Joachim Fiebach: Eine Insel des Wissens

Der Theaterwissenschaftler Joachim Fiebach ist gestorben

Für viele Jahrzehnte Arbeitsort für Joachim Fiebach: die Humboldt-Universität zu Berlin.
Für viele Jahrzehnte Arbeitsort für Joachim Fiebach: die Humboldt-Universität zu Berlin.

Wenn man mit Joachim Fiebach zusammenkam, konnte man sich wundern. Da war nichts zu spüren von einem professoralen Auftreten, das einem vom Gegenüber oft schnell entfremdet – und doch handelte es sich hier doch ganz zweifellos um eine signifikante Forscherpersönlichkeit der DDR wie auch des vereinigten Deutschlands. Fiebach war schüchtern, aber doch freundlich zugewandt, einnehmend. Autoritäres, auch pädagogisches Auftreten war ihm fremd, und doch war er ganz und gar eine Autorität. Eine Rolle, die sich allein durch seine prägenden Arbeiten ergab.

Die Lebensgeschichte von Joachim Fiebach ist eng verknüpft mit der Geschichte der Disziplin Theaterwissenschaft. In den 20er Jahren des vorangegegangen Jahrhunderts gründete sich in Berlin ein erstes theaterwissenschaftliches Institut, dessen geistiger Niedergang mit dem Siegeszug des Nationalsozialismus einherging. An der Freien Universität im Westen Berlins formierte sich 1948 ein neues Institut für Theaterwissenschaft; an der Humboldt-Universität bildete sich 1960 ein östliches Pendant heraus. An Letzterem wirkte Fiebach jahrzehntelang und hinterließ nachwirkenden Eindruck auf seine Studenten. Beispielhaft sei einer der prominentesten genannt: Frank Castorf, dessen Inszenierungen seinen ehemaligen Lehrer wiederum später zu wissenschaftlichen Arbeiten über ihn veranlassten.

Mit der »Wende« 1989/90 ließ man das Institut an der Humboldt-Universität langsam absterben. Umstrukturierung und Einsparung hießen die Euphemismen für diese fatalen Entscheidungen. Nach dem endgültigen Aus in den 2000er Jahren lehrte Fiebach am Schwesterinstitut an der Freien Universität und blieb hier bis ins hohe Alter eine wichtige Stimme.

Viel ist gesagt und geschrieben worden über die schwierige Durchsetzung des Dramatikers Heiner Müller auf den Bühnen in Ost und West. Abgesetzte, unterbundene, fehlgeschlagene Inszenierungen gingen einer künstlerischen Erfolgsgeschichte voraus. Weitaus weniger wurde die publizistische Wegbereitung für Heiner Müller thematisiert: Joachim Fiebach hatte erheblichen Anteil daran, dessen Stücke einem Publikum als Lektüre zugänglich zu machen. Es handelt sich auch hier um die nicht ausreichend gewürdigte Leistung eines Pioniers. Auch Fiebachs Essayband »Inseln der Unordnung« zum Werk Müllers wird antiquarisch zu horrenden Preisen gehandelt.

Aber nicht allein Heiner Müller galt Fiebachs Interesse. Er forschte und publizierte auch zu Bertolt Brecht und Erwin Piscator, gab die Stücke des nigerianischen Nobelpreisträgers Wole Soyinka in deutscher Übersetzung heraus. Lange bevor die schnelllebigen Moden des Wissenschaftsbetriebs es nahelegten, weitete Fiebach seinen Blick, sah über die Grenzen des DDR-Gegenwartstheaters einerseits und der deutschen Theatergeschichte andererseits weit hinaus und entdeckte die darstellenden Künste Afrikas und Asiens. Der Theaterwissenschaftler wurde so auch zum Ethnografen und zum Vermittler fremder Kulturen im lange eurozentristischen Elfenbeinturm in Berlin. Sein – im wahrsten Sinne des Wortes – monumentales Spätwerk »Welt Theater Geschichte« trägt seinen stolzen Titel mit Recht.

Am 23. April ist Joachim Fiebach im Alter von 88 Jahren verstorben.

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