Die Spekulation ist systemrelevant

Warum die US-Regierung eine mittelgroße Bank gerettet hat, wer von der Rettung profitiert und wer dafür zahlen muss

Die Fast-Pleite einer mittelgroßen Bank in den USA lässt die globalen Finanzmärkte beben und schafft es bis in die deutschen Abendnachrichten. Um eine Finanzkrise zu verhindern, übernehmen die US-Behörden die Bank und sichern ihre Einlagen – und ausnahmsweise sind sich das erzliberale Wirtschaftsblatt »Economist« und das linke Magazin »Jacobin« einig: Abermals rette hier der Staat eine Bank, die durch »leichtfertige« Kreditvergabe und »unverantwortliches« Geschäftsgebaren in die Krise geraten sei. Bemerkenswert an dem Fall ist allerdings weniger ein individuelles Fehlverhalten. Dass die Schieflage der Bank das Weltfinanzsystem erschüttert, zeigt vielmehr, dass es sich hier nicht um einen Sonderfall handelt.

Ausgangspunkt des Bebens ist die Silicon Valley Bank (SVB), ehemals sechzehntgrößte Bank der USA. Im Zuge eines Kundenansturms wurde sie am 10. März von den Behörden übernommen. Der US-Präsident persönlich hielt es für nötig, Bankkunden und Finanzbranche zu beruhigen: »Jeder Amerikaner kann sich darauf verlassen«, so Joe Biden, dass seine Bankeinlagen sicher sind und Löhne und Rechnungen pünktlich bezahlt werden können. Die Beruhigung aber währte nur kurz. Am 12. März wurde eine weitere mittelgroße Bank, die Signature Bank, geschlossen. Anfang dieser Woche ging es mit Bankaktien und dem US-Dollar weiter abwärts. Die »allgemeine Marktskepsis gegenüber Banken« ließ am Donnerstag den Kurs der Schweizer Großbank Credit Suisse einbrechen.

Die Krise der SVB steht am Ende einer langen Kette von Spekulationsgeschäften, die ihren Anfang ebenfalls in einer Krise hat: In den Jahren nach der Großen Finanzkrise ab 2008 und insbesondere in der Coronakrise kaufte die US-Zentralbank massenhaft US-Staatsanleihen auf, um deren Preise in die Höhe zu treiben und die Zinsen zu senken. Über niedrige Zinsen sollten US-Schuldner solvent gehalten und durch die schweren Zeiten gebracht werden.

Angesichts der niedrigen Zinsen flossen an den Finanzmärkten Unsummen an Anlagegelder in riskantere Investments auf der Suche nach höheren Renditen. Pensionskassen, Konzerne und Investmentfonds steckten Hunderte von Milliarden in Risikokapitalfonds. Diese wiederum legten das Geld teilweise in Hightech-Start-ups des Silicon Valley an – in junge, verlustreiche, schnell wachsende Unternehmen, von denen Investor*innen hofften, eines von ihnen werde dereinst das neue Google, Twitter oder Uber sein und sie reich machen.

Warum sichere Anlagen nicht sicher sind

2021 war das fette Jahr: Weltweit flossen 620 Milliarden Dollar in Start-ups der Technologiebranche, doppelt so viel wie im Vorjahr und zehn Mal mehr als 2012. Das Zentrum dieser Spekulationswelle war das kalifornische Silicon Valley. Die Unternehmen dort parkten ihre zufließenden Milliarden vor allem bei der SVB. Deren Einlagen vervierfachten sich zwischen 2017 und 2021 auf 190 Milliarden Dollar – und damit hatte SVB ein Problem: Wohin mit dem vielen Geld? Schließlich ist eine Bank kein Sparschwein, sie muss Geld verdienen. Dafür muss sie selbst Kredite vergeben. Das tat die SVB und kaufte die sicherste Geldanlage der Welt: US-Staatsanleihen, die allerdings zu diesem Zeitpunkt sehr teuer waren und kaum Rendite brachten. Damals galt dies als problemlos. Doch dann kam die Inflation.

Um die steigende Inflation zu bekämpfen, erhöhte die US-Zentralbank die Zinsen in Rekordzeit. Damit allerdings entwerteten sich die niedrig verzinsten US-Staatsanleihen im Besitz von SVB. Warum? Weil sich der Preis von Finanzanlagen daraus ableitet, wie viel sie an Rendite bringen. Wenn Zinsen steigen, dann sinken automatisch die Preise von Wertpapieren mit niedrigen Zinsen. Denn im Vergleich zu den neuen, höher verzinsten Papieren werden sie unattraktiver.

Die SVB verzeichnete also Milliardenverluste auf die Anleihen in ihrem Portfolio und bekam so zu spüren, dass es an den Finanzmärkten keine Sicherheit gibt. Im Nachhinein wird dem Bankmanagement vorgeworfen, mit dem Kauf der US-Staatsanleihen habe es eine leichtsinnige Anlagepolitik verfolgt, sie hätte damit rechnen müssen, dass die Zinsen steigen könnten. Dieser Vorwurf ist jedoch billig. Denn das Zinsniveau tendierte bereits seit Jahrzehnten abwärts, und es war allgemeiner Konsens, dass angesichts schwachen Wachstums und niedriger Inflation »die Zinsen in absehbarer Zukunft niedrig bleiben«, schrieb 2019 der ehemalige IWF-Chefökonom Olivier Blanchard.

Doch es kam anders. Als die Verluste der SVB bekannt wurden, reagierten ihre Kunden – die Start-up-Unternehmen – mit dem Abzug ihrer Einlagen. Und zwar rasend schnell, an einem einzigen Tag holten sie 42 Milliarden Dollar von der Bank ab. Befeuert wurde die Panik der Start-ups durch die Tatsache, dass sie selbst bei ihren Geldgebern – den Risikokapitalfonds – in Ungnade gefallen waren. Bereits 2022 war angesichts von hoher Inflation und drohender Rezession der spekulative Geldfluss ins Silicon Valley versiegt, was zu einem »Tech-Crash« an den Aktienmärkten geführt hatte. Der Geldstrom, von dem die Start-ups leben und aus dem sie ihre Milliardenverluste finanzieren, war ausgetrocknet. Als dann ihre Bank, die SVB, in Turbulenzen geriet, plünderten sie eilig ihre Konten.

Theoretisch hätte die Bank zwar wohl ausreichend Mittel gehabt, um den Geldabfluss zu finanzieren. Doch zur Aktivierung dieser Mittel hätte sie Zeit gebraucht – und die war nicht mehr da. Zum Verhängnis wurden der SVB also weniger ihre eigenen Anlageverluste, sondern ihre Kunden: junge, schnell agierende Unternehmen, die unter Druck ihrer eigenen Investoren standen. Erschwerend kam hinzu, dass im Falle von Bankpleiten in den USA Kundeneinlagen bis maximal 250 000 Dollar gesetzlich abgesichert sind. 250 000 Dollar – das reicht für normale Privatkunden, aber nicht für die Start-ups, die zum Teil Hunderte von Millionen auf ihren SVB-Konten hatten. Die Folge: Mehr als 90 Prozent der Einlagen bei der SVB fielen nicht unter die gesetzliche Absicherung.

Profiteure und Verlierer

Um eine Kettenreaktion zu verhindern, haben die US-Behörden die Kontrolle über die Bank übernommen, garantieren für sämtliche Einlagen und gewähren dem restlichen Bankensektor günstige Kredite der Zentralbank, die in wenigen Tagen 300 Milliarden Dollar an die Geldhäuser verteilte. »Das dürfte das Risiko eines Runs auf weitere Banken massiv gesenkt haben«, so die Commerzbank. Eine Vertrauenskrise lässt die US-Regierung nicht zu, da Vertrauen die Basis der Spekulation ist und diese Spekulation wiederum die Basis für die Prosperität der sogenannten Realwirtschaft, insbesondere im wichtigen Technologiesektor. Schließlich hat die US-Regierung die »globale Technologieführerschaft« der USA zu einem ihrer Ziele erklärt. Dafür braucht sie den Zuspruch der Kapitalgeber. Deren Spekulation ist systemrelevant.

Wer profitiert von der Rettungsaktion? Die großen US-Banken, zu denen die ehemaligen SVB-Kunden überlaufen; die Start-up-Unternehmen, deren Einlagen gesichert sind; und die Risikokapitalfirmen, die Milliarden in die Start-ups gepumpt haben.

Wer zahlt? Nach aktuellem Stand nicht die US-Steuerzahler*innen – das Geld für die Kundeneinlagen soll aus dem Verkauf des SVB-Anlagevermögens fließen. Reicht das nicht aus, werden die Restkosten auf alle Banken umgelegt. Zahlen müssen die SVB-Manager*innen, sie verlieren ihre Jobs, und die SVB-Aktionäre, deren Aktien wertlos geworden sind. Auch die Gläubiger der Bank müssen wohl auf Forderungen verzichten.

Zahlen müssen aber auch die Beschäftigten – nicht nur die der Bank. Über die ganze US-Technologiebranche hinweg rollt seit Monaten eine Entlassungswelle: In den letzten drei Quartalen des Jahres 2022 haben mehr als 600 Start-ups und technologieorientierte Unternehmen Mitarbeiter*innen gekündigt – vom E-Autobauer Rivian über TikTok, Twitter bis zum Bringdienst Getir und zur Facebook-Mutter Meta, die diese Woche die Entlassung weiterer 10 000 Beschäftigter ankündigte. Die Unternehmen kürzen ihre Personalausgaben und machen so die Beschäftigten dafür haftbar, dass die Spekulation auf Amerikas Technologieführerschaft wieder aufgeht. Das Programm wirkt: Als Reaktion auf die Entlassungen legte der Aktienkurs von Meta am Donnerstag sieben Prozent zu.

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