Berlinale: Ganz oder gar nicht

Generation: »Kiddo« – ein skurriles Mutter-Tochter Roadmovie

Karina (Frieda Barnhard) ist lieber keine Mutter als eine schlechte, das sieht ihre Tochter Lu aber anders.
Karina (Frieda Barnhard) ist lieber keine Mutter als eine schlechte, das sieht ihre Tochter Lu aber anders.

Die Beziehung zwischen Kindern und ihren Eltern bietet eine schier unendliche Weite filmischen Erzählens. Manchmal geht es dabei hart an den Grenzen zum Ertragbaren zu (»Mommy« von Xavier Dolan oder »We need to talk about Kevin« von Lynne Ramsay), im besten Fall sind solche Filme genau gezeichnete Psychogramme dessen, was uns als Mensch ausmacht (C’mon, C’mon von Mike Mills). »Kiddo« (Sektion Generation Kplus), der niederländischen Filmemacherin Zara Dwinger, ist weder noch und trotzdem ein sensibles Porträt einer Mutter-Tochter-Beziehung, nur eben ohne die ganze Last von Nähe-Distanz-Problemen, toxischen Abhängigkeitsverhältnissen oder emotionalem Missbrauch aufs Tableau zu heben. All zu seicht ist die Geschichte jedoch auch nicht.

Lu (Rosa van Leeuwen) wächst in einer Pflegefamilie auf und sehnt nichts dringender herbei als einen Besuch ihrer Mutter, die sie seit Jahren nicht gesehen hat. Als die sich telefonisch ankündigt, ist das Mädchen außer sich vor Nervosität und wird zunächst (wie so oft) enttäuscht. Doch dann taucht ihre Mutter doch noch auf. Und vor ihr steht ein echter Hollywoodstar (so wollen es die beiden glauben) und der macht seine Stunts noch selber und fährt in einem schäbigen, aber dennoch ziemlich beeindruckenden blauen Chevrolet vor. Der Auftritt ist Karina (Frieda Barnhard) definitiv gelungen. Und gerade weil sie nicht dem klassischen Mutterbild entspricht, ist sie für Lu ein echtes Faszinosium. Andere, eher engstirnige Typen, nennen sie verrückt. So steht Karina plötzlich auf einem LKW und fordert ihre Tochter auf, zu ihr hinauf zu kommen und einmal laut in die Welt zu schreien, immerhin helfe das dabei, nicht täglich auszurasten.

Die beiden begeben sich auf einen skurrilen Roadtrip von den Niederlanden bis nach Polen, wo Karina im Haus ihrer Mutter einen beachtlichen Batzen Geld versteckt hat, der als Startkapital für ein neues Leben mit ihrer Tochter gedacht ist. Ihr Weg führt sie entlang der siffigsten Tankstellen, Motels und Diners, die Polen zu bieten hat und lustigerweise unterscheiden sich die Bilder überhaupt nicht von einer x-beliebigen Strecke durch den mittleren Westen der USA. Wielkopolska oder Wyoming, den Unterschied hat nur der Kalte Krieg gemacht.

Auf dieser Reise entdecken die beiden ganz genretypisch ihre Beziehung zueinander neu, ohne dabei aber besonders vorwurfsvoll oder einfühlsam zu sein. Karina interessiert sich überhaupt nicht dafür, wie das Leben ihrer Tochter ohne sie aussah, wichtig sind ihr Messages wie »ganz oder gar nicht« oder »lieber keine Mutter als eine schlechte« und Lu fragt nicht nach, warum sie nicht bei ihr leben kann. Das erfahren wir so nebenbei. Die Pillen machen den Kopf ganz taub.

»Kiddo« klammert bewusst die ganzen Psycho-Themen aus oder schneidet sie nur an, was dem Film eine Leichtigkeit verleiht, die anfangs irritiert, im Laufe des Films aber Sinn ergibt, denn Regisseurin Dwinger hat keinen Film für Erwachsene gemacht, der überfrachtet ist mit der Analyse einer dysfunktionalen Beziehung, sondern sie will, dass sich auch Elfjährige darin wiederfinden. Immer dann, wenn man Angst haben muss, dass der Film nur eine schrullige Skurrilität der Mutter an die nächste reiht, kommt der Bruch und wir sehen eine erwachsene Frau, die viel mehr Kind als ihre Tochter ist und das aus Schutz vor einer zu herben Welt. Am Ende ist es Lu, die das Credo ihrer Mutter von »ganz oder gar nicht« in »ganz oder ein bisschen« abwandelt und damit die Beziehung auf ein neues Level hebt. Wo die Mutter der Tochter vorher ihren unbändigen Lebensstil aufzwängen wollte, erkennt sie, dass Lu längst kein Spielball ihrer Egozentrik ist, was in dem Satz kulminiert: »Mama, nicht versprechen, sondern machen«.

Der Film erzählt in einer faszinierenden Trash-Optik aus Hotpants, Frotteebadeanzügen, Cowboystiefeln und Plastik-Sonnenbrillen, von zwei Außenseiterinnen, die zusammen auf der Suche nach einer Heimat sind, die kein Ort ist, sondern ein geliebter Mensch.

»Kiddo«: Niederlande 2023. Regie: Zara Dwinger, Drehbuch: Zara Dwinger und Nena van Driel. Mit: Rosa van Leeuwen, Frieda Barnhard. 91 Minuten. Termine: 23.2., 13 Uhr: Zoo Palast 2.

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