Immer ein Notfall

Zum Thema Sepsis werden jetzt pflegende Angehörige mit kurzen Videos besser informiert

Die Sepsis ist meist als Blutvergiftung bekannt. Aber diese schwerste Komplikation einer Infektion ist immer ein Notfall wie Herzinfarkt oder Schlaganfall. Unbehandelt verläuft sie tödlich. Jährlich erkranken etwa 300 000 Menschen in Deutschland daran, 75 000 versterben in der Folge.

»Früher war es so, dass 80 bis 90 Prozent der Patienten, die mit einer Sepsis auf der Intensivstation lagen, gestorben sind. Heute sind wir bei 40 Prozent, die sterben. Das ist immer noch zu viel«, erklärt Astrid Wendlik, Pflegekraft und zugleich Angehörige eines Sepsis-Betroffenen, in einem von acht neuen Kurz-Videos. Die Filme sollen insbesondere die Angehörigen aufklären. Ein Bündnis von Organisationen, darunter der Verband der Ersatzkassen vdek, das Aktionsbündnis für Patientensicherheit und der Sepsis-Dialog der Universitätsmedizin Greifswald, hat sich für diese Form der Wissensvermittlung und Anleitung eingesetzt.

Sepsis-Sterblichkeit in Australien gesenkt

Berlin. Die meisten der jährlich mehr als 100 000 Todesfälle in Deutschland durch Sepsis, eine schwere Komplikation von Infektionen, sind vermeidbar. Dies belegt erneut eine landesweite Qualitätsinitiative im Bundesstaat Victoria, Australien. Darauf weist die deutsche Sepsis-Stiftung hin. In Victoria ist es innerhalb eines Jahres gelungen, die Krankenhaussterblichkeit bei Sepsis von 17,5 Prozent auf 11,3 Prozent zu senken. Die Behandlungskosten reduzierten sich dabei um 11,7 Millionen Dollar bei Kosten von 1,8 Millionen für die Durchführung der Kampagne. Für Deutschland zeigte sich im Rahmen einer aktuellen Erhebung in zehn Krankenhäusern bei Sepsis mit gleichem Schweregrad eine Sterberate von 27,8 Prozent. nd

Mit den Filmen, die in dieser Woche vorgestellt wurden, wird die Kampagne #DeutschlandErkenntSepsis fortgesetzt. Nötig ist das allemal. Denn nicht nur bei pflegenden Angehörigen, sondern auch in der professionellen Pflege, in Arztpraxen oder gar in Krankenhäusern gibt es heute noch kein regelhaft sicheres Wissen zur Sepsis und ihrer Vermeidung.

Zur Sepsis gehört immer eine Infektion. Auslöser können Bakterien, Viren oder Pilze sein. Den Mechanismus erklärt der Anästhesist Matthias Gründling von der Universitätsmedizin Greifswald, der dort auch das Projekt Sepsis-Dialog leitet: »Das Immunsystem bekämpft die Infektionen und die Krankheit wird normalerweise überstanden. Bei der Sepsis gerät aber die Abwehrreaktion des Körpers außer Kontrolle, es werden zum Beispiel zu viele Botenstoffe gebildet und auch körpereigene Zellen bekämpft.« Am Ende sterben Zellen ab, Organe fallen aus. Das kann lebensbedrohlich werden. Häufigste Ursache für eine Sepsis ist eine Lungenentzündung. Laut Gründling folgen, je nach Statistik, Entzündungen im Bauchraum und in den Harnwegen.

Betroffene, die ihre Sepsis überlebt haben, nennen unter anderem Zahnimplantate oder Komplikationen im Zuge von Routine-Eingriffen. Eine äußerliche entzündete Wunde wie eine Sturzwunde oder aufgekratzte Mückenstiche sind als Ursachen für eine Sepsis weniger häufig. Auch der oft genannte rote Strich, der in Richtung Herz wandert, ist kein allgemeingültiges Symptom. Dies ist die Entzündung einer Lymphbahn, die zu einer Sepsis führen kann. Die meisten Sepsis-Patienten zeigen dieses Symptom nicht.

Weil die Mehrzahl der Erkrankten ihre Sepsis außerhalb des Krankenhauses entwickelt, sei es so laut Gründling wichtig, dass auch jeder wisse, dass es sich um eine lebensbedrohliche Erkrankung handelt. Umso schneller sie erkannt werde, umso niedriger sei die Sterblichkeit.

Die Symptome einer Sepsis sind sehr unspezifisch. Mitunter sind sie schwer von anderen Erkrankungen zu unterscheiden. Zu den Warnzeichen gehören Fieber, Schüttelfrost, Kurzatmigkeit, Herzrasen, starke Schmerzen, ein extremes Krankheitsgefühl und Verwirrtheit. Zu letztgenanntem Symptom erklärt Gründling: »Das ist ein viel zu wenig beachtetes Frühzeichen einer Sepsis: eine neu auftretende Verwirrtheit. Für Außenstehende, wie den Rettungsdienst, ist es kaum möglich, dieses Zeichen richtig einzuschätzen. Hier sind die Angehörigen gefragt.«

In Sachen Vorbeugung am wichtigsten sind Impfungen – insbesondere bei etwa durch Vorerkrankungen gefährdeten Patienten. Die Impfung gegen Pneumokokken ist zum Beispiel den Menschen empfohlen, die keine Milz mehr haben. Aber auch Imfpungen gegen Grippe oder jene gegen Covid-19 können helfen, Infektionen zu vermeiden. Menschen über 60, mit Vorerkrankungen wie Diabetes oder Asthma, sollten sich impfen lassen. Hygiene und richtige Wundpflege sind ebenso wichtig wie die rechtzeitige ärztliche Behandlung von Infektionen.

Für Konrad Reinhart, den Vorstandsvorsitzenden der Sepsis-Stiftung, ist der Rückstand Deutschlands bei diesem Thema ein großes Ärgernis. Die Sterblichkeit ist in Deutschland doppelt so hoch wie etwa in Australien oder Schweden. Nicht nur die Erkrankung selbst, sondern auch die Langzeitfolgen werden von vielen Ärzten hierzulande nicht erkannt. Bisherige Versuche, Kliniken in Sachen Sepsis von Personalschulung und anderen Maßnahmen zu überzeugen, hätten kaum gefruchtet. Der Druck auf die Politik müsse erhöht werden. Auch aus Sicht von Ruth Hecker vom Aktionsbündnis Patientensicherheit ist die Zeit der Freiwilligkeit vorbei.

Die Videos sind abrufbar auf dem Youtube-Kanal der Kampagne #DeutschlandErkenntSepsis unter https://tinyurl.com/2dy4cjxe

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