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Festakt für »Frankfurter Schule«: Ganz im Sinne Adornos

In Frankfurt wurde der 100. Geburtstag des Instituts für Sozialforschung offiziell gefeiert

Schiffbruch mit Spiegel. Die Kritische Theorie galt mal als aussätzig, mittlerweile ist die Gesellschaft so selbstverliebt, dass sie gerne den Spiegel vorgehalten bekommt.
Schiffbruch mit Spiegel. Die Kritische Theorie galt mal als aussätzig, mittlerweile ist die Gesellschaft so selbstverliebt, dass sie gerne den Spiegel vorgehalten bekommt.

Der Gesellschaft den Spiegel vorhalten, darum geht es laut Bekunden des Frankfurter Instituts für Sozialforschung der Kritischen Theorie. Und diese Aufgabe der radikalen Gesellschaftskritik sei heute wichtiger denn je, hieß es mit großem Einvernehmen bei der Festveranstaltung zum Auftakt des 100-jährigen Jubiläums des Instituts am 23. Januar 2023. Es waren Gäste aus der hessischen Landesregierung, der Stadt Frankfurt und Goethe-Universität geladen und gemeinsam erinnerte man sich der Tragweite der »Frankfurter Schule«, versicherte sich ihrer ungebrochenen Relevanz.

Auf den Tag genau 100 Jahre zuvor hatte der preußische Kultusminister die offizielle Gründung des Forschungsinstituts erlassen, das Felix Weil mit den Geldern seiner Familie als erste Forschungsstätte des wissenschaftlichen Marxismus stiftete. Von dort aus entspinnt sich die bewegte und vielfach erzählte Geschichte des Instituts: 1931 übernahm Max Horkheimer die Direktion, dessen Zirkel die Programmatik einer kritischen Gesellschaftstheorie und deren gesellschaftlich notwendige Aufgaben entwarfen. Im Nationalsozialismus wurde das Institut geschlossen, die Mitglieder als Juden und Marxisten verfolgt. Einige von Ihnen, darunter Horkheimer und Theodor W. Adorno, kamen im US-Amerikanischen Exil wieder zusammen und setzten die Arbeit fort. In der Zeit in Kalifornien entstanden die Meilensteine von den »Studien zum autoritären Charakter«, über die berühmt berüchtigte »Dialektik der Aufklärung« bis zu Horkheimers »Kritik der instrumentellen Vernunft« oder Adornos »Minima Moralia«. Das Institut kehrte in der jungen Bundesrepublik nach Frankfurt zurück und beeinflusste die Studierendenbewegung, jedenfalls bis zum Eklat, dass die Ikone Adorno die Polizei in den Hörsaal kommen ließ.

Danach wurde es stiller um das Institut, das aber von seinem Nimbus als Hort der Gesellschaftskritik zehrte. Die Musealisierung der Frankfurter Schule ist also an sich nichts Neues, schon lange ist die Kritische Theorie »im Mainstream angekommen«, wie es heißt. Man kann Adornos Schreibtisch mittlerweile in einem Glaskasten auf dem Campus Westend der Goethe-Universität bewundern, jenem »schönsten Campus Europas«, im Nationalsozialismus Hauptsitz der IG Farben und deren Zyklon-B-Produktion. Die düsteren Diagnosen der Kritischen Theorie jagen Altachtundsechzigern wie FAZ-Leser*innen verlässlich wohlige Schauer über den Rücken und Adornos »Minima Moralia« gilt längst als »Volksbuch der Philosophie«. Die staatstragende Einigkeit mit den Befunden der Kritischen Theorie zum Jubiläum ist, gelinde gesagt, trotzdem irritierend.

Wie geht es mit dem
Kapitalismus weiter?

Mit einem Cellosolo leitete die Professorin Katharina Deserno den Festakt »ganz im Sinne Adornos« ein, weil das zeitgenössische Stück die unauflösbaren Widersprüche der Gesellschaft darstelle. Die Vorsitzende des Stiftungsrats, Jutta Ebeling, zeigte sich in ihrem Grußwort dann froh über den Glücksumstand, dass Adorno und Horkheimer damals in das Land der Täter zurückkehrten und Frankfurt, »die Stadt der Banken«, darin »ihre Herausforderung« fand. Den ausgezeichneten internationalen Ruf der Kritischen Theorie erklärt sie sich damit, dass »die Frage, wie geht es mit dem Kapitalismus weiter«, eben uns alle beschäftige. Daher habe sie vor ihrer Rede auch noch einmal in die »Dialektik der Aufklärung« geschaut und ein Zitat über Vernunft und Naturbeherrschung herausgesucht. Zustimmendes Schmunzeln ging durch den Raum – eben ein Klassiker, das Zitat: »Find‘ ich aktuell. Könnte auch ein Spruch der Klimabewegung sein«, befand Ebeling.

Angela Dorn, die Hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst, ging in ihrer Begeisterung noch weiter. In unserer heutigen Zeit, wo Krise auf Krise auf Krise folge, wachse die Erkenntnis, »dass es anders werden muss, damit die Gesellschaft gestärkt hervorgehen kann«. Ihr mache es Mut, dass die Demokratie stark sei und alle mitnehme – aber sie sei auch nicht selbstverständlich, sondern müsse »lebendig gehalten werden«. Dafür zuständig seien nicht zuletzt die freie Wissenschaft und das Institut als »Heimat kritischer Geister«. Einmal auf solche staatstragenden Leerformeln von Demokratie und Kritik heruntergebrochen, ist die Kritische Theorie eben »aktueller denn je« und der »Zauber, der dem Anfang innewohnt, hat nichts an Aktualität verloren«. Und sie ist eine gute Ratgeberin in der Frage: »Wir brauchen einen radikalen Wandel. Wie kann die repräsentative Demokratie das leisten?«.

Auch die Frankfurter Dezernentin für Kultur und Wissenschaft, Ina Hartwig, wurde in ihrer Schulzeit in Norddeutschland vom »dialektischen Blitzgewitter« getroffen und schaue daher mit etwas Neid und Wehmut auf jene, die noch die Vertreter der Frankfurter Schule als Lehrer gehabt hatten: »Das muss einfach toll gewesen sein.« Enrico Schleiff, der Präsident der Goethe-Universität, machte klar, dass er unter der Kritischen Theorie einen gesellschaftsfähigen Marxismus versteht, der auch bis heute als eine der bedeutendsten »wissenschaftlichen Visitenkarten« dienen könne, eine »transdisziplinäre Forschung at it’s best«. Auf diesem Wege kann die Kritische Theorie dann auch fit für die Zukunft gemacht werden, nämlich, wie Schleiff meint, »nicht mehr exklusiv, nicht mehr nur den Spiegel vorhalten, nicht mehr nur Theorie«.

Nein, nein, das ist nicht
die Kritische Theorie

Die demonstrative Einigkeit über kritische Impulse und das Wir-Gefühl der starken Demokratie können nicht darüber hinwegtäuschen: Die vielen neuen Fürsprecher*innen der Kritischen Theorie wähnen sich gar nicht als Teil jener Gesellschaft, der Adorno und Co. mit Befunden wie dem falschen Ganzen oder einem totalen Verblendungszusammenhang den Spiegel vorhalten würden. So wenig sie sich angesprochen fühlen von dieser Kritik, so wenig betroffen sind sie von dem realen Leiden, das im Zentrum der kritischen Analyse steht.

Wenn es wirklich, wie der Institutsdirektor Stephan Lessenich betonte, »heute ums Ganze geht, um das Ganze der Gesellschaft und die Zukunft der Menschheit«, so müssten auch die bürgerlichen Freunde der Kritischen Theorie erklären, in welchem Verhältnis sie zu diesem Ganzen eigentlich stehen. Zum Beispiel, warum sie interessiert, wie der Kapitalismus weitergeht, anstatt dass er endet. Solche Rechtfertigung vor den Verhältnissen war jedenfalls einmal das Gütekriterium jener materialistischen Theorietradition, der sich die Frankfurter Schule verpflichtet fühlte. Der erste Impuls jener Kritischen Theorie, die sich aus gescheiterter Revolution und der Sackgasse der revolutionären Theorie des Marxismus erhob, war die Selbstkritik des Denkens.

Freilich ist das kein Anspruch, der die geladenen Geldgeber des Instituts interessieren würde. Es ist auch nicht der Rahmen, diesen überhaupt zu verhandeln. Es ist zwar billig, die Strenge der Theorie auf ein kritisches Diesdas im Diskurs der bürgerlichen Demokratie herunterzubrechen. Aber es wäre ebenso billig, sich nun über die bürgerliche Vereinnahmung oder den Ausverkauf der Kritischen Theorie zu echauffieren. Es ist kein Zufall, dass die Kritische Theorie anschlussfähig an das Bestehende bleibt, das sie doch so radikal kritisierte. Und bei genauerem Hinsehen wiederholt jener Festakt sehr authentisch die Umstände der Gründung des Instituts vor 100 Jahren, nämlich die Bauchpinselung von Förderer*innen in bester »Tradition bürgerlichen Mäzenatentums«, wie es Hartwig ausdrückte.

Gesellschaftliche
Notwendigkeiten

Lessenich urteilte daher auch halbernst, der damalige preußische Kultusminister müsse bei der Unterzeichnung »wohl die Augen verschlossen haben«. Wie sonst hätte der Staat sich einen solch radikalen Thinktank gehalten? Entweder war die Kritische Theorie also besonders subversiv – oder sie steckte von Anfang an mit der bürgerlichen Herrschaft unter einer Decke. Die Rezeption der Frankfurter Schule zerfällt jedenfalls in diese beiden groben Stoßrichtungen und geht damit am Gehalt der Kritischen Theorie vorbei. Denn die Heldenlegende, dass diese die bürgerliche Gesellschaft mit ihren eigenen Waffen geschlagen habe, ist nur das Spiegelbild des Zeterns mancher Marxist*innen, die sich von der Richtigkeit der Selbstkritik auf den Schlips getreten fühlten und deswegen über die bürgerlichen Abweichler schmollen.

Der Übergang zu einer Kritischen Theorie, der kritischen Theorie der Gesellschaft, war eine gesellschaftliche Notwendigkeit, ebenso wie die Kompromisse mit der bürgerlichen Wissenschaft, ihren Institutionen und ihrer gesellschaftlichen Einrichtung. Das Ziel jener Theorie muss es sein, diese gesellschaftlichen Notwendigkeiten richtig zu erkennen. Und richtig, so ungefähr sagte es einmal Adorno, ist die Erkenntnis, die zur praktischen Veränderung der Verhältnisse taugt. Daran kann man das Institut auch in Zukunft messen.

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