- Berlin
- Immobilienpreise
Kein Trost für Mieter
Erheblicher Ansturm auf das Wohngeld in Brandenburg bereits im vergangenen Jahr
Es ist lange her, dass Brandenburg und auch Berlin als Länder mit relativ günstigen Mieten galten. Der Grundstücksmarktbericht in der Hauptstadtregion hatte seit 2010 und noch für das Jahr 2021 bei den Grundstücks- und Immobilienpreisen einen Zuwachs verzeichnet. Jahrelang hatten Geldanleger angesichts von Niedrigzinsen und den Unsicherheiten von Aktienbesitz auf die vermeintlich sichere Investition in Immobilien gesetzt. Die Folge waren Kaufpreise für Häuser und Wohnungen, die um ein Vielfaches über den zu erwarteten Mieteinnahmen lagen. Das war für den Vorsitzenden des Zentralen Gutachterausschusses Jürgen Kruse »nicht normal«. Das vergangene Jahr sprengte alle bisherigen Werte: Mit einem Plus von fast 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr gingen die Durchschnittspreise für Häuser, Doppelhäuser, Reihenhäuser und Bauland durch die Decke.
Eine durchschnittliche Immobilie kostete in deutschen Großstädten zuletzt so viel wie 28 Jahresmieten. Das hatte es zuletzt Mitte der 1990er Jahre gegeben. Der Traum vom Eigenheim wurde für viele Paare schwer erfüllbar. Wenn sie sich doch eins geleistet hatten, aber dann trennten, war die Immobilie so hoch bewertet, dass an ein Auszahlen des ausziehenden Partners durch den weiter dort Wohnenden nicht zu denken war und nur der Verkauf übrig blieb.
Sinkende Immobilienpreise erwartet
Jetzt scheint der Scheitelpunkt erreicht und es wird offenbar der Rückwärtsgang eingelegt. Laut Statistischem Bundesamt fielen die Preise für Wohnimmobilien im dritten Quartal 2022 um durchschnittlich 0,4 Prozent. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hält 2023 einen Rückgang der Immobilienpreise um bis zu zehn Prozent für möglich. Hatten die hohen Gewinnaussichten den Wohnungsbau auch in Brandenburg angetrieben, so zeichnet sich hier genauso eine Trendwende ab. Inzwischen sind die Baukosten vor allem wegen der explodierten Preise für Energie und Material so hoch geworden, dass geplante Bauprojekte abgesagt werden. Von seinen Schwierigkeiten deswegen berichtete im vergangenen Jahr ein Bauunternehmer, der sich auf Einfamilienhäuser spezialisiert hat, bei einem Bürgerdialog von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) in Bernau. Weil weniger Wohnraum hinzukommt, als Menschen nach Berlin und ins Umland ziehen, erwarten Experten weiter ansteigende Mieten.
Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) hatte sich auf die Fahne geschrieben, dass pro Jahr im Jahr 400 000 Wohnungen entstehen sollen. Realistisch sind Experten zufolge etwas mehr als 200 000. Dabei werden neu gebaute Wohnungen zu einem großen Teil zu den höchsten Preisen vermietet, sind also keine Option für die immer größere Zahl von Menschen, die bezahlbaren Wohnraum suchen.
Weil Wohnungen vor allem in Großstädten knapp bleiben, erwarten die Fachleute bei den Immobilienpreisen nun zwar ein Absinken der Preise, aber keine erdrutschartige Entwicklung, zumal Geldanleger keine attraktiven Alternativen haben. Denn auch wenn es für Sparguthaben wieder mehr Zinsen gibt, so liegt doch die hohe Inflation so weit darüber, dass sie die Wertsubstanz des Bargelds angreift, und bei Aktiengeschäften bleibt das Risiko von Einbußen bis hin zum Totalverlust.
Fast 19 000 Erstanträge auf Wohngeld
Mit der zum Jahreswechsel in Kraft getretenen Wohngeldreform wollte die Bundesregierung gegensteuern und den Kreis der Personen, die Anspruch auf diesen Zuschuss haben, deutlich erweitern. In Brandenburg stieg die Zahl der Anträge auf Wohngeld bereits im vergangenen Jahr. Es wurden 18 947 Erstanträge gestellt. Im Jahr 2021 waren es noch 13 157. Das geht aus der Antwort des Infrastrukturministeriums auf eine parlamentarische Anfrage der Landtagsabgeordneten Isabelle Vandré (Linke) hervor. Das aber dürfte erst der Anfang sein. Künftig sollen etwa dreimal so viele Haushalte Anspruch auf einen Mietzuschuss vom Staat haben wie bisher. Der durchschnittliche Wohngeldbetrag soll sich von rund 180 Euro auf 370 Euro pro Monat erhöhen.
Mit den Wohngeldanträgen befassen müssen sich die kommunalen Verwaltungen. Der
Geschäftsführer des Brandenburger Städte- und Gemeindebundes Jens Graf sprach von einer »immer größer werdenden Sorge«, denn die kommunalen Wohngeldstellen fühlen sich dem Ansturm nicht gewachsen. Besonders schwierig wird das aktuell im Falle der Landeshauptstadt Potsdam, wo ein vermuteter Hacker-Angriff die Kommunikation zwischen Rathaus und Bürgern erst einmal zum Erliegen gebraucht hat.
Indessen hat die kommunale Wohnungsgesellschaft Pro Potsdam die von ihr verlangten Nettokaltmieten bis Oktober 2023 eingefroren und sie beabsichtigt darüber hinaus, bis zum Jahr 2027 trotz gestiegener Kosten und höherer Zinsen für Kredite 2500 neue Wohnungen zu bauen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.