Nicht Kommunismus, sondern Kommunismen

Notizen von einer Konferenz in der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin

An einem großen, offenen Runden Tisch, ähnlich wie beim UN-Sicherheitsrat in New York, waren die Teilnehmer der 5. Hermann-Weber-Konferenz zur Historischen Kommunismusforschung im Tagungssaal der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin platziert. Bemerkenswert: Es überwogen jüngere Historiker und Historikerinnen aus dem In- und Ausland. Auffallend: Sie präsentierten eine erfrischend andere Sicht auf die kommunistische Bewegung, als man bislang, zumindest in der bundesdeutschen Historiografie, gewohnt ist. Natürlich fiel öfters der Name jenes Mannes, nach dem diese Veranstaltungsreihe benannt ist und der sich selbst als Nestor der westdeutschen Kommunismusforschung bezeichnet hatte: des Mannheimer Historikers Hermann Weber, der unter dem Decknamen »Hermann Wunderlich« von 1947 bis 1949 an der Parteihochschule »Karl Marx« studiert hatte, in der Bundesrepublik inhaftiert war und 1954 als »Renegat« aus der westdeutschen KPD ausgeschlossen worden ist, um zehn Jahre darauf eine neue politische Heimat in der SPD zu finden.

Ähnlich Wolfgang Leonhard, 1945 mit der »Gruppe Ulbricht« aus dem Sowjetexil nach Deutschland zurückgekehrt, Dozent an der der SED-Kaderschmiede in Kleinmachnow, der 1949 mit dem Stalinismus brach und über Jugoslawien in den Westen floh. Auch sein Name fiel auf der dreitägigen Konferenz über »Kommunismus und westeuropäische Demokratien nach 1945«. Letzterem wurde von Mario Keßler (Berlin) allein durch dessen mehrfach in verschiedenen Sprachen aufgelegtes Buch »Die Revolution entlässt ihre Kinder« sowie Lehrtätigkeit in Yale (USA) eine international größere Resonanz als dem in Mannheim lehrenden Weber konzediert. Natürlich wurde auf der Konferenz auch an Eric Hobsbawm erinnert, der bis zuletzt der britischen KP die Treue hielt und trotzdem über ideologische Lagerkoller hinweg als Wissenschaftler Hochachtung bis heute erfährt.

Andere Nachkriegspersönlichkeiten, die mit dem Kommunismus brachen und sich der Sozialdemokratie zuwandten oder in den Gewerkschaften ihr vornehmliches Betätigungsfeld sahen, sind hingegen heute fast gänzlich dem Vergessen anheimgefallen, obwohl sie sich in soziale und politische Entscheidungsprozesse und Entwicklungen einzubringen versucht hatten. Nicht selten sind sie bitter enttäuscht worden. Es war ein Verdienst der von der Redaktion des von Weber begründeten »Jahrbuchs für Kommunismusforschung« einberufenen sowie vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) und der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg mit ausgerichteten Konferenz, an Lebensläufen und individuellen Schicksalen Brüche, Widersprüche, Hoffnungen und Niederlagen im »Jahrhundert der Extreme« (Hobsbawm) deutlich gemacht zu haben, geschehen beispielsweise im Referat von Philipp Kufferath aus Bonn wie auch durch Beiträge aus dem Auditorium, so von Siegfried Heimann, ehemaliger Vorsitzender der Historischen Kommission der SPD in Berlin.

Doch warum spielten die westdeutschen Kommunisten nicht die Rolle im gesellschaftlichen Leben wie ihre Genossen und Genossinnen in Frankreich und Italien? Obwohl auch sie den größten Blutzoll im Kampf gegen den Hitlerfaschismus geleistet hatten wie jene in der Résistance und Resistenza, denen nach 1945 von ihren Völkern durch zahlenmäßigen Zulauf sowie der Wahl in Regierungsverantwortung gedankt wurde.

Den Auftakt zur Konferenz gab eine Podiumsdiskussion, eröffnet mit einem Einführungsreferat von Sonja Levesen (Trier) über die »Randständigkeit des Kommunismus in der Bundesrepublik« im Vergleich mit den westeuropäischen Nachbarstaaten. Sie benannte als Ursache hierfür die staatlichen Repressionen. Westdeutsche Kommunisten sahen sich im Adenauer-Staat mit Staatsanwälten und Richtern konfrontiert, die sie in der NS-Zeit angeklagt und zu KZ- und Zuchthaushaft verurteilt hatten. Natürlich war hierfür ebenso nicht unbedeutsam, dass die Mehrheit der Deutschen ihre Mitschuld an der Hitlerdiktatur nicht einzugestehen und damit einhergehend auch die Opfer der Kommunisten ebenso wie die der Sozialdemokraten anzuerkennen und zu würdigen gewillt waren.

Die Frage, ob die Kommunistenverfolgung in Westdeutschland, gipfelnd im KPD-Verbot 1956, mit jener unterm Hakenkreuz zu vergleichen wäre, spaltete Podium und Publikum. Ein älterer Zuhörer wollte lieber die Verfolgung von Sozialdemokraten in der sowjetischen Besatzungszone und der DDR in den Fokus der Debatte rücken, was von der Moderation (Ulrich Mählert, Berlin) abgelehnt wurde, weil »jetzt nicht das Thema«.

Mit einer Debatte über Kommunisten an der Macht (Beispiel Italien) und Kommunisten ohne Macht (Österreich, Bundesrepublik) begann der zweite Konferenztag, in der erfreulicherweise durch Teresa Malice (Bielefeld) und Fiametta Balestracci (Turin) an starke, selbstbewusste italienische Kommunistinnen erinnert wurde. Zur Sprache kam hier auch der 1973 von Enrico Berlinguer, dem damaligen Sekretär der Partito Communista Italiano (PCI), entwickelte und von Aldo Moro von der Democrazia Cristinana (DC) unterstützte »Historische Kompromiss«, der allerdings bereits fünf Jahre darauf mit der Ermordung des Christdemokraten scheiterte. Erreicht war letztlich das Gegenteil eines hehren Anspruchs, nämlich eine Polarisierung und Radikalisierung der Gesellschaft. Militante Gruppen, Trotzkisten, Maoisten, Anarchisten dominierten die Auseinandersetzungen der 70/80er Jahre in Westeuropa, der traditionelle Parteikommunismus verlor an Attraktivität. Nicht zuletzt ein Ergebnis des Einmarsches der Warschauer Vertragsstaaten in die CSSR im August 1968, der Niederschlagung des »Prager Frühlings«.

Ein Kontrastprogramm bot das Panel, das sich der 1921 gegründeten Partido Comunista Português als eine der ältesten, heute noch aktiven kommunistischen Parteien Westeuropas sowie der KP Niederlande, 1992 neu gegründet, widmete. Der letzte Konferenztag befasste sich mit dem Einfluss jüdischer Kommunisten und Kommunistinnen wie den Überlebenden von Buchenwald und Auschwitz Emil Carlebach und Esther Bejarano auf die Erinnerungskultur in der Bundesrepublik, mit dem Beitrag von Kommunisten in gewerkschaftlichen Kämpfen, in der Bremer Vulkan-Werft in den 70er Jahren (Johanna Wolf, Frankfurt am Main) oder beim britischen Bergarbeiterstreik 1984/85 (Jörg Arnold, Nottingham).

Als eine Schwäche der westdeutschen KPD respektive ab 1968 DKP gegenüber anderen westeuropäischen kommunistischen Parteien wurde unter anderem deren geringere Verwurzelung in der Arbeiterschaft und weniger erlgreiche Basisarbeit ausgemacht. Wurde generell der Spagat zwischen Ablehnung und Akzeptanz der parlamentarischen Demokratie sowie von Regierungsbeteiligung gut herausgearbeitet, schien das Kapitel Eurokommunismus, in den drei Tagen zwar angesprochen, unter anderem von Thomas Kroll (Jena), etwas unterbelichtet hinsichtlich dessen einstiger Relevanz im Streit der Parteien Ost und West. Mehr oder weniger nur gestreift wurde der sogenannte Postkommunismus, Auflösungen, Umbenennungen und Neugründungen nach 1989/90 nebst neuen Selbstverständnissen und neuen Mitteln und Methoden gesellschaftlicher Interventionen.

Die Botschaft der interessanten und durchaus spannenden Referate und Debatten: Es gab zu keiner Zeit eine homogene kommunistische Bewegung, weshalb man nicht von dem Kommunismus sprechen könne, sondern von Kommunismen reden müsse.

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