Federico García Lorca: Das andalusische Genie

Humor und Verzweiflung: Zum 125. Geburtstag von Federico García Lorca

  • Jens Grandt
  • Lesedauer: 7 Min.

Der Ruhm kam für den bedeutendsten modernen spanischen Dichter und Dramatiker erst nach einer Phase der Depression. Nach etlichen missglückten Versuchen, in der Kunstwelt seinen Platz zu finden, und langen Streits mit den Eltern wegen seines »nicht praktischen« Tuns war Federico García Lorca siebenundzwanzig Jahre alt, als sein Drama »Mariana Pineda« in Barcelona Premiere hatte. Immer wieder hatte er es umgeschrieben, Verhandlungen mit dem Impresario zogen sich hin, dann gebot die Zensur der Rivera-Diktatur einen Aufschub, schließlich wagte die beliebte Schauspielerin Margarita Xirgu, die auch den Hauptpart der Inszenierung übernahm, den Durchbruch. Es wurde ein riesiger Erfolg.

Das zur Legende gewordene Motiv hatte ihn von Kindheit an bewegt: Die schöne, jung verwitwete Mariana Pineda, die den in sie verliebten Cousin Pedro aus dem Gefängnis befreien half, obwohl sie ihr Herz einem liberalen Offizier anvertraut hat. Ihr ist klar, dass nur der Zusammenbruch der verhassten Monarchie und die Rückkehr zur Demokratie ein glückliches Leben mit Pedro ermöglichen wird. Sie bestickt eine Fahne mit den Anfangsbuchstaben der Wörter »Gesetz«, »Freiheit«, »Gleichheit« – aus reiner Liebe zu Pedro. Der jedoch, wie sich herausstellt, schwafelt viel vom Aufstand, ohne etwas zu unternehmen. Als die Polizei das Tuch findet, soll Mariana die Namen der Komplizen preisgeben. Da sie sich weigert, wird sie öffentlich auf dem Campo de Triunfo hingerichtet. Im einstigen Wohnhaus Pinedas hat die Stadt Granada einen Ausstellungsraum für die »Freiheitskämpferin« eingerichtet.

Obwohl Freiheit und Gleichheit thematisiert werden, ging es García Lorca nicht darum, eine politische Tragödie zu schreiben. Er interessierte sich für die psychische Seite; unerfüllte Liebe und der Tod waren das Grundthema, dem er poetische Gestalt geben wollte. So auch in den »Romancero gitano«, den »Gitano-Romanzen« über die spanischen Roma. Zwei Gedichtbände hatte die Presse schon gewürdigt, aber der »Romancero« war geradezu eine Sensation. Bis zum Putsch General Francos wurden sechs dicke Auflagen gedruckt. »Romancero gitano« war der meistverkaufte Gedichtband des 20. Jahrhunderts.

Dieser »andalusische Gesang«, in dem García Lorca »alle lokalen Elemente vereinige«, wie er schrieb, ist ohne dessen Prägung in der uralten Kulturlandschaft der Vega, einer fruchtbaren Ebene, nicht denkbar. Geboren am 5. Juni 1898 in dem kleinen Dorf Fuente Vaqueros, etwa zwanzig Kilometer von Granada entfernt, haben ihn die ländliche Umgebung, das bescheidene Leben der Bauern und Tagelöhner und deren dennoch gepflegte, stark folkloristische Kultur stark beeinflusst. In seinem Dorf lebten auch Roma und vermutlich war die Mutter von Federicos Großvater eine Romni. Jedenfalls dürfte es dem Autor der »Romancero gitano« nicht gleichgültig gewesen sein, dass er vielleicht, wenn auch nicht in gerade Linie, von Roma abstammte. Er hatte ihnen gegenüber eine hohe Wertschätzung. Sie wurden ihm zu Trägern und Symbolen für die wesentlichen Grundzüge der andalusischen Psyche.

Das alles spiegelt sich in den »Romanzen mit anscheinend verschiedenen Persönlichkeiten, die aber in Wirklichkeit eine einzige geistige Persönlichkeit haben: Granada …« Und die Qual (»pena«), das Gefühl von Vorahnung und Verhängnis. Dennoch seien die Romanzen ein anti-folkloristisches Buch. Lorca ist bestrebt, der traditionellen Erzählung moderne lyrische Komponenten beizumischen, um zu einer neuen Synthese zu gelangen. Die Legenden sind, zumal in Übersetzungen, nicht immer sofort verständlich. Sie bestechen durch Vitalität und gewagte Metaphern.

Die Leuchtfeuer auf dem Weg in die erste Reihe der spanischen Literaten waren dann Lorcas Dramen: »Bluthochzeit«, »Yerma«, »Donja Rosita bleibt ledig« und andere. Sie wurden vor der faschistischen Katastrophe und nach dem Krieg wieder an den großen Bühnen Europas und Amerikas aufgeführt. Auf dem Höhepunkt seines Schaffens hielt er sich einige Monate in New York auf, was im Zyklus »Poeta en New York« seinen Niederschlag fand. In Kuba wurde er stürmisch gefeiert. In Argentinien verbrachte er viele Abende mit Pablo Neruda, und in Buenos Aires konnte man keine Zeitung aufschlagen, ohne etwas über das andalusische Genie zu erfahren.

Bei all dem Triumph sollte der schwierige Beginn nicht aus dem Blick geraten. Federico García war ein schlechter Schüler, und an der philosophischen und juristischen Fakultät in Granada machte er seinen Dozenten keine Freude, denn eigentlich wollte er Musiker werden. Er war ein glänzender Pianist, spielte Gitarre und komponierte. Da sein Musiklehrer starb, Lorcas Vater sich weigerte, ihn nach Paris ziehen zu lassen und auf dem Abschluss des Studiums bestand, richtete er »seinen (dramatischen) Schöpferdrang auf die Dichtung«, wie er später in einer autobiografischen Notiz schrieb.

In Granada findet er Anschluss an eine Gruppe von Kulturschaffenden und Bohemiens, die die romantische Alhambra-Poesie verachten. Ein Kreis verschworener Intellektueller, wie er heute, im Zeitalter der digitalen Vereinzelung, kaum noch möglich ist. Fast alle waren Mitarbeiter oder Autoren eines neu gegründeten Monatsmagazins. Sie trafen sich allabendlich im Café »Alamed« hinter dem Musikpodium in einem gemütlichen Winkel (spanisch »rinconcillo«), weshalb die über viele Jahre agierende Gruppe »Rinconcillo« genannt wurde. Lorca war der Jüngste unter den Rinconcillista und begeistert von den hitzigen Debatten. Nach Madrid umgezogen, fand er Quartier in der »Residencia de Estudiantes«, einer Art College wie in Oxford – der ideale Ort, um sich am intellektuellen Leben zu beteiligen. Er befreundete sich eng mit Salvador Dalí und mit Luis Buñuel, die etwas jünger waren als er.

Diejenigen, die García Lorca in Gesellschaft erlebten, waren entzückt von seiner außerordentlichen Sensibilität, seinem Temperament, Humor und Charme. Wo er auftauchte, war er der Mittelpunkt. Und doch packte ihn immer wieder finstere Verzweiflung. Einerseits, wenn er trotz des Fleißes in der künstlerischen Arbeit nicht vorankam, andererseits, wenn seine homoerotischen Erwartungen sich nicht erfüllten oder Partnerschaften sich lösten. Er hat sehr gelitten, insbesondere weil seine Homosexualität auch vor den Eltern verborgen bleiben musste.

Im Jahre 1925 kaufte der Vater die Huerta de San Vicente an der südlichen Peripherie Granadas. Er hatte sich auf Zuckerrübenanbau spezialisiert und war zu beträchtlichem Reichtum gelangt. Unter Huerta ist ein Landgut zu verstehen. Das kleine Haus lag, umgeben von Wiesen, Obst- und Granatapfelbäumen, noch am Rand der Vega-Ebene. Hier hat sich Lorca immer wieder aufgehalten. Heute ist es ein Museum. Die Möbel und alles Hausinventar stehen unberührt, als würde er noch ein- und ausgehen – museal penibel gereinigt; das Museum wurde in den Neunzigerjahren internationalem Standard angepasst.

Im Vorraum Schaukelstühle, Couch und Marmortischchen. Im Speisezimmer, dem größten Raum, der quadratische, bedeckte Tisch, lederbezogene Stühle, Sessel, an der Wand eine zierliche schwarze Kommode mit Spiegelaufsatz, gegenüber ein Gemälde: Isabel Lorca am Klavier, die jüngste Schwester, die der Dichter sehr geliebt hat. Helles Licht durch die hohen Fenster. Steigt man die Stufen hinauf, steht man vor dem Flügel, auf dem Lorca Debussy und Manuel de Falla gespielt hat. Sein Zimmer mit dem Bett, einem Grammophon in der Ecke und dem großen Schreibtisch mit vielerlei Schubfächern. An diesem Tisch verfasste er die letzten Gitano-Romanzen, schrieb Kunst-»Dialoge« und unverdrossen Briefe, damit seine Dramen auf die Bühnen kommen. Eine deutsche Publikation gibt es nicht.

Nach dem Sturz Primo de Rivieras und Kommunalwahlen, die den Traum von einem demokratischen Spanien für kurze Zeit verwirklichten, unterstützte Lorca mit ganzem Herzen die Republik. Mit der Wanderbühne »La Barracca« zog er als Regisseur, Schauspieler, Bühnenbildner, Musiker durchs Land. 1934 spitzte sich die Lage zu. Eine nun konservative Regierung hebelte die bisherigen Reformen aus, was zum Aufstand in Asturien führte. Demokraten und Falangisten bekämpften sich; es gab viele Tote. Lorcas neues Stück »Yerma« wurde bejubelt, aber auch von Rechtsextremisten gestört. Er war sich seines Lebens nicht mehr sicher.

Jahrzehntelang galt der Tod des berühmtesten Dichters Spaniens als ein Tabu – bis der Hispanist Ian Gibson durch spezielle Studien für seine grandiose Biografie die Umstände aufgeklärt hatte. Am 14. Juli 1936 traf Lorca bei seinen Eltern in der Huerta de San Vicente ein. Mehrmals wurde das Haus durchsucht, um republikanische Gesinnungsgenossen aufzuspüren. Lorca wurde misshandelt. Er suchte Zuflucht im Haus eines Dichterfreundes in der Nähe der Gouverneursverwaltung. Er wurde verhaftet, mit mehreren Republikanern in der Nähe Granadas erschossen und im Acker verscharrt. Der Leichnam wurde bis zum heutigen Tag nicht gefunden.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.