wie die Werteunion innerhalb der CDU oder die Denkfabrik R21 aus dem Blick, die ein »wokes Deutschland« als Feindbild an die Wand malen, über eine angebliche Cancel Culture lamentieren und damit Motive der heterogenen Rechten salonfähig machen.

Niedergang linker Proteste

Die Hufeisenbrille verschleiert daher rechte Strategien, indem sie nur auf linke Grenzgänger*innen fokussiert. Dass es dennoch derzeit offene Flanken von links gibt und rechte Akteur*innen Querfront-Wünsche wirkmächtig äußern können, liegt nicht zuletzt an der Neuzusammensetzung politischer Milieus in neuen Protestformen in der kapitalistischen Dauerkrise. Diese Intuition teilt auch der Baseler Soziologe Oliver Nachtwey, der die Querdenkenproteste und ihr Milieu beforscht. Er verortete jüngst den Beginn bei den Occupy-Protesten. Aus der falschen Beobachtung, dass linke Gruppen nicht partizipiert, sondern nur von außen die Bewegung als strukturell antisemitisch abgestempelt hätten, folgert Nachtwey, man habe die Aktivist*innen »im Grunde der rechten Drift ausgeliefert«. Die Vorstellung, dass linke Kritik an der Linken die Bewegung schwäche und damit die Rechten stärke, ist selbst ein weitverbreiteter Mythos.

Um die Entwicklungen von Protestformen und die derzeitige Schwäche der Linken zu verstehen, muss man bereits vor den Occupy-Protesten im Jahr 2001 ansetzen. Und zwar aufgrund von drei Entwicklungen: Erstens fand die globalisierungskritische Bewegung, die bis dato eine neue Stärke linker Sammlungsbewegungen angedeutet hatte, 2001 ihren Höhepunkt, als mehrere Hunderttausend Menschen in Genua gegen den G8-Gipfel demonstrierten. Zugleich markiert Genua einen Wendepunkt, der den Niedergang des Gipfelprotests und dieser Sammlungsbewegung einläutete. Die Protestierenden sahen sich mit einem militanten und von faschistischen Gruppen durchsetzten Polizeiapparat konfrontiert, der Carlo Giuliani erschoss und in Gewahrsam genommene Demonstrant*innen physischer und psychischer Torturen unterzog. Aus diesem Auftreten des Ausnahmestaats wurden aber keine langfristigen Konsequenzen gezogen und selbst die Diskussion blieb aus. So konnten auch Teile der Bewegung problematische Feindbilder einer Globalisierung als gegen die »Völker« gerichtete Handlungen überstaatlicher Akteure adaptieren. Ohne die gemeinsame Auseinandersetzung wurde linke Kritik an solchen Denkformen nur noch von kleinen, meist universitären, Gruppen formuliert.

Das zweite Ereignis war die Antirassismuskonferenz in Durban, die von NGOs dazu genutzt wurde, Rassismus vor allem mit dem Zionismus zu verknüpfen. Dies forcierte eine Verengung antirassistischer Arbeit, die kritische Auseinandersetzung mit verschiedenen Formen des Antisemitismus an den Rand drängte. Schließlich haben, drittens, die Anschläge vom 11. September zur Verstärkung regressiver Tendenzen geführt. Die Kritik an rassistischer Antiterror-Politik schlug dabei in eine Umdeutung islamistisch-autoritärer Kräfte in antiimperialistische Verbündete um, und Verschwörungsmotive um die Anschläge begannen sich weit zu verbreiten.

Die Euro- und Finanzkrise ab 2008, auf die auch die Occupy-Proteste reagierten, traf daher auf geschwächte linke Bewegungen, die in Teilen die komplexe globale Herrschafts- und Krisenstruktur in vereinfachenden, dichotomisierenden Konzepten fasste. Dennoch entwickelten sich neue Protestformen gegen die europäische Austeritätspolitik im Zuge der Krise, die etwa in Griechenland mit Syriza eine linke Partei an die Regierung brachten. Im Konflikt über die Austeritätsmaßnahmen mit der EU scheiterte Syriza, wodurch auch Hoffnungen von Anti-Austeritätsprotesten in anderen EU-Ländern getrübt wurden.

Aufbruchstimmung erzeugten dann die im sogenannten Arabischen Frühling genutzten Protestformen der Platzbesetzungen, die in europäischen Antikrisenprotesten adaptiert wurden. Insbesondere in Spanien wurden Platzbesetzungen der Indignados eine erfolgreiche Form neuer Protestnetzwerke. Während in Spanien konkrete Auswirkungen der Austerität im Fokus standen, wurde mit Occupy eine Form der Platzbesetzung praktiziert, die zentral die Finanzökonomie attackierte. Das Adressieren der globalen Herrschaftsstruktur als Finanzkapital zog auch antisemitische Gruppen wie damals das Zeitgeist-Movement an, das eine autoritäre Zukunftsvision mit verschwörungsideologischen Versatzstücken kombinierte. Sie konnten an das begriffslose Attackieren des Finanzkapitals anknüpfen. Aber anders als Nachtwey argumentiert, agierten viele radikale linke Gruppen auch als Teil der Occupy-Bewegung und versuchten in deren Sinne antisemitischen Tendenzen entgegenzuarbeiten. Nicht diese Kritik hat Menschen nach rechts driften lassen. Für die Bewegung hat es sich als größerer Schaden herausgestellt, dass linke Gruppen, um einer Massenmobilisierung willen, sich indifferent bis wohlwollend gegenüber antisemitischen Aussagen verhielten.

Neue Protestmilieus

Das Ergebnis einer solchen Indifferenz war 2014 bei den sogenannten Mahnwachen für den Frieden zu sehen. Organisiert wurden diese von Protagonist*innen aus dem weiteren Kreis selbsternannter Infokrieger. Aufhänger war die Annexion der Krim durch Russland, aber von Beginn an wurden alle denkbaren Verschwörungserzählungen präsentiert, und organisierte rechte Bewegungsunternehmer wie Ken Jebsen, Jürgen Elsässer oder Andreas Popp traten dort auf und vernetzten sich. Die vorgetragenen Friedenswünsche und die russlandfreundliche Ausrichtung sprach auch einen Teil des antiimperialistischen beziehungsweise linksnationalistischen Milieus an. Die Mahnwachen waren die erste Manifestation einer neuen Vermischung genuin rechter Akteur*innen, Esoteriker*innen, Friedensbewegten und Linksnationalist*innen.

Im Anschluss daran entfaltete vor allem Pegida eine große Wirkung, indem dauerhaft rechte Massenproteste initiiert und Demonstrationen in »Spaziergänge« umgedeutet wurden. Die Querdenken-Proteste im Zuge der Corona-Pandemie hatten darin ihre Vorläufer, und einige der zentralen Protagonisten von 2014 traten auch bei Querdenken wieder auf, wie etwa Ken Jebsen. Auch diese Proteste gegen die staatlichen Pandemie-Maßnahmen waren eine Mischung aus Esoteriker*innen, Impfgegner*innen und alternativen Milieus bis zu rechten Strömungen. Die Diffusität, die Selbstzuschreibung zu einem eher progressiven Milieu und das Protestieren im Namen eines demokratischen Widerstands machten eine Einordnung schwierig.

Doch bereits im Mai 2020 in Stuttgart war die inhaltliche Stoßrichtung sichtbar: Ken Jebsen behauptete dort, die deutsche Regierung würde nur Anweisungen der Weltgesundheitsorganisation befolgen, die wiederum von Bill Gates stammten, und das System sei damit nur eine »Demokratiesimulation«, gegen die Spiritualität als Lösung helfe. Währenddessen erklärte einer der Organisatoren, Bodo Schiffmann, in einem Interview seine Vision von Basisdemokratie: »Wir müssen uns als Organismus verstehen.« Die Vision der Demokratie besteht in einer Mischung aus mythisch-spirituellen bis zu völkischen Organismus-Vorstellungen, die sich schon bei den historischen Nationalrevolutionären und -bolschewisten finden lassen.

Die rechten Wutwinter- und Querfrontversuche knüpfen an diese Themen und Erfahrungen an. Sie bearbeiten trotz der Schlagworte von Inflation und Energiekrise keineswegs soziale Missstände, sondern stellen diese in den Dienst einer nationalistischen Agenda. Im Zuge der Demonstration »Zuerst unser Land! Leben muss bezahlbar sein!« im September in Erfurt wurden vorab zehn Punkte veröffentlicht, die ein Ende der Russlandsanktionen, ein Ende der Corona-Politik und »Keine Masseneinwanderung in das Sozialsystem« forderten. Die explizite Querfront-Demonstration »Ami go Home!« des »Compact«-Magazins zielte im Reichsbürgerjargon auf das Ende der angeblichen Besatzung Deutschlands. Ziel dieser rechten Querfront-Strategien ist nach wie vor die Einheit der Nation im Inneren zur Abgrenzung gegen ein Außen. Ein zentrales Motiv ist daher Souveränität, die zu einem der zentralen Brückenmotive zwischen verschiedenen rechten und esoterisch-alternativen Protestmilieus geworden ist.

Veränderte Kräfteverhältnisse

Diese neuen Protestmilieus sind aus einer kapitalistischen Krisendynamik heraus entstanden, in der grundsätzliche Fragen über das politische Zusammenleben wieder auf die Tagesordnung gesetzt wurden. Alte Konstellationen politischer Kräfte sind zerbrochen und vormals  passive Teile der Bevölkerung begannen sich neu zu orientieren. Diese Öffnung politischer Kampffelder führte dazu, dass esoterisch-irrationale, ebenso wie nationalistische und rassistische Vorstellungen ein größeres Gewicht erlangen konnten. Denn diese Politisierung in der multiplen Krise traf auf eine Linke, die sich durch die regressiven Tendenzen seit 2001 und dem Versäumnis, diese einer umfassenden Kritik zu unterziehen, geschwächt zeigte und den rechten Entwicklungen nur wenig entgegensetzen konnte.

Jeder Versuch, im Auftrieb rechter Kräfte auch Kapital für die Linke schlagen zu wollen, ist jedoch zum Scheitern verurteilt. Indifferenz gegenüber Verschwörungsideologien und nationalistischen Umdeutungen der sozialen Frage führen nur zu einer Stärkung rechter Bewegungen. Die tatsächlich autoritäre Entwicklung von Demokratie und Kapitalismus faschistoid-organizistisch zu reartikulieren bedarf der scharfen Kritik und nicht wohlwollender Indifferenz. Nicht die Kritik des Nationalismus schwächt linke Bewegungen, sondern die kritiklose Reproduktion nationalistischer Denkformen stärkt immer die Rechte. Die soziale Frage kann nur jenseits des Nationalen gelöst werden und dafür braucht es eine selbstkritische Bestandsaufnahme der Erfahrungen und Entwicklungen der letzten Jahrzehnte.

Den gegenwärtigen Desaster-Kapitalismus und seine autoritär faschistischen Verlängerungen – nicht zuletzt in Querfront-Bestrebungen – zu erfassen, hieße auch, alte Konzepte und Denkformen kritisch zu überarbeiten und gegebenenfalls hinter sich zu lassen, um antiautoritäre Praxen und Kräfte zu stärken und die notwendigen Konflikte um eine vernünftige Reproduktionsweise, die jenseits von Ausbeutung, Naturzerstörung und nationalistischer Gewalt liegt, zu führen.

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