Gesundheitskiosk überzeugt nicht alle

Aus wenigen Modellprojekten könnte ein Angebot in der Fläche werden, nützlich vor allem für benachteiligte Gebiete

Gesundheitskioske – das Wort hört sich ein wenig so an, als gäbe es einen Späti für Rezepte, Überweisungen to go oder einen schnellen Tipp bei Halsschmerzen und Schnupfen. Das Konzept zielt in eine ähnliche Richtung, hat jedoch einen ernsten, eher sozialpolitischen Hintergrund. Gemeint sind damit Einrichtungen für benachteiligte Regionen und Kieze, in denen Menschen einen einfachen Zugang zu Gesundheitsberatung bekommen, auch Unterstützung dabei, sich in das vielgliedrige hiesige Gesundheitssystem an schwierigen Punkten einzufädeln. Flankiert werden diese Angebote mit Sozialarbeit zu verschiedensten Schwerpunkten. Die bekannteste Einrichtung öffnete 2017 in Hamburg-Billstedt, zuletzt finanziert zu unterschiedlichen Teilen von mehreren gesetzlichen Krankenkassen. Angeboten wird dort eine kostenlose Gesundheitsberatung in zehn verschiedenen Sprachen. Arztbesuche werden nicht nur vermittelt, sondern auch vor- und nachbereitet.

Ein Evaluationsbericht zu Billstedt zeigte bereits, dass der Gesundheitskiosk den Zugang zur Versorgung verbessert, zur Zufriedenheit der Patienten beiträgt und die Ärzte entlastet. Dennoch gibt es jede Menge Widerstand gegen den Plan der Bundesregierung im Koalitionsvertrag, 1000 solcher Kioske einzurichten. Eine Veranstaltung der Innungskrankenkassen (IKK) am Mittwoch in Berlin sollte das Für und Wider dieser neuen Versorgungsform beleuchten.

Zu den konkreten Ergebnissen der Billstedt-Evaluation gehört zum Beispiel, dass die Zahl der Arztbesuche durchschnittlich auf 1,9 pro Versicherten und Jahr gestiegen ist. Hingegen sank die Rate der ambulant-sensitiven Krankenhausfälle um fast 19 Prozent gegenüber einer Vergleichsgruppe, die den Kiosk nicht nutzte. Gemeint sind damit Fälle, die durch eine effektive und rechtzeitige ambulante Versorgung hätten verhindert werden können.

Die Kassen treibt angesichts der Koalitionspläne vor allem die Sorge um, wieder einmal nur Zahlmeister zu sein, nicht aber über Inhalte und Strukturen mitentscheiden zu können. So warnt zum Beispiel IKK-Vorstand Hans-Jürgen Müller, dass hier noch eine zusätzliche Struktur entstehe, parallel zu dem, was die Krankenkassen schon in ihren Beratungsstellen anbieten. »Gesundheitskioske dienen doch viel mehr der Sozialraumpflege und der Daseinsvorsorge«, argumentiert Müller – und das seien eigentlich Aufgaben des öffentlichen Gesundheitsdienstes. »Und sie müssen insofern auch von den Ländern und den Kommunen finanziert werden.« Das wird aber laut den Eckpunkten von Karl Lauterbach (SPD) zum Thema nur zu 20 Prozent der Fall sein, 74,5 Prozent der Mittel müssen von den gesetzlichen und 5,5 Prozent von den privaten Kassen aufgebracht werden.

Die niedergelassenen Ärzte haben wiederum Angst, dass fachliche Angebote der Kioske ihnen noch die letzten raren Gesundheitsfachkräfte entziehen könnten. Andererseits sind sie, wie es Markus Beier vom Hausärzteverband ausdrückt, »bereit zur Zusammenarbeit«. Die Vorteile einer solchen Zusammenarbeit liegen zum Beispiel darin, dass überlastete Mediziner ihre Patienten etwa mit einem neu diagnostizierten Diabetes zur Beratung an die Kioske verweisen können.

In der von der IKK geladenen Runde konnte sich kaum jemand mit der pauschalen Zahl von 1000 geplanten Kiosken anfreunden, die offensichtlich Gesundheitsminister Karl Lauterbach in den Koalitionsvertrag eingebracht hat. Das entspricht einer Einrichtung je 80 000 Einwohner. Erkennbar ist in den Regierungsplänen nicht, ob die Verteilung quasi mit der Gießkanne erfolgen soll oder welche Kriterien angelegt werden könnten.

Mehrfach kam auf der Berliner Veranstaltung das Argument zur Sprache, dass es in Deutschland ein äußerst vielfältiges Beratungsangebot zu den Themen Pflege und Gesundheit gebe: von Kranken- und Pflegekassen, von Kommunen wie von kirchlichen und anderen gemeinnützigen Verbänden. Aber offensichtlich erreichen all diese Strukturen die Bedürftigen nicht ausreichend bzw. nicht alle von ihnen.

Lutz Hager vom Bundesverband Managed Care bringt es auf den Punkt: »Die Gesundheitschancen sind ungleich verteilt, aber der Kontext dazu weist über die Medizin hinaus.« Menschen mit schlechtem ökonomischen Status landen am Ende eben im Gesundheitssystem, wenn es an Prävention fehlt. Nicht zuletzt die Pandemie habe gezeigt, dass die Probleme größer werden, wenn besonders vulnerable Gruppen vernachlässigt werden oder Gesundheitskompetenz nicht allgemeines Bildungsziel ist. Auch in diesen Zusammenhängen können die Kioske gute Dienste leisten.

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