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Verdrängung in Berlin: Neue Wohnung, neue Räumungsdrohung
Erneut fürchten vor allem Roma*-Familien, ihr Zuhause zu verlieren
Es ist ein trauriger Anblick: Das Haus in der Straße der Pariser Kommune in Friedrichshain, das nun leer steht und auf den Abriss beziehungsweise Neubau wartet. Währenddessen suchen die ehemaligen Bewohner*innen verzweifelt nach einem neuen Zuhause – mit begrenztem Erfolg. So lebt eine Familie zum Beispiel noch immer in einer Notunterkunft für wohnungslose Menschen, einer anderen Familie droht der nächste Rauswurf aus ihrem neuen Zuhause in Niederschöneweide.
»Auf einmal stand eine Person vor der Tür und meinte, unsere Mietverträge würden nicht existieren und wir müssten alle raus«, so berichtet Adrian Stoica aus Niederschöneweide am Mittwochabend auf einer Podiumsdiskussion, die das Roma*-Bündnis Bare organisiert hat. Seinen richtigen Namen möchte er aus Angst vor Konsequenzen für sein Mietverhältnis nicht nennen.
Stoica wohnt mit seiner Partnerin und sieben Kindern seit etwa fünf Monaten in einer Zwei-Zimmer-Wohnung in dem Haus. Seine ganze Familie hatte sieben Jahre lang in der Straße der Pariser Kommune gelebt. Als sie dort wegmussten, zogen sie nach Charlottenburg um. Dort durften sie entgegen anderer Absprachen nur vier Monate bleiben, übernachteten dann neun Monate lang bei Freund*innen und Familie, bis sie dachten, in Niederschöneweide ein neues Zuhause gefunden zu haben, erzählt Stoica.
»Die Kinder haben sich gerade eingelebt in der Wohnung, auch in der neuen Schule«, so Stoica. Nun hätten aber auch die Kinder von der Situation im Haus mitbekommen und hätten große Angst, wieder überstürzt umziehen zu müssen. »Sie sind gestresst, können nicht schlafen.« Stoica spricht auf Deutsch und Rumänisch, er und seine Familie sind Roma* aus Rumänien. Viele der anderen Familien, die in dem Haus in Niederschöneweide wohnen, seien ebenfalls Roma*, sagt er.
Thomas Herr aus der Projektkoordination von Bare war selbst vor Ort in Niederschöneweide, um die Bewohner*innen zu unterstützen. Er berichtet von der Alarmsituation kurz vor dem 1. Mai, als den Bewohner*innen im Haus mitgeteilt wurde, ihre Mietverträge seien ungültig, und sie müssten das Haus in Kürze verlassen. »Die Betroffenen hatten große Angst«, sagt Herr zu »nd«.
Nun habe sich die Lage etwas entspannt: Es wurde festgestellt, dass kein Räumungstitel vorliegt, und in Kooperation mit dem Bezirk wurde für einen Monat eine Mieter*innenberatung durch das Unternehmen Asum eingerichtet. »Viele der Mieter*innen hatten offenbar Mietverträge, die auf drei Monate befristet waren und schon im Herbst ausliefen«, sagt Herr. Allerdings sei die anwaltliche Ersteinschätzung der Asum-Beratung bislang, dass die in den Verträgen festgehaltenen Befristungen nicht gültig seien und die Mietverhältnisse dementsprechend unbefristet bestünden.
Die Zukunft des Hauses und seiner Bewohner*innen ist dennoch ungewiss. »Der Eigentümer nutzt die vulnerable Position von Roma* auf dem Wohnungsmarkt aus«, sagt Herr. Um die Familien aus dem Haus zu vertreiben, argumentiere die Eigentümer-Firma IPG V einerseits mit ausgebliebenen Mietzahlungen, andererseits mit angeblichen Bauschäden am Haus.
Matteo Colusso, Geschäftfüherer von IPG V, beschreibt die Schäden im Haus gegenüber »nd« als so drastisch, dass die Sicherheit der Bewohner*innen gefährdet sei. Es handele sich vor allem um Wasserschäden im Umfeld von Stromleitungen. Deshalb müssten die Bewohner*innen ausziehen und das Haus saniert werden. Weiterhin habe die IPG V als Eigentümerin über Jahre hinweg keine Mietzahlungen erhalten, weil die Bewohner*innen an einen ehemaligen Hauptmieter des Hauses gezahlt hätten, der aber nichts davon an die Eigentümerin überwiesen habe. Die IPG V hatte das Haus im Zuge des Kaufes der Immobilienfirma Spreebeteiligung Ost erhalten.
Nun versuche Colusso mit einem neuen Hauptmieter, der Firma HKI Consulting, das Haus wieder »unter Kontrolle« zu bekommen. Laut Bauakte sei das Haus überhaupt nicht als Wohnhaus, sondern nur für gewerbliche Nutzung vorgesehen. Deshalb seien bestehende Wohnverhältnisse eigentlich nicht legal. Diese Situation wolle man über den neuen Hauptmieter lösen.
Kai Berger, Geschäftsführer von HKI Consulting, stellt die Situation genauso wie Colusso dar. Sein Unternehmen habe einen Mietvertrag für das ganze Haus mit der IPG V zum 1. Mai geschlossen, sagt Berger zu »nd«. Da das Haus nun aber bewohnt sei, habe noch keine Übergabe stattfinden können. »Wir können da ja nicht mit der Brechstange rein und die Leute rausholen. Das werde ich nicht machen«, sagt Berger.
Trotzdem braucht es auch laut Berger eine Sanierung des Hauses, und es gebe keine gültigen Mietverträge mit den Bewohner*innen. »Wir warten auf einen Termin mit der Stadt, um alles zu klären und eine Lösung zu finden«, so Berger. Nach einer Sanierung würde er das Haus gerne der Stadt durch eine Anmietung zur Verfügung stellen, erklärt er.
Rechtsanwalt Marco Hopp unterstützt die Mieter*innenberatung Asum im Fall des Hauses in Niederschöneweide. Bisher habe er etwa zehn Mietverträge gesehen; er schätzt, dass um die 50 Mietparteien in dem Haus wohnen. Seiner Beurteilung nach sind vorliegende Befristungen der Mietverträge nicht ausreichend begründet und damit hinfällig. Dadurch würden die Mietverhältnisse zivilrechtlich als unbefristet gelten, die Mieter*innen seien geschützt.
Was die Nutzung des Gebäudes als Wohnhaus anbelangt, warte man noch auf eine Klärung. Sollte das Haus tatsächlich nur für gewerbliche Nutzung vorgesehen sein, entstehe ein Konflikt zwischen den Wohnmietverträgen und dem Bauordnungsrecht. Letztendlich könnte das Bauamt die Nutzung untersagen, sollte es das Haus als zum Wohnen ungeeignet beurteilen. Doch auch wenn eine Sanierung notwendig sein sollte, blieben die Mietverträge bestehen. »Der Vermieter hat nur die Möglichkeit einer Räumungsklage«, sagt Rechtsanwalt Hopp. Und zumindest in den Fällen, in denen Hopp bislang Mietverträge vorliegen hatte, hält er eine solche für aussichtslos.
Die Stadtentwicklungsstadträtin des Bezirks Treptow-Köpenick, Claudia Leistner (Grüne), sagt zu »nd«, dass aktuell kein Räumungstitel vorliege und sich deshalb die Bewohner*innen auch keine Sorge um eine akute Räumungsgefahr zu machen bräuchten. Man sei als Bezirk in die Situation involviert und habe die Mietberatung organisiert, nun versuche man, sich einen Überblick über die Lage zu verschaffen. »Für uns steht im Vordergrund, den Menschen im Haus zu helfen«, sagt Leistner.
Auch im Fall der Straße der Pariser Kommune 20 hatte sich der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg eingeschaltet, um eine Lösung für die Bewohner*innen zu finden. Das Haus konnte nicht gerettet werden, die Bewohner*innen mussten umziehen. Einige erhielten von der Eigentümerin auf drei Jahre befristete Verträge für Übergangswohnungen – danach soll der Neubau bezugsfertig sein. Allerdings laufen diese Verträge zum Teil schon über ein Jahr, und ein Neubau in der Straße der Pariser Kommune ist nicht in Sicht. Was nach Ablauf der drei Jahre mit den betroffenen Familien passieren wird, ist bis dato offen.
Der ehemalige Bewohner Adrian Stoica vermisst die enge Gemeinschaft aus vielen Roma*-Familien, die nun in der Stadt verteilt leben. »Wir wollen wieder in ein Gebäude, in dem wir alle zusammen leben können.«
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