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Roger Waters: We don’t need no education!
Roger Waters, Wolfgang Koeppen, Karl May – die Verbots- und Zensurforderungen werden mehr, doch was sollen sie bringen?
Roger Waters soll auf keinen Fall auftreten, jedenfalls nicht am 28. Mai in Frankfurt am Main. Auf Drängen des dortigen Magistrats wie auch des Landes Hessen hat nun die Messegesellschaft dem Konzertveranstalter ein Kündigungsschreiben zustellen lassen. Waters geht gegen die Konzertabsage juristisch vor. In München hatte die Politik ähnliches versucht, für das Konzert am 21. Mai, dann aber widerwillig akzeptieren müssen, dass die Meinungsfreiheit eben auch für Musiker gilt, die zum gewaltfreien Boykott gegen Israel und Israelis aufrufen. Der Tatbestand der Volksverhetzung ist damit nicht erfüllt und eine außerordentliche Kündigung des Vertrags aus rechtlichen Gründen nicht möglich. »Ich will ihn hier nicht haben«, so der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD), »aber wir müssen es jetzt ertragen.« So schaut’s aus.
Im Kampf gegen Antisemitismus machen Verbote nur bedingt Sinn, so Meron Mendel, Direktor der Bildungsstätte Anne Frank. Er sagt voraus: »Roger Waters gewinnt zweimal.« Zum einen werde er vor dem Verwaltungsgericht Recht bekommen. Und zweitens werde er ungestört in Frankfurt am Main auftreten können. Was nicht heißen muss, dass man sich damit abfinden muss. Mendel fordert dazu auf, an dem Tag vor der Konzerthalle zu protestieren.
Roger Waters selbst, der bei seinen Bühnenshows in der Vergangenheit schon mal Schweineluftballons mit Davidsternen aufsteigen ließ, bestreitet jeden Antisemitismus. Seine Kritik habe sich gegen den Staat Israel gerichtet, nicht gegen Juden als solche. – Vielleicht ist der Mann auch einfach nur »meschugge« geworden, und wir sollten, aus Gründen journalistischer Ethik, den Artikel hier abbrechen. Roger Waters wäre nicht der erste große Künstler, der schrullig wird und einen an der Klatsche hat. (Denken wir nur an Hölderlin und dessen »Tod fürs Vaterland (…) Wo keck herauf die Würger dringen«.) Vor einigen Jahren berichtete der »Rolling Stone« von einer wissenschaftlichen Studie, wonach Musiker ein erheblich größeres Risiko haben, an Depressionen oder Angststörungen zu erkranken. Roger Waters jüngste Auslassung zum Ukraine-Krieg deutet darauf hin: Putin sei zum Angriff provoziert worden.
Roger Waters war bei Pink Floyd nicht nur Mitbegründer, das war Pete Best bei den Beatles auch. Er war der kreative Kopf der Band; in den ersten Jahren noch mit Syd Barrett auf Augenhöhe. Und schon Barrett plagten psychische Probleme, weshalb die Band ’68 den Sänger und Gitarristen vor die Tür setzte und durch David Gilmour ersetzte. Was nun Roger Waters betrifft, egal was da heute in seinem Kopf vorgeht – dieser Mann hat geliefert: »The Wall« ist mit über 30 Millionen verkauften Exemplaren das kommerziell erfolgreichste Doppelalbum aller Zeiten – komponiert und getextet größtenteils von wem wohl?
Pink Floyd besteht heute noch aus David Gilmore und Schlagzeuger Nick Mason plus Verstärkung. Im letzten Jahr schafften sie es sogar in die Singlecharts. Ein großartiger, berührender Song: »Hey, Hey, Rise Up!« , vielleicht auch, weil ihn jemand anderes singt: Andrij Chlywnjuk, charismatischer Frontmann von BoomBox, einer ukrainischen Rockband. Die Erlöse kommen, wie es heißt, humanitären Zwecken in der Ukraine zugute, also alles sehr lobenswert. Aber ist das wirklich noch Pink Floyd? Man stelle sich vor, Gitarrist Ron Wood und der jüngst verstorbene Charlie Watts an den Drums hätten sich irgendwann die Rolling Stones unter den Nagel gerissen. Sicher wären da gute Gigs bei herausgekommen – Rod Wood war bei den Faces! – nur wäre es nicht dasselbe wie mit Keith und Mick; nicht die Rolling Stones.
Und »The Wall« ist nun einmal Roger Waters: sein Konzept und seine Songs. Erzählt wird die Geschichte eines erfolgreichen Musikers, der in der Kindheit durch die Lehrer viel Grausamkeit erfahren hat und deshalb als Erwachsener um sich herum eine imaginäre Mauer errichtet.
Mit den Jahren muss der Schutzwall in Waters Hirn wohl immer größer geworden sein. Und weil das Echo auf seine Kunst nicht mehr dasselbe war, stattdessen Journalisten seine politischen Statements begierig aufgenommen haben, kam dann eins zum anderen. Mit seinen Aussagen zu Israel, den er als »Apartheidsstaat« mit Südafrika vergleicht und seiner Nähe zur Kampagne »Boycott, Divestment and Sanctions« (BDS) gegen den Staat Israel hat sich Waters keinen guten Dienst erwiesen. Als Boykottbefürworter sieht er sich jetzt Boykottaufrufen ausgesetzt. Das ist bitter und buchstäblich eine Ironie des Schicksals. Und das in Deutschland! Wobei die BDS-Bewegung, gleichwohl sich in ihr diverse Antisemiten tummeln, keineswegs mit dem Boykott der NS-Diktatur gleichgesetzt werden soll. Letzterer war staatlich organisiert, und zwar von einem faschistischen Unrechtsstaat, während BDS eine Initiative aus der palästinensischen Zivilgesellschaft ist, deren Ziele hier nicht diskutiert werden können. Das Existenzrecht des Staates Israel darf nicht zur Debatte stehen. Hat sich Roger Waters etwa dahingehend geäußert? Das Ausmaß der gegen ihn erhobenen Verbotsforderungen muss bedenklich stimmen.
Einmal abgesehen davon, dass es heute zum Wesen jeglicher Kunst gehört, dass sie politisch unzuverlässig ist, dürften die Zeiten lange vorbei sein, in denen ein Roger Waters Hunderttausende Menschen für seine Show begeistern konnte, so geschehen etwa nach dem Mauerfall in Berlin. Freiheit ist immer auch die Freiheit der Idioten. Der Mann ist jetzt 79 Jahre alt! Die Debatte um seine Person wird sich ohnehin – dank Mutter Natur – in absehbarer Zeit erledigt haben. Die Türen aber, die jetzt seinetwegen aufgestoßen werden, sind vielleicht nicht mehr zu schließen. Wessen Konzert wird als Nächstes gecancelt? Pearl Jam vielleicht? Eddie Vedder hat sich ja auch schon mit der BDS-Kampagne solidarisch erklärt. Was ist mit Elvis Costello? Den Pixies? Am Ende dürfen wir noch ins Konzert von Elton John. Und von Helene Fischer. Eine pluralistische Gesellschaft mit mündigen Menschen sollte solche Spannungen ertragen können. Wenn wir jeden Künstler, der dummes Zeug von sich gibt (nehmen wir nur das Thema Impfen), sozial ächten, wird das Auswirkungen haben auch auf die Kunst, die am Ende nur noch von linientreuen Kulturschaffenden betrieben wird.
Die Verbotsforderungen beschränken sich ja nicht nur auf die Musik. Durchs Feuilleton geistert gerade eine Petition gegen Wolfgang Koeppens »Tauben im Gras«, einem Klassiker der Nachkriegsliteratur und Pflichtlektüre an den Schulen. Die Sprache Koeppens, heißt es, sei rassistisch. Immer wieder tauche in dem Roman das N-Wort auf, das weder kommentiert noch erläutert wird. Eine Lehrerin in Baden-Württemberg hat deswegen aus Protest ihren Dienst quittiert. Im vergangenen Jahr ging der Streit noch um die Indianer bei Karl May. Davor sorgte eine Insel mit zwei Bergen für Debatte. Und ein angespültes schwarzes Baby namens Jim Knopf, den sein Schöpfer Michael Ende als »N…« bezeichnet.
Beim ehemaligen Pink-Floyd-Bassisten liegt der Fall etwas anders: Niemand will seine Lieder neu schreiben und komponieren. Mit den Maßstäben aber, die manche Politiker gerade zum Besten geben, hätten sie vor Jahren auch gegen die Luther-Dekade der EKD protestieren müssen. Roger Waters wollte bislang noch keine Synagogen anzünden lassen. Und wie seinerzeit der Reformator hat auch er mal anders geredet. Joseph Croitoru, ein 1960 in Haifa geborener deutscher Historiker und Experte für die Geschichte des Nahostkonflikts, wies unlängst in den sozialen Medien darauf hin, dass Roger Waters 2006 in Israel aufgetreten ist, in der Nähe des Friedensdorfs Neve Shalom – und das ungeachtet des Protests von palästinensischer Seite! Damals erklärte der Musiker noch: »I have many fans in Israel, many of whom refuse to serve in the military. I won’t cancel my trip to Israel because I don’t agree with the gouverment’s policies, just I won’t stop performing in Britain simply because I disagree with the policies of Tony Blair.«
Die Frage muss doch sein, wie gehen wir um mit einem Werk, das besser und klüger ist als der Mensch, der es geschaffen hat? Bei Martin Luther heißt es übrigens (in seiner Bibelübersetzung, Paulus an die Thessalonicher): »Prüfet alles, und das Gute behaltet.«
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