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»Wir brauchen mehr lesbische Hexenhuren«
Die Künstlerin Carolina Falkholt über das Konzept des psychotischen Feminismus – und wie man stigmatisierten Frauen Öffentlichkeit verschafft
Wie würden Sie Ihre Kunst für jemanden beschreiben, der sie nicht gesehen hat?
Carolina Falkholt ist seit ihrer Jugend Graffiti-Künstlerin. Berühmtheit erlangte sie durch große Wandmalereien mit provokativen Titeln wie »Lesbische Hexenhure«. Derzeit arbeitet sie in Göteborg und Stockholm an einem Manifest über »verrückten Feminismus« sowie als Graffiti-Künstlerin, Tänzerin und Musikerin.
Als monumentales Graffiti mit einem Element von Sexualität.
War Graffiti immer Ihre Ausdrucksform?
Ich habe damit begonnen, als ich Teenagerin war. Davor habe ich nur gemalt und war an Musik interessiert.
Ich habe gelesen, dass Sie oft weibliche sexuelle Macht repräsentieren. Was bedeutet diese für Sie?
Macht über seine eigene Sexualität zu haben. Das Lustvolle in der Kreativität ist meine Antriebskraft.
Vor einigen Jahren machten Sie in Schweden Schlagzeilen, weil Sie während eines Workshops in einer Mittelschule eine Jacke mit dem Spruch »Meine verdammte Muschi« getragen haben.
Ja, die Rektorin hat mich am zweiten Tag zu sich bestellt. Ich hatte »Meine verdammte Muschi« auf dem Rücken stehen, weil ich über Graffiti als Kunstform sprechen und eine Geschichte erzählen wollte. Ich war gewissermaßen Teil eines Kunstwerkes. Am zweiten Tag kam die Rektorin zu mir und sagte, dass ich nicht in der Schule bleiben könnte, wenn das auf meinem Rücken steht, das würde die Schüler*innen beeinflussen. Aber das war doch der Grund, warum ich überhaupt da war! Um unbequeme Fragen zu Geschlecht und Sexualität zu stellen. Da hat sie mich in ihr Büro mitgenommen, mir gedroht und gesagt: »Wenn du nicht die Jacke ausziehst, dann kannst du hier nicht weiter arbeiten.« Dann bin ich gegangen.
Haben Sie danach etwas an Ihrem Verhalten bei solchen Auftritten geändert?
Ich arbeite nicht, um Institutionen zufriedenzustellen, sondern für die Kunst. In solchen Momenten spricht dann die Kunst durch mich hindurch. Das kann ich nicht kontrollieren, sondern das wird, wie es wird. Und oft wird es sehr institutionskritisch.
Welche Institutionen haben Sie schon kritisiert?
Welche habe ich nicht kritisiert? (lacht) Ich war zum Beispiel in der Zentrale von Facebook und habe dort »Free Speech« in amerikanischer Gebärdensprache an die Wand gemalt. Aber man ist ja trotzdem in diesen Institutionen, arbeitet mit deren Geld und kritisiert sie auf eine Weise, dass sie es verstehen, aber trotzdem geschehen lassen. Ich meine, was bedeutet »Free Speech«? Bei Facebook gibt es ja gar keine Redefreiheit. Es war also ironisch, das zu schreiben.
Wie sehen Sie Ihre Rolle als Feministin in Schweden?
Meine Rolle besteht vor allem darin, Forscherin zu sein und eine Methodologie zu erstellen. Das ist ein eigener Feminismus, den ich »psychotischen Feminismus« nenne. Ich schreibe gerade meine Masterarbeit über »Verrücktheit im Feminismus«. Das männliche Genie war durch die gesamte Kunstgeschichte hindurch verrückt. Im Vergleich dazu haben wir aber nicht so viele verrückte Künstlerinnen. Darüber gibt es auch kaum Forschung. Daher untersuche ich, wie es um die Kunst der verrückten Frau in der Gesellschaft bestellt ist.
Und warum ist das relevant für den Feminismus?
Es gibt so viele unterschiedliche Labels für Feminismus, genauso wie es unterschiedliche Arten gibt, in dieser Welt anzukommen. Aber in all diesen Feminismen, von Vierte-Welle- bis Stiletto-Feminismus, fehlt durchweg die Perspektive der verrückten, psychisch kranken, Frau. Ihre Perspektive existiert im Feminismus nicht. Dabei braucht es sie wirklich. Was sagt die Hure, was sagt die sexarbeitende Frau mit psychiatrischen Diagnosen? Das sind so wichtige Stimmen, denen man einen Platz im feministischen Diskurs einräumen sollte.
In Göteborg war bis vor Kurzem ein Kunstwerk zu sehen, das Sie »Lesbische Hexenhure« nannten. Warum dieser Name?
Wir haben zu wenige lesbische Hexenhuren. Hier in Göteborg, aber auch insgesamt in der Welt. Bei dem Bild handelte es sich um das Porträt einer Sexarbeiterin, die in Göteborg wohnt und die in einer Vulva tanzt und twerkt. Ganz einfach, weil es das ist, was wir machen.
Wie waren die Reaktionen darauf?
Einige haben Farbe daraufgeknallt. Ich habe dann anschließend »Drogen« darüber geschrieben.
Glauben Sie, dass Frauen und nichtbinäre Personen schwerer in der Kunstwelt und der Gesellschaft ankommen als Cis-Männer?
Es war einmal so gut wie unmöglich! Mittlerweile beginnt zwar der Prozess einer gewissen Öffnung. Aber es ist trotzdem noch immer schwer: Für extrem psychisch kranke Frauen und viele Künstlerinnen, die als Hysterikerinnen gesehen werden. Aus dem einfachen Grund, weil es sie qua Definition überhaupt nicht geben soll. Die Gesellschaft ist für Cis-Männer gebaut, und die haben es zu gut – während alle anderen kämpfen müssen. Ich selbst erlebe die ganze Welt ja aus der Perspektive psychischer Krankheit. Deshalb kann ich Kunstfeminismus, psychisch kranken, psychotischen Feminismus schaffen. Den braucht es auch. Weil es so viele gibt, die sich vom Feminismus zurechtgewiesen fühlen. Die plötzlich als unanständig gelten, weil sich die Richtung die ganze Zeit ändert. Dabei muss man Sexarbeiterinnen als gewöhnliche, fantastische Menschen sehen – es sind die besten, die ich kenne. Sie sind dermaßen stigmatisiert, weil so viele Übergriffe passieren. Das ganze System ist falsch konstruiert: Man muss es Stück für Stück zu Fall bringen, aber das ist schwer. Genau zu diesem Zweck sollte es die Kunst geben, die eine Sprache für diesen Prozess entwickelt.
Wie sieht Ihr gewöhnlicher Arbeitsprozess aus?
Mein Leben lang habe ich gespiegelt bekommen, dass es anstrengend ist, mit mir zusammen zu sein. Dass ich verrückt bin. Dass ich psychotisch und geisteskrank bin, falsch aussehe. Dass ich so viel rede, so viel tanze und so viel Platz einnehme. Und da denke ich manchmal, dass es anstrengend ist, dass man immer reinpassen muss, wenn man eine psychisch kranke Frau ist, die nicht weiß, wie sie sich benehmen muss, um sich gut zu fühlen. Das sind solche ständigen Fragen, die einen verfolgen, wenn man diesen starken künstlerischen Antrieb und künstlerischen Ausdruck hat. Und man beeinflusst ja auch seine Umgebung dadurch, wie man sich fühlt. Deshalb ist das alles eine Art Therapie für mich. Wenn ich zum Beispiel mit Journalist*innen spreche, die aufschreiben, was ich sage, dann werdet ihr dazu gezwungen, daran teilzunehmen und zu versuchen zu verstehen. Denn es ist so schwer zu verstehen, was Kunst ist. Warum überhaupt Kunst? Was machen Künstler*innen? Malen sie, twerken sie, verkaufen sie Sex? Es gibt so unterschiedliche Definitionen davon, was Kunst ist.
Versuchen Sie, mit Ihrem Graffiti Platz einzunehmen?
Klar, versuche ich als psychisch kranke Frau Platz einzunehmen. Aber es ist genauso wichtig, dass BIPoC oder LGBTQI+ ihren Platz einnehmen. Es ist enorm wichtig, dass es solche Stimmen jetzt gibt und dass ihnen Gehör geschenkt wird. Vor ein paar Jahren ist mir auf einer Party auf Hisingen (Insel, auf der ein Teil von Göteborg liegt) eingefallen, dass ich ein Manifest darüber schreiben sollte. Ich habe einige Objekte, mit denen ich eine Studie zum psychotischen Feminismus erstelle. Dabei handelt es sich nicht nur um meine eigenen Ideen und Erfindungen, sondern auch um die Erlebnisse anderer psychotischer Künstlerfrauen. Wir prägen dieses Konzept zusammen. Dafür habe ich extra eine Gang gegründet: Die »Dangerous Clit Gang« setzt sich für den Zusammenhalt und die Ausbreitung des psychotischen Feminismus ein.
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