• Kultur
  • 23. April: Welttag des Buches

Aber nicht mit verteilten Rollen …

Die Wiener Bibliothekarin Monika Reitprecht hat skurrile Episoden aus dem Leben einer Bibliothekarin gesammelt

Die neue Wiener Hauptbücherei am Urban-Loritz-Platz feiert in diesem Monat ihr 20-jähriges Bestehen.
Die neue Wiener Hauptbücherei am Urban-Loritz-Platz feiert in diesem Monat ihr 20-jähriges Bestehen.

Frau Reitprecht, was war die unmöglichste Anfrage, was die lustigste, die Sie in Ihrem bisherigen Berufsleben erfahren haben?

Interview

»Die Bücherei des 21. Jahrhundert ist keine stille Gruft. Kinder lachen. Teenies kreischen. Eltern plaudern. Bibliothekar*innen schreien. Alle telefonieren. Sie ist ein Inferno.« Wer sollte es besser wissen, als eine Bibliothekarin. Monika Reitprecht, Jg. 1973, studierte Historikerin und Politologin, hat leibhaftige Erlebnisse und Erfahrungen an ihrem Arbeitsplatz sowie Postings, Tweets und Mails gesammelt und zwischen zwei Buchdeckel gepresst: »Den Titel habe ich leider vergessen, aber es ist blau« (Milena, 128 S., geb., 21 €) heißt ihr nunmehr drittes Buch, in dem sie über die Herausforderungen in ihrem Berufsstand und Schwierigkeiten bei der Erfüllung aller Leserwünsche berichtet. Anlass für ein Interview mit der Wienerin, laut Verlag die »lustigste Bibliothekarin der Welt", zum Welttag des Buches am 23. April.

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    Wir wurden einmal nach der Nummer des »Geheimdienstes« gefragt – was ich sowohl lustig als auch unmöglich finde. Und auch nicht beantworten kann.

    Müssen Sie manchmal bei Kundenwünschen passen?

    Ja, zum Beispiel, wenn Schillers »Die Räuber« verlangt werden: »Aber nicht so mit verteilten Rollen.« Oder wenn nach Literatur zu sehr speziellen Spezialthemen gefragt wird, etwa: »Haben Sie etwas zum Thema Graffiti in St. Pölten?« Ebenso, wenn wir per Mail die Bitte um Verlängerung der Ausleihe eines Buches erhalten, aber weder Namen noch Kartennummer oder Buchtitel angegeben sind. Das Vertrauen in unsere hellseherischen Qualitäten ehrt uns zwar, wir müssen es aber leider enttäuschen.

    Wird heutzutage überhaupt noch viel gelesen? Oder ist das klassische Buch out?

    Ich denke, es wird mehr als früher gelesen – neben gedruckten Büchern gibt es ja eine Vielzahl digitaler Leseangebote. Und dabei handelt es sich nicht nur um digitalisierte Printtexte, sondern auch um originäre Formen des Online-Lesens: Mails, Social Media-Beiträge etc. Unsere Statistiken legen allerdings nahe, dass auch die Beliebtheit des haptischen Buchs, also des fühlbaren, greifbaren, ungebrochen ist.

    Wie sind Sie zu Ihrem Beruf als Bibliothekarin gekommen?

    Nicht sehr originell – nach einem geisteswissenschaftlichen Studium wollte ich »was mit Büchern« machen, am liebsten in einer Bibliothek oder einem Verlag. Ich habe dann eine Initiativbewerbung an die Wiener Büchereien geschrieben und wenige Monate später dort zu arbeiten begonnen.

    Gab oder gibt es auch ein Sterben von Büchereien in Österreich?

    In Wien jedenfalls nicht, wir haben nach wie vor ein sehr dichtes Netz an Zweigstellen. In fast jedem Bezirk gibt es zumindest eine Bücherei, insgesamt 38 Standorte.

    Wie lief der Bibliotheksbetrieb zu Corona-Zeiten?

    Auf, zu, auf, zu … Die Lockdowns haben natürlich auch uns betroffen – dafür gab es in diesen Schließzeiten einen Run auf unsere digitalen Medien. Im ersten Lockdown haben wir unsere digitalen Angebote für alle Österreicher*innen geöffnet, gratis. In den folgenden Lockdowns gab es dann auch bei uns »Click & Collect«, also Online-Bestellungen und Abholung. Und unsere Veranstaltungen haben wir in den digitalen Raum verlegt.

    Was ist Ihr Lieblingsbuch oder Ihr liebstes literarisches Genre? Lesen Sie auch E-Books, oder brauchen Sie unbedingt den Geruch und das Gefühl von Papier?

    Ich habe nicht das eine Lieblingsbuch. Sehr gerne mag ich die Bücher von Ottessa Moshfegh, einer US-amerikanischen Schriftstellerin mit iranischen und kroatische Wurzeln, und der französischen Romanautorin Virginie Despentes. Zuletzt hat mir sehr gefallen »Die Bäume« von Percival Everett, ein US-amerikanischer Englischprofessor. Ich lese eigentlich fast nur Belletristik, also kaum Sachbücher. Und mittlerweile mehr E-Books als haptische Bücher – aus rein pragmatischen Gründen.

    Kaufen Sie sich privat Bücher? Oder haben Sie, an einer Quelle sitzend, dies gar nicht nötig?

    Ich kaufe Bücher nur als Geschenk, nicht für mich – ich bin sehr froh, dass ich Bücher nach dem Lesen wieder zurückgeben kann. E-Books nehmen zwar keinen Platz im Regal weg, hier erschließt sich mir das Besitzenwollen aber noch weniger.

    Finden Sie Zeit zum Lesen während der Arbeitszeit? Oder ist das nicht gestattet? Und trifft auch auf Sie zu: »Ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett«?

    Nein, während der Arbeitszeit lese ich nicht – abgesehen von Klappen- und Verlagstexten und kurzen Blicken ins Buch, wenn es etwa um die Ankaufsentscheidung geht. Und ja, ich lese immer abends im Bett, allerdings nicht zwangsläufig Krimis.

    Entwickelt man bestimmte Zwangsneurosen als Bibliothekarin?

    Den Drang, alles zu alphabetisieren und auch in fremden Regalen zu schlichten, also zu stapeln und zu ordnen. Und als ich im Homeoffice war, sagte ich regelmäßig vor mich hin: »Psst!« Ich musste schließlich darauf achten, nicht alle bibliothekarischen Kulturtechniken zu verlernen.

    Ab welchem Alter würden Sie den Bibliotheksbesuch von Kindern empfehlen?

    Zu früh gibt’s nicht. Wir haben eine Lesefrühförderschiene – »Kirangolini«. Das sind Veranstaltungen speziell für Babys und Kleinkinder, von null bis drei Jahren.

    Ist der Genuss von Büchern ein Maßstab für Wissen, Intelligenz und kulturvolles Verhalten?

    Nein. Abgesehen davon, sind Bücher ja nicht per se etwas »Gutes«, es kommt schon auf den Inhalt an.

    Aber gesund soll Lesen sein.

    Laut einer Studie leben Menschen, die lesen, im Durchschnitt zwei Jahre länger.
    Man hat dann einfach weniger Zeit für Sportunfälle.

    Sind die alten Klassiker, von Shakespeare bis Goethe, noch gefragt?

    Die Bestleiher sind sie sicher nicht, aber sie werden prinzipiell schon noch ausgeliehen.

    Ist an der Häufigkeit der Nachfrage zu bestimmten Büchern ablesbar, wie es um die jeweilige Zeit bestellt ist? Sind in Pandemie-Jahren medizinische Bücher und Gesundheitsratgeber mehr gefragt als sonst? Und angesichts der Energiekrise Bücher zu Wärmepumpen und Solarenergie?

    Natürlich spiegeln sich Krisen, Trends, öffentliche Diskurse auch im Leseverhalten wider. Während der Pandemie waren vor allem Brotbackbücher gefragt. Und »Die Pest« von Albert Camus. Der Krieg in der Ukraine hat Angebot und Nachfrage nach Literatur zur Geschichte und Politik Russlands und der Ukraine verstärkt.

    Wie arbeitet es sich in einem stylischen, futuristisch anmutendem Flaggschiff wie der Wiener Hauptbücherei? Hat diese gemäß ihrem architektonischen Aussehen besonders viele Science-Fiction-Bücher im Angebot? Und wie groß sind der Bestand an Büchern und die Besucherzahl dort?

    Ich arbeite nicht mehr in der Hauptbücherei, mein jetziges Büro ist weder besonders stylish noch futuristisch, aber groß. In der Hauptbücherei habe ich sehr gern gearbeitet – schon allein wegen des unmittelbaren Zugriffs auf alle Bücher, Filme, CDs … Die Hauptbücherei hat natürlich einen guten Bestand an Science-Fiction-Literatur, aber nicht überproportional viel. Die Stadt-Wien-Büchereien haben einen Gesamtbestand von rund 1,4 Millionen Medien und erfreuten sich im vergangenen Jahr an knapp 150 000 aktiven Nutzer*innen.

    Befürchten Sie, dass mit KI weniger Schüler und Studenten Büchereien aufsuchen werden?

    Nein, die kommen ja nicht nur wegen unserer natürlichen Intelligenz. Wir bieten einen konsumfreien Raum zum Lesen, gemeinsamen Lernen, Austausch mit anderen. Und allen kulturpessimistischen Unkenrufen zum Trotz: Junge
    Menschen lesen gern und viel. Und wir Bibliothekar*innen müssen es ja wissen.

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